Die 5 Geheimnisse der Buchhandlung Kiekenap

Juli 25, 2019

Buchhandlung-Kiekenap-Solingen
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Werbung ~ Unbezahlte, persönliche Buchhandlungsempfehlung
 
 Wenn Bücher von ihrem Alltag erzählen

Würden wir nicht alle gerne einmal die Möglichkeit haben, zu erfahren, was nachts in einer Buchhandlung geschieht? Was die Bücher so machen, wenn sie sich unbeobachtet fühlen? Oder einfach wissen, was sie so denken?
In meiner Heimatstadt Solingen gibt es eine kleine, sehr liebenswerte Buchhandlung namens „Buchhandlung Kiekenap“ , die sich im Stadtteil Ohligs befindet. Glücklicherweise haben sich die Bücher dort zu einer kleinen, privaten Unterhaltung bereiterklärt und haben das eine oder andere Geheimnis der Buchhandlung offenbart. Natürlich mit dem Einverständnis der Inhabern Frau Kiekenap. Hier die Aufzeichnungen:

Übrigens: Auf Instagram findet ihr in den Stories noch einige zusätzliche Infos und Bilder! Schaut dort gerne vorbei.

  • Wenn keine Kunden mehr im Laden sind und die Lichter gedimmt werden, begeben wir uns häufig in den hinteren Teil der Buchhandlung. Dort befindet sich die Kinderbuchabteilung, die nicht nur durch interessante, vielfältige und aktuelle Bücher heraussticht, sondern auch ein schönes Spielzeugsortiment aufweist. Gerne gesellen wir uns dann zu den beliebten und bekannten Figuren, die man aus den Büchern kennt oder zu den, mit Liebe gefertigten, Einzelstücken.
  • Wir sind nicht nur in der Nacht aktiv. Das ist ein Trugschluss. Tagsüber hören wir unseren Buchhändlerinnen zu, die die Kunden mit Fachwissen und eigener Begeisterung anstecken – natürlich greift das auch auf uns über, sodass wir uns die empfohlenen Bücher auch selbst ab und zu ansehen. Ein Liebling ist momentan zum Beispiel Zelda Fitzgeralds Erzählband „Himbeeren mit Sahne im Ritz“ oder auch Bianca Bellovás „Am See“.
  • Von Zeit zu Zeit bestaunen wir (aus sicherem Abstand) die wechselnde Dekoration der Buchhandlung. Aktuell wird das Schaufenster zum Beispiel von „Blind Date“-Books des Diogenes Verlags geschmückt. Als Buch selbst zu erraten, welches Buch sich darunter verbirgt ist gar nicht so einfach, wie man sich das vielleicht vorstellt. Doch es gibt auch Dekorationen, die mitten im Laden stehen. Da gab es tatsächlich einmal einen selbst angefertigten Elefanten, der mitten in der Buchhandlung stand – zum Glück sind wir kein Porzellanladen.
  • Wir sind vielfältig und mögen Abwechslung. So gibt es uns nicht stapelweise, sondern in einer ausgewogenen Anzahl. Doch keine Sorge, sollten mehrere Kunden sehnlichst ein und dasselbe Buch lesen wollen, bestellen die Buchhändlerinnen sofort nach und am nächsten Tag liegt ein weiteres Exemplar vor Ort (das gilt natürlich auch für andere Wunschbücher). Wir mögen die charismatische Atmosphäre, die dabei entsteht und das Potential zum Stöbern, welches sich entfaltet.
  • Wer übrigens tagsüber nicht so viel Zeit hat, um eine Buchhandlung aufzusuchen und durch die Regale zu schlendern, dem sei die Veranstaltung „All You Can Read!“ empfohlen, die immer mal wieder stattfindet. Dort dürfen sich ab 19:30 bis 22:00, bei kleinen Snacks und Getränken, die Buchinteressierten zusätzlich in der Buchhandlung aufhalten. Wir müssen dann zwar etwas vorsichtiger sein, aber das ist in Ordnung, denn die Gespräche der Kunden, die sich dabei manchmal über uns ergeben, sind sehr angenehm und bringen uns zum schmunzeln.

Solltet ihr in der Nähe wohnen, auf der Durchreise sein (Kiekenap liegt nämlich sehr nah am Hauptbahnhof) oder per Zufall mal nach Solingen kommen, sei euch dieser kleine, aber feine und sehr sympathische, gemütliche Buchladen mit tollen Buchhändlerinnen empfohlen, die euch gerne mit Buchtipps und Büchern eindecken. Vielleicht habt ihr sogar Glück und hört die Bücher hinter euch flüstern!

