Werbung ~ Rezensionsexemplare // "Farm der Tiere" ★★★★★ 5 Sterne // "1984" ★★★★☆ 4 Sterne
"Das Leben eines Tieres besteht aus Elend und Sklaverei: Das ist die nackte Wahrheit" - Farm der Tiere, S.10
Die Bücher von George Orwell sind wohl die am meisten neu aufgelegten Titel dieses Jahr. Viele Verlage haben sich an eine Neuübersetzung sowie eine Neugestaltung herangewagt. Auch der Manesse Verlag hat vor dieser Aufgabe nicht Halt gemacht. In recht knalligem und frischem Look sind seit Februar die Neuausgaben von "Farm der Tiere" und "1984" erhältlich.
Die Inhalte
"Farm der Tiere": Die Revolution frisst ihre Küken! «Kein Tier soll seinesgleichen je tyrannisieren. Schwach oder stark, schlau oder schlicht, wir sind alle Brüder. Kein Tier soll je ein anderes töten. Alle Tiere sind gleich.» So Old Major, der preisgekrönte Middle-White-Eber. Doch allen guten Absichten zum Trotz kommt alles anders. Auf der Farm, wo die Tiere in Gleichheit und wechselseitigem Respekt zusammenleben wollten, herrscht bald Ungleichheit, Ausbeutung und Unterdrückung. Denn «manche Tiere sind gleicher als andere.» –
"1984": Winston Smith ist Mitarbeiter im Ministerium der Wahrheit. Der Held von
«1984» macht zwei entscheidende Fehler: Er verliebt sich in seine
Kollegin Julia, und er vertraut sich seinem Vorgesetzten an. Das ist im
Weltreich Ozeanien eine Todsünde.
Totalitärer Überwachungsstaat, Entmündigung des
Individuums, lückenlose Observation und Manipulation, Gehirnwäsche und
Geschichtsfälschung - selten hat eine bei Erscheinen noch völlig absurd
anmutende Dystopie die Zukunft der Menschheit so exakt und visionär
vorhergesagt wie dieser Bestseller aus dem Jahre 1948. (Quelle: Manesse Verlag)
Nachwort & editorische Notiz
Die Romane nehmen stark Bezug auf die damalige politische Situation. Viele Erklärungen und Erläuterungen dazu findet man im Nachwort des jeweiligen Romans. Daher möchte ich die Geschichten gleichzeitig losgelöst davon betrachten und herausstellen, was wir in der und für die heutige(n) Zeit daraus mitnehmen können.
Ein negativer Aspekt, der mir aufgefallen ist: An einigen Stellen werden weiterhin (und das trotz Neuübersetzung) rassistische Begriffe verwendet ("1984"). Diese wurden, laut editorischer Notiz, übernommen, um so nah wie möglich am Original zu bleiben. Auch auf die Gefahr hin, dass es auf Unverständnis der (neuen) Leserschaft stoßen wird (auch in der Notiz angemerkt). So sehr ich die Bemühungen und die Ausgaben aus dem Manesse Verlag liebe und schätze, aber diese Entscheidung ist mir wirklich so unverständlich! Nicht nur, weil sich beim Lesen wirklich alles in einem krümmt, sondern auch, weil Orwells Romane den Nicht-Fortschritt zu einer besseren Gesellschaft thematisieren, da an fehlerhaftem, verletzendem, ausbeuterischem und diskriminierendem Umgang festgehalten wird. Gerade hier wäre doch die Nicht-Verwendung ein Zeichen dafür, dass wir Imstande sind, die Warnsignale aus solchen Romanen ernst zu nehmen und umzusetzen, statt sie weiterzutragen. So setzt es eher das Signal, dass wir nichts daraus gelernt haben und scheinbar nichts ändern wollen - und das unter dem Deckmantel des "Wahrens des Originals". Wirklich schade.
"Big Brother is watching you!" - Gesellschaftskritik pur. Plus...
George Orwell versteht es, die Gesellschaft und "das System" unter die Lupe zu nehmen, die Mechanismen der Beeinflussung und Lenkung zu sezieren. Dadurch sind die Geschichten sehr gesellschaftskritisch und wirken mit jeder Seite tatsächlich zunehmend deprimierender. Alles zieht sich immer mehr zusammen, die Freiheiten werden eingeschränkt, die Individualität geht verloren, die Arbeit steht an erster Stelle, die Wirtschaft muss florieren, das Geld muss fließen. Und jede*r soll unter ausreichend unter Kontrolle gehalten werden. Kurz gesagt: Das System hat dich im Griff.
Aber (!) es gibt auch kleine, wirklich sehr kleine, Lichtblicke. Diese sind dann erkennbar, wenn Figuren erwähnt werden, die sich dem entgegensetzen wollen und spüren, dass dieses Handeln nicht richtig sein kann. Besonders in "Farm der Tiere" ist diese Verwunderung über den negativen Wandel noch recht stark spürbar. Die Tiere können sich vielem nicht mehr entziehen oder etwas ausrichten, aber sie zeigen eine innere Skepsis der neuen Leitung von Napoleon gegenüber. Als Leser*in hat man noch einen Hauch Hoffnung, dass sich doch noch etwas ändern kann.
Auch in "1984" findet man ganz kleine Hoffnungsschimmer, wenn auch wirklich nicht stark ausgeprägt. Hier befinden wir uns bereits in einem System, das die Bewohner*innen komplett ausspioniert und in seinen Fängen hat. Jede*r hat Angst vor Jede*m und vor allem vor dem "Verschwinden".
Es ist wirklich schwierig zu sagen, dass die Geschichten etwas Positives in sich tragen. Ich war, nachdem ich beide beendet hatte, durchaus recht mitgenommen. Besonders "1984" sorgt für ein sehr beklemmendes Gefühl und Szenario, welches man danach erst einmal durch positive Abwechslung abschütteln muss. Es werden viele Systematiken mit politischer Wirksamkeit im Detail erklärt, die einem durchaus sehr vertraut vorkommen. Stichwort: Schere zwischen Arm und Reich und keine Nachteile für die sowieso schon Reichen und Mächtigen.
Und dennoch: Sie zeigen eben auch, dass wir uns noch an einem Punkt befinden, an dem diese Dystopien nicht unsere Wirklichkeit werden müssen. Dass wir noch die Möglichkeit haben sollten (hallo Politik) zum Beispiel die Unterschiede zwischen Arm