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The Somnambulist von Essie Fox

Juli 23, 2019



(Original: "The Somnambulist"/ 2011) Orion Publishing, Übersetzer/in: - , ★★★(☆)☆ 3,5 Sterne
1881: Wenn die Siebzehnjährige Phoebe Turner die Wilton´s Musik Hall betritt, um ihrer Tante Cissy bei einem Auftritt zuzusehen, riskiert sie den Zorn ihrer Mutter Maud auf sich zu ziehen, die mit ihrer "Hallelujah Army" dazu aufruft, alle Londoner Theater schließen zu lassen. Während des Besuchs, zieht ein Mann namens Nathaniel Samuels Phoebes Aufmerksamkeit auf sich. Er wird im Leben der drei Frauen für folgenschwere Entwicklungen sorgen.
Phoebe erhält die Möglichkeit Nathaniels Frau als Gesellschaftdame, eine sogenannte "Companion", beiseitezustehen. Sie lässt ihr Leben in London´s East End hinter sich, um in einem Haus zu leben, das möglicherweise heimgesucht wird und die dunkelsten Wahrheiten beherbergt.
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"They say passion is sweet, and it may be for some. But a love unrequited must taste dry as ashes. It must be as bitter as gall." S. 4

Als ich mir den Inhalt zu dieser düster angehauchten Geschichte durchgelesen habe, musste ich sofort an den Roman "The Companions" von Laura Purcell denken. Nicht nur, dass die Protagonistin Phoebe als "Companion" eingestellt und in einem Anwesen unterkommt, das angeblich heimgesucht werden soll, nein, auch ein Gemälde, das den Titel "The Somnambulist" trägt, spielt eine entscheidende Rolle. Was diese Gemeinsamkeiten betrifft, wird man als Leser, dem Laura Purcells Roman zugesagt hat, sicherlich auch hieran Gefallen finden. Der Schreibstil ist träumerisch, auch hier wieder passend zur Thematik, wenn auch in einigen Kapiteln eben geheimnisvoll. Man wird als Leser häufig zu bestimmten Hinweisen geführt, um dann wieder davon weggebracht zu werden.
Die Verknüpfung zu dem am Anfang erwähnten Gemälde, der Vergangenheit der Familiengeschichte und auch das Aufgreifen einer möglichen Zwischenwelt, wie auch der Thematik des Schlafwandelns fand ich sehr geglückt. Alle Kapitel, die sich darauf beziehen und die damit spielen sind schlüssig und erwecken definitiv eine Neugier.

"Why did she talk about curses? I felt uneasy and out of my depth, sensing that under her manners and smiles something darker and calculating might lie." S.149

Grundsätzlich war ich daher von dem Beginn der Geschichte sehr angetan. Das Tempo war gut, die Erzählstimme der Protagonistin hat mich sofort eingenommen und auch die Handlung versprach interessant zu werden. 
Bis zur Hälfte des Romans konnte mich die Idee also durchaus fesseln, doch nach und nach hatte ich das Gefühl, dass die Geschichte sich nicht zu dem entwickelt, was sie hätte werden können. Ab einem gewissen Zeitpunkt wusste man irgendwie schon, was das Geheimnis sein würde, worauf die mysteriösen Geschehnisse hinweisen sollten. Dies sorgt dafür, dass sich vor allem die mittleren Kapitel sehr zäh lesen lassen. Sie wirken wie eine unnötige Verlängerung des Ganzen. Ich weiß nicht, ob es dadurch besser wurde, dass durch eine erneute Wendung am Ende versucht wurde, dem Ganzen noch einmal einen Schwung zu verleihen. Meiner Meinung nach wirkte es dann eher etwas missglückt. Speziell dadurch, weil die letzte Entwicklung rein thematisch viele Schwierigkeiten mit sich brachte, die überhaupt nicht gut aufgelöst wurden.
Bestimmte Handlungen werden geheim gehalten, genau wie es auf dem Buchrücken mit "Some secrets are better left buried..." schon angedeutet wird. In diesem Fall ist es aber für die Figurenentwicklung eher eine negative Umsetzung, da man sich fragt, wie dieses Geheimnis als eine Lappalie verkauft werden kann.
Dies führte mich auch zu der Überlegung und zu dem Eindruck, dass die grundsätzliche Verknüpfung der Figuren doch an bestimmten Stellen sehr, sehr kurios ist und einige Vorkommnisse falsch "diskutiert" werden. Besonders Phoebe verkörpert für mich da ein schlechtes Vorbild, weil sie den Lesern das Gefühl gibt, als sei tatsächlich die Aufmerksamkeit und Liebe zu einem Mann das einzige, was wichtig sei und sie retten könne (wohlgemerkt unter dem zusätzlichen Stand, dass Männer hier nie wirklich zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie Straftaten begehen oder Ähnliches). Auch wenn es an einigen Stellen aufgeweicht wird, ist dieses Gefühl doch sehr präsent.
Neben der Liebsthematik, die sich auch auf die familiäre Liebe ausweitet, greift die Geschichte noch weitere Themen auf, die aber auch hier leider irgendwie zu kurz kommen, um wirklich an gewünschter Tiefe zu gewinnen.

"That painting was called The Somnambulist, and it showed a young woman with flowing dark hair, wearing no more than a thing cotton grown as she walked at the perilous edge of a cliff. She carried a candle, but no flame had been lit, and I always feared she might slip to her death, dashed on the rocks in a cold grey sea." S.9


So sehr mich die geheimnisvollen, düsteren und in das schon Unheimliche abdriftenden Kapitel ansprechen konnten, fehlte mir letztlich doch eine bessere und vielleicht auch spannendere Auflösung der Geschichte. Einige Beziehungen und Vorkommnisse zwischen den Figuren konnte ich gar nicht nachvollziehen, da es ihnen an einer ordentlichen Konfrontation gefehlt hat. Dennoch kann ich nicht bestreiten, dass der Schreibstil und die Erzählweise durchaus seinen Reiz haben, sodass die Geschichte dadurch sehr besonders wirkt und ihr (für mich) einen Pluspunkt einbringen konnten.



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Hiddensee von Gregory Maguire

Juli 17, 2019

(Original: "Hiddensee"/ 2017) William Morrow, Übersetzer/in: - , ★★★★☆ 4 Sterne
Hiddensee veranschaulicht die Hintergrundgeschichte des Nussknackers, in dem erzählt wird, wie er geschnitzt wurde und schließlich das junge Mädchen Klara in eine träumerische Kulisse enführt. Doch steht hier eher der Schöpfer höchstpersönlich im Vordergrund - Klaras Onkel - Dirk Drosselmeier. Wie er aufgewachsen ist, wie er gelebt hat, wie es dazu kam, dass er den Nussknacker erschaffen hat. Wer war er wirklich?
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"Dirk. The old man and the old woman. Birth and death. Birth and death and the woods all around. And questions that never got answered, because they couldn´t easily be asked." S. 6

E.T.A. Hoffmann meets The Brothers Grimm.
Aber nicht nur das, denn auch einige Gestalten der griechische Mythologie lassen sich in der Neuerzählung oder doch eher der Vorgeschichte zum "Nussknacker" wiederfinden. Dabei ist es keineswegs so, dass einfach alles wild durchgemischt wird und man sich mit einem gänzlich wirren Konzept zufrieden geben muss. Durchaus fügt Maguire diese Vorstellungen von Wesen oder Figuren sinnvoll ein, besonders auch dann, wenn es um Traumsequenzen geht. Auch die Verbindung zu den Gebrüdern Grimm fand ich ganz angenehm und geglückt.
Grundsätzlich bin ich den Pfaden des jungen und mit den Jahren immer älter werdenden Herr Drosselmeier gerne gefolgt. Habe gerne darüber gelesen, wen er kennengelernt hat, was ihn ausmacht und welche Besonderheit sich tief in seiner Kindheit finden lässt. Man springt mit recht hohem Interesse von einem Kapitel zum nächsten, sodass ich auch nicht das Gefühl verspürt habe, dass ich meine Zeit mit der Geschichte verschwende.
Dennoch gab es letztlich aber einige "negative" Kritikpunkte, in dem Sinne, dass ich für mich persönlich einige Stellen unnötig oder doch überflüssig fand.

"Here you are on your own, and you? You set about to find a knife and a piece of wood and begin to make something out of nothing. if that isn´t magic, I don´t know what is." S.165

Was mich wohl am meisten gestört hat, waren (soweit ich mich erinnere) zwei Kapitel, in denen wieder einmal das "Sex-Sells"-Motto zugeschlagen hat. Dies war einmal fast ganz zu Beginn und dann noch einmal im späteren Verlauf. Beide Passagen waren für mich so deplatziert beziehungsweise so schlecht in Worte gefasst und so übertrieben, da die Geschichte auch ohne diese gewisse Wortwahl ausgekommen wäre. Zwar versteht man dadurch einige Intentionen der Figuren besser, jedoch schienen es mir absolut nicht zum Rest der Erzählung passen zu wollen.
Leider hat mich das an diesen Stellen etwas von der Geschichte weggebracht. Ich vergaß für eben diese Abschnitte, wie vielschichtig und wunderbar gefüllt, mit vielen Verweisen der alten überlieferten Texte, das neu aufgelegte Märchen ist. 
Ich fand zudem gerade spannend, zu erfahren, wer Drosselmeier war, denn normalerweise steht immer nur der Nussknacker im Mittelpunkt. Hier nimmt der Nussknacker einen sehr symbolischen Wert ein, besonders eben für die Lebenswege und Lebensentscheidungen von seinem Schöpfer. Durchaus gibt es aber auch hier eine Lenkung zum Original, in dem immer mal wieder Verweise auf eine schicksalshafte Fügung seitens des Nussknackers auftauchen. Er ist demnach noch nicht so lebendig, wie bei Hoffmann, besitzt aber doch einen gewissen Einfluss und ein, wenn man so möchte, inneres Leben, das man wahrnimmt.
Obwohl man das "Ende" von Hiddensee demnach schon kennt, gibt es sehr viele Dinge, die neu sind und die dem Klassiker auch ein wenig einen neuen Blickwinkel ermöglichen.

"You might forget a story, but you can never unhear a story." S.140

Wer sich für die "Entstehungsgeschichte" des Nussknackers und das Leben seines Schöpfers interessiert, wird mit diesem Buch sicherlich seine Freude haben. Man muss vorher allerdings sicherlich die Vorlage kennen, um alle Hinweise auf Folgendes zu verstehen. Die Verweise auf die mythologischen Figuren und die Gebrüder Grimm werden allerdings sehr präzise erklärt, sodass diese gut verständlich sind (meiner Meinung nach auch ohne Vorwissen, obwohl es das deutlich interessanter macht). Der Fokus liegt hier zwar auf märchenhaften Wesen und Geschichten, aber auch die psychologischen Seiten der Figuren werden näher beleuchtet. Für mich daher eine, trotz einiger Schwachstellen, gelungene Mischung aus Mystischem und persönlicher Biographie, die man gut und relativ schnell durchliest, die einen aber auch erst recht in den Bann der ganzen Märchenwelt zieht.

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The Three Little Pigs: 3 Bücher über Schweine

Juli 11, 2019






Schweinen werden bekanntlich keine guten Eigenschaften nachgesagt. Sie seien dreckig, unrein, faul und zu laut. Zumeist landen sie dann als Mahlzeit auf den Tischen.
Warum diese Annahme und die Abstufung der Tiere zu einem Mittagessen aber keineswegs berechtigt sind und was die Problematik daran ist, zeigen die folgenden drei Bücher ganz gut auf.

Aber dennoch bleibt die Frage zunächst bestehen: Warum werden Schweine als so minderwertig betrachtet? Es gibt zahlreiche literarische Texte und Filmproduktionen, in denen ein ganz anderes Bild gezeichnet und vermittelt wird.
Blicken wir zum Beispiel auf das bekannte Beispiel von "Piglet" aus "Winnie-the-Pooh", sehen wir, dass das Ferkel ein treuer Begleiter des Bären ist. Zugegeben, ein sehr schreckhaftes und scheues Ferkel, aber dennoch eines mit mutigen Fortschritten. Nicht umsonst wird ihm in "Piglet does a very grand thing" ein gewisses heldenhaftes Verhalten zugesagt. Man kann nicht bestreiten, dass die Leser das Schweinchen lieben und besonders die Freundschaft zwischen Winnie Pooh und Ferkel immer für ganz wunderbare Ratschläge sorgt. Wie das Zitat:

"How do you spell love?"(Piglet) / "You don´t spell it, you feel it." (Pooh).

Auch der bekannte Film "Ein Schweinchen namens Babe", basierend auf dem Kinderbuch "The Sheep Pig" von Dick King-Smith oder die Geschichte rund um "The Three Little Pigs" haben bei vielen eine Sympathie für Schweine entfacht. In beiden sind die Schweine als tüchtige, fleißige und schlaue Tiere charakterisiert, wohlgemerkt.
So sehr sich diese "Vorbilder" großer Beliebtheit erfreuen, bleibt das Bild des "blöden, faulen Schweins" an dem Tier haften. Liegt es daran, dass sich die Texte und Filme überwiegend mit den süßen, kleinen Ferkeln beschäftigen und sich die großen, ausgewachsenen Schweine nicht als Publikumsliebling eignen?

In den folgenden drei Büchern wird auf verschiedene Art erläutert, was unser Verständnis von Schweinen ausmacht und wie dies von der Realität abweichen kann. Und ich bin mir sicher, es sind nicht nur Bücher für Leser, die sich bereits fleischlos ernähren, sondern Bücher, die jedem ein Stück aufzeigen können, dass Respekt nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zwischen Mensch und Tier keine Mangelware sein sollte.

  • "Big Pig, Little Pig" (zur Rezension geht es HIER entlang) von Jaqueline Yallop: Bereits vor einige Zeit erschien auf dem Blog eine Besprechung zu diesem Buch. Ich habe das Gefühl, dass ich mich damals sogar noch recht zahm ausgedrückt habe, was meine Empfindungen gegenüber dem Geschriebenen anging. Heute sehe ich es auf vielen Ebenen noch kritischer. Das Buch beschäftigt sich mit der Aufzucht von zwei Schweinen einer Autorin, die herausfinden möchte, ob sie nachdem sie die beide Schweine kennengelernt und großgezogen hat, wirklich schlachten und essen könnte. Was als lehrreiches und an vielen Stellen sogar schönes Buch beginnt, endete für mich in einer Katastrophe. Ihr eigenes Verhalten und vor allem die endgültigen Aussagen werden von Yallop selbst nicht wirklich reflektiert. So erschien es mir zumindest. Es grenzte für mich schon zum Schluss an eine groteske, makabre und ironische Betrachtungsweise ihres eigenen Versuchs und zeigte für mich nur auf, dass manche Menschen wohl für ein Stück Fleisch über alles hinwegsehen, was problematisch ist.
    Daher dient dieses Buch eher als ein Beispiel dafür, dass nicht alle Texte über Schweine und deren Verzehr wirklich geeignet sind, um sich für sie einzusetzen. Hier wird ihnen zwar sehr wohl viel zugesprochen, sprich eine gewisse Intelligenz und die Fähigkeit emotionale Empfindungen zu entwickeln oder zu besitzen, dennoch und das ist das schlimme, werden sie letztlich trotz der Erkenntnis, dass sie Lebewesen sind, wieder nur zum Gegenstand und Grillsteak degradiert.  

"I´m not suggesting a pig has a penchant for algebra, painting or poetry, but there´s something extraordinary going on between those ears that I´m keen to explore." ("The Unexpected Genius of Pigs", S.12)

  • "The Unexpected Genius of Pigs" von Matt Whyman (erscheint am 11. November in deutscher Übersetzung "Die Genialität der Schweine" im Heyne Verlag) zeigt im Gegensatz dazu, dass es auch anders geht. Auch er hat es mit gleich zwei Schweinen zu tun. Zunächst als Fuchsabwehrsystem gedacht, haben sich seine Frau und er zwei vermeintliche "Minipigs" angeschafft. Schnell stellt sich heraus, dass sie gar nicht so mini sind, wie die Behauptungen des Verkäufers vermuten lassen haben. Das Buch beschreibt nun, wie er mit der Situation umgeht, zwei große Schweine im Garten zu haben und was Whyman von den Tieren lernt. Zwischendurch führt er passende Kommentare einer Schweinehalterin und eines Wissenschaftlers an, die seine Thesen stützen oder zumindest erläutern. Was mich sofort angesprochen hat, war die Tatsache, dass hier überhaupt nicht in Betracht gezogen wird, die Tiere nach einem gewissen Zeitpunkt einfach zu schlachten oder sie an einen Schlachthof weiterzuverkaufen - Tierliebe wird hier generell groß geschrieben! Es ist ein Buch aus der Sicht eines Menschen, der durchaus Fleisch gegessen hat, der aber durch den Kontakt mit den Tieren einen neuen Eindruck von ihnen bekommt und sie zu schätzen weiß. Wie der Titel zudem bereits verrät, setzt sich das Buch sehr stark mit der "Schlauheit" der Tiere auseinander. Wozu sind sie in der Lage? Was können sie lernen? Und welche Tricks kennen und wenden sie an, um an ihr Ziel zu kommen? Wie kommunizieren sie miteinander? Mit viel Humor, interessanten wie auch sachlichen Fakten und Thesen bringt uns Whyman hier die Schweine als kluge Köpfe näher, die wir noch lange nicht ganz durchschaut haben, die aber sicherlich "genial" sind. 

 " 'Very well, sir. you may go in - but your pig must remain outside.' added that gentleman, as we moved to enter. 
                      'He is not my pig, sir - he is entirely his own - and it is he specifically, that Mr. Banks will most want to see.' Sam insisted." ("Pyg" , S.153)

  • Einen Schritt weiter als Matt Whyman geht mit seinem fiktiven Roman, pardon, mit den natürlich nicht fiktiven Überlieferungen der Memoiren eines Schweins, Russel Potter. In "Pyg - The Memoirs of a leanres Pig" lernen wir das hochbegabte Tier "Toby" kennen. Gerettet von seinem besten Freund Sam, machen sie sich auf in die weite Welt und landen bei einem echten Showman. Nun ist Toby die Attraktion der Städte, weil er mithilfe von Buchstabenkarten mit dem Publikum kommuniziert. Schnell wird deutlich, es ist kein Trick, denn Toby spricht nicht nur mit den Leuten aus den Shows, sondern er möchte seine Lebensgeschichte erzählen - in Form seiner Memoiren. Sehr unterhaltsam ist hier die Machart des Buches. Anfang und Ende werden von Einleitungen des vermeintlichen Herausgebers Russel Potter gestützt, der noch zahlreiche Daten und Personeninformationen beifügt, um den Lebenslauf und die erwähnten Ereignisse zu stützen. Auch schön gemacht: Die Groß- und Kleinschreibung wurde nach altem Prinzip der englischen Sprache beibehalten. Das Gefühl, man lese hier eine Geschichte aus dem 18. Jahrhundert ist durchaus gegeben.
    Toby wird natürlich auf eine sehr außerordentliche Weise als schlau skizziert (kleiner Minuspunkt vielleicht, dass hier sehr vermenschlicht wird und den Schweinen ohne diese Schrifttafeln die Kommunikation, auch untereinander, abgesprochen wird). Anders als bei Whymans Text nimmt man vieles natürlich mit einem Augenzwinkern hin. Zum Beispiel, dass er vor der Frage steht, ob er studieren soll. Aber dennoch: Auch hier zeigt das Buch auf, dass das Verständnis von Schweinen noch nicht da ist, wo es sein sollte. Zwar wird hier schon auf Fragen der artgerechten Tierhaltung eingegangen (was meiner Meinung nach, zu der damaligen Zeit noch kein Thema gewesen ist, aber der Verweis ist immer auf unsere jetzige Zeit gerichtet, jedoch bleibt das Tier natürlich auch eine Art Schlachtergut.
    Kritisch betrachtet wird aber auch die umgekehrte Ausbeutung der Tiere, nämlich als Showattraktion. Toby selbst setzt sich hier zum Beispiel für eine Freilassung von misshandelten Tieren (Schweinen) ein. Ja, es klingt zuerst vielleicht etwas übertrieben oder absurd, aber das Buch ist wirklich eine schöne Möglichkeit dafür, mal ansatzweise (!) eine andere Perspektive anzunehmen, als die des Menschen.

Lest ihr gerne Bücher über / von Tieren? Sind euch literarische Texte von Tieren oder insbesondere Schweinen aufgefallen, die ihr interessant fandet? Würdet ihr zustimmen, dass Figuren wie "Piglet" favorisiert, aber von unserer "realen" Welt in Hinblick auf die Wertigkeit von Schweinen abgegrenzt werden?





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Juni: Umfangreiche Geschichten

Juli 05, 2019

Auch diesen Monat gab es wieder einige Romane, die mich während der sehr warmen und dann wieder kühleren Tage begleitet haben.
Zwar erscheint der Stapel recht überschaubar, aber die beiden Herman Melville Romane haben mich aufgrund ihrer Seitenzahl doch etwas länger in Anspruch genommen. Es ging tatsächlich soweit, dass sich nach "Moby Dick" einige merkwürdige Wal-Träume eingeschlichen haben. Literatur schafft es also auch in unsere nächtlichen Abenteuer. 

Solltet ihr auch noch einige Wälzer auf eurem Nachttisch liegen haben, zu denen ihr euch nicht wirklich motivieren könnt, ein kleiner Tipp: Am 01. Juli ist wieder das "Dicke-Bücher-Camp" bei Marina auf "Nordbreze und so." gestartet (Ende ist der 31. August). Wenn man sich während des Lesens mit anderen über die hohe Seitenzahl austauschen kann, fällt es ja doch etwas leichter. Daher wird auf allen sozialen Kanälen fleißig kommuniziert was man so liest und welche Fortschritte man macht. Viele Buchtipps natürlich inklusive. 
Da ich natürlich auch noch einige umfangreichere Bücher bei mir liegen habe, werde ich auch noch spontan schauen, ob ich nicht teilnehme.  

Wie immer gelangt ihr durch Anklicken des Buchtitels, falls vorhanden, auf die jeweilige Rezensionsseite. 

  • "West" von Carys Davies: "Immer weiter nach Westen" war das Motto des ersten Romans im Juni. Damit hat Davies teils sicherlich eine packende Geschichte über die Sehnsüchte in uns geschrieben, die aber weniger "Abenteuer" enthält, als man vielleicht vermutet. Mir hat der Roman letztlich gut gefallen, auch wenn ich einige Kritikpunkte hatte.
  • "Die einzige Geschichte" von Julian Barnes: Auch Julian Barnes konnte mich mit seiner Liebes- und Lebensgeschichte des jungen Protagonisten packen, leider aber erst ab dem letzten Drittel. Wenn man also Lust auf einen Roman hat, der nicht zu überladen ist, sich langsam steigert und zugleich mit schönen Beobachtungen des Lebens gefüllt ist, der wird hier vielleicht fündig. 
  • "The House of Mirth" von Edith Wharton: Mit Whartons New York-Roman habe ich mich wieder den Klassikern zugewandt. So sehr ich die Entwicklung der Hauptfigur und auch das Thema rund um die Selbständigkeit der Frau beziehungsweise Abhängigkeit der Frau vom Mann mochte, sind mir viele Kapitel sehr langatmig vorgekommen. Wenn man gerade eher Lust auf etwas "Flottes" für Zwischendurch hat, ist dieser Klassiker eventuell nicht das richtige. Zumindest schien es mir so, als müsste man doch eine gewisse Ruhe mitbringen und Lust darauf haben längere Beschreibungen und Einschübe zu lesen. Nimmt man sich aber diese Zeit, so wird man doch mit einem sehr gefühlvollen Text belohnt, der aufzeigt wie wichtig es ist, als Frau die eigenen Stärken zu finden und sie zu nutzen.
  • Wie bereits angedeutet, habe ich diesen Monat wohl die meiste Zeit mit "Moby Dick" & "Mardi" von Herman Melville verbracht. Gestern ging dazu ein Beitrag mit dem Versuch eines Vergleichs online. Bei mir haben die Bücher wohl einen recht ordentlichen Eindruck hinterlassen, auch wenn mich "Moby Dick" letztlich ein wenig mehr überzeugen konnte. Nichtsdestotrotz findet man in "Mardi" ebenfalls sehr geglückte Umsetzungen von bestimmten Themen und mir gefiel besonders das Ende, welches der Roman für den Leser bereithält, denn so sehr man sich im mittleren Teil von den Gedankensprüngen einfach mitziehen lässt, entfaltet das Ende eben das bekanntliche Gedankenkarussell. Und plötzlich scheint der Text wieder auf neue Weise interpretierbar zu sein. Aber auch bei diesen Klassikern muss man Zeit und Ausdauer einplanen.

Was hat euch im Juni besonders gefallen? Gab es ein Buch für das ihr euch mehr Zeit genommen habt? Habt ihr eventuell auch vor an dem Dicke-Bücher-Camp teilzunehmen oder seid ihr bereits mittendrin?

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Moby Dick vs. Mardi oder: "Wer Moby Dick liebt, muss Mardi lesen?"

Juli 04, 2019

Werbung ~ Rezensionsexemplar 

"Call me Ishmael". So beginnt einer der größten Klassiker von Herman Melville, "Moby Dick". Einige lieben den mehrere hundert Seiten langen Koloss rund um die Seefahrt und den Walfang, andere tun sich mit der Tatsache schwer, dass der wohl bekannteste Wal selbst, einen gar nicht so großen Anteil in der Geschichte aufweist.
Mit "Mardi" veröffentlichte Herman Melville, zwei Jahre zuvor, einen Roman, der zunächst ähnlich aufgebaut scheint, sich aber doch in vielen Punkten stark von seinem Nachfolger unterscheidet.
Stimmt der verlockende Werbeslogan, der vorne auf dem Cover abgebildet ist? Oder ist "Mardi" vielleicht gerade für die Leser interessant, die Schwierigkeiten mit "Moby Dick" haben?

In diesem Beitrag soll nun der Versuch einer Gegenüberstellung der Romane folgen.

Das Thema
Beide Bücher umfassen knapp achthundert Seiten und bieten so Raum für reichlich thematische Einflüsse. Dennoch ist "Moby Dick" dahingehend kompakter und fokussierter. Der Klassiker greift die schon wahnhafte Suche des Kapitäns, dem Ishmael begegnet, nach dem namentlich bekannten Wal auf und veranschaulicht das Entstehen und Entfalten seiner Obsession. Viele Kapitel beschäftigen sich aber auch stark mit der Anatomie der verschiedenen Walarten. So erfährt der Leser, wie sich die Skelette, die Köpfe und andere Glieder voneinander unterscheiden und welche Substanzen des Wals als Handlungsmittel für den Menschen gelten. Man beachte hier, dass zu Melvilles Zeit das Fangen der Wale ein übliches Geschäft gewesen ist. Die aktuelle Diskussion um die Wideraufnahme des japanischen Walfangs, der zur heutigen Zeit nun wirklich nicht nötig und makaber ist, lässt den Klassiker in dieser Hinsicht ebenfalls lesenswert erscheinen.

Auch in Melvilles "Mardi" gibt es natürlich Bezüge zur Schiffsfahrt und zum Meerleben, aber eher in der Funktion des klassischen Erzählmusters, dass die Schifffahrt als Aufbruch für ein neues Kapitel gilt. Überraschenderweise gibt aber kleine Kommentare des Erzählers, die sich sogar recht kritisch mit dem Walfang auseinandersetzen. So heißt es zum Beispiel: 
"Ihr müsst wissen, Untertanen, dass der Pottwal in geraumer Vorzeit eifrig bejagt wurde [...]. [...] 'Wäre es nicht klüger gewesen, edler Herr ', sagte Babbalanja, 'das Meerestier, das solche Schätze fallen lässt, nicht zu töten; wie man auch die Tölpelschwalbe nicht antastete, die goldene Eier legte.' "  ("Mardi" S.453)

Dieses Thema nimmt in "Mardi" aber im Vergleich nur einen bruchstückhaften Teil ein. Anfänglich wird noch verstärkt auf die Aufgaben und spezifische Einzelheiten von bestimmten Fischarten eingegangen. Der Roman ist jedoch eher eine Auflistung und ein Betreten von zahlreichen Inseln des Protagonisten Taji und seinen wechselnden, zur Seite stehenden, Gefährten. Der Leser wird demnach dazu aufgefordert, sich in recht kurzen Abschnitten auf viele neue Menschengruppen und deren Lebensstil einzustellen. Anders als bei "Moby Dick" geht es hier nicht um nur ein großes Thema, nämlich den Wal, sondern um sehr viele verschiedene Themen. Darunter, die Unterschiede zwischen den möglichen Führungsarten eines Landes oder Menschenmenge, zahlreiche religiöse Andeutungen und auch sehr viele philosophische Fragen (lange Passagen mit Andeutungen / Rezeptionen von Seneca), die versucht werden ansatzweise beantwortet zu werden. Mich hat es dahingehend vereinzelt an "Gullivers Reisen" erinnert.

"Human madness is oftentimes a cunning and most feline thing. When you think it fled, it may have but become transfigured into some still subtler form." ("Moby Dick" S. 263)

Verlauf der Geschichte, Ausarbeitung & Lesefreude
Wie bereits erwähnt erschien "Mardi" vor "Moby Dick". Ob nun die bessere Ausarbeitung der Geschichte des Wals an der Erfahrung des Autors liegt, sei als These mal dahin gestellt, aber vergleicht man beide Romane in Hinblick auf die Stimmigkeit, entdeckt man auch hier deutliche Unterschiede.
"Mardi" hat durchaus einen Handlungsrahmen, spielt sogar, wenn auch auf andere Weise, ebenfalls mit dem Wahnsinn eines Protagonisten. Tajis Reisen auf die verschiedenen Inseln haben nämlich einen bestimmten Grund, der hier noch nicht verraten werden soll, da dies wohl größtenteils ausschlaggebend dafür ist, dass man als Leser weiterliest. Der Verlauf der Geschichte ist nämlich an einigen Stellen durchaus recht zäh. Der Leser muss sich auf sehr viele Kapitel gefasst machen, die viele gesellschaftliche Überlegungen aufgreifen, die sich aber auch oftmals wiederholen und die manchmal sogar überflüssig scheinen. Es entstehen lange Gespräche zwischen den Figuren, die eine gewisse Ausdauer fordern (liegt auch daran, dass ein Philosoph große Erzählpassagen zugewiesen bekommt). Überraschend war für mich festzustellen, dass der Ton in "Mardi" zwischenzeitlich auch gefährlich sein kann, er aber überwiegend heitere, wenn nicht sogar komische Züge annimmt. Einige Szenen stellt man sich bildlich vor und hat das Gefühl, sie könnten einem "Slap Stick" Stück entsprungen sein. Beachten soll man aber die Tatsache, dass Melville, so fortschrittliche Überlegungen er manchmal anbringt, was zum Beispiel das Zusammenleben von Menschen, die Gier, Besitztümer, Leben und Tod anbelangt, er auch noch in alten oder zu damaligen Zeiten festen Mustern steckt. Die anfänglich beschriebene Frau auf die er zusammen mit einem Kameraden trifft, verkörpert alle möglichen Klischees (sicherlich teils auch gewollt satirisch). So wird sie als Nervensäge und diebische Elster beschrieben. An anderer Stelle hingegen werden Frauen mit typisch attraktiven Merkmalen (helle Haut, helles schimmerndes Haar) als Ideal angeschmachtet. 
Grundsätzlich ist der Roman daher, trotz Handlungsstrang und starkem Anfang und Ende, doch oftmals wirr, chaotisch und macht den Eindruck, als wüsste er selbst nicht immer genau, worauf er hinaus möchte. Ich kann aber nicht abstreiten, dass mich gewisse Kapitel und Ideen in Melvilles Inselabenteuer angesprochen, wenn nicht sogar positiv überrascht haben.
"Die Geschichtsforscher packt das Entsetzen bei den Massakern von einst; doch werden auch heute auf den Schlachtfeldern Menschen hingemordet. Könnte man die Zeit umkehren und die Zukunft stünde an der Stelle der Vergangenheit, würde die Vergangenheit uns und unsere Zukunft ebenso laut verdammen wie wir die vergangenen Zeiten." ("Mardi" S. 639)
Der zwei Jahre später veröffentlichte Klassiker "Moby Dick" hingegen weist klarere Züge, striktere Stränge und eine eindeutige Aussage auf. Man weiß als Leser klar was das Ziel des Romans ist und wird auch erzähltechnisch eleganter dorthin geführt. Auch hier muss der Leser zwar Ausdauer beweisen, vor allem, wenn er sich nicht gänzlich für alle Einzelheiten des Walkörpers interessiert, aber er wird mit einem packenden, tobenden, aufbrausenden Meeresroman belohnt. Hier findet man nicht die humoristische Stimmung wieder, sondern eine ernste und dem Protagonisten und der Geschichte angemessene, wahnhafte Stimmung.
Die in "Mardi" angeführten Fragen an das Leben und die Menschen treten (meist) unterschwellig ebenfalls auf, aber nicht in diesem Ausmaß. Melville schien sich weitestgehend schon ausgetobt zu haben. Mir gefielen dennoch die weiterhin auftretenden Verweise darauf, was Menschen ausmacht, wie sie sich anderen gegenüber verhalten sollten und was der Ehrgeiz nach einem (rachsüchtigen) Ziel alles mit dem Menschen anstellen kann. 
Zudem lassen sich in beiden Romanen zahlreiche "Lieder" oder Gedichte finden, die als Auflockerung durchaus ihren Reiz haben.
Grundsätzlich kann ich tatsächlich nur sagen, dass ich persönlich den Klassiker "Moby Dick" lieben gelernt habe (in Anbetracht dessen, dass ich Walfang, Fischfang oder andere Grausamkeiten Tieren gegenüber natürlich keineswegs gutheiße.), auch wenn ich zustimmen kann, dass sich einige Kapitel ebenfalls in die Länge ziehen.

Fazit
Als ich versucht habe, direkt beim Lesen einen Vergleich zu skizzieren, konnte ich anfänglich noch erahnen, dass beide Romane von Melville stammen könnten. Mit zunehmender Entwicklung und verstärkter Atmosphäre, viel es allerdings schwieriger, so unterschiedlich schienen sie mir am Schluss. Ich kann nicht leugnen, dass mir daher "Moby Dick" als Gesamttext etwas besser zugesagt hat. Die Rahmenhandlung und besonders die Auflösung von Melvilles "Mardi" hat mich aber letztlich doch in den Bann gezogen (ebenso wie der Anfang und die Auflösung von "Moby Dick"). Auch wenn sich die Romane stark unterscheiden, kann ich dem Slogan zustimmen, dass wer "Moby Dick" wirklich geliebt hat (oder liebt), auch mit "Mardi" seine Freude haben wird, vorausgesetzt man weiß, dass man die Ausdauer haben wird, um auch scheinbar unnötige Kapitel zu lesen und wenn man akzeptieren kann, dass die Handlung über größte Strecken hinweg in den Hintergrund gerät, philosophische, regierungstechnische, wie auch menschliche und psychologische Fragen jedoch überhand nehmen. 
Beide Romane eigenen sich aber auch wunderbar als längeres Leseprojekt, welches man nicht so schnell wie nur möglich hintereinander wegliest. Ich würde dennoch dazu raten, zuerst zu "Moby Dick" zu greifen und dann zu "Mardi", um erahnen zu können, wozu Melville schriftstellerisch fähig ist.


Ausgaben: "Mardi - und eine Reise dorhin" (Original: "Mardi and a voyage thither" / 1849) von Herman Melville, Manesse (2019), übersetzt und kommentiert von Rainer G. Schmidt

"Moby Dick" (Original: "Moby Dick" / 1851) von Herman Melville, Pan Macmillan Collector´s Library

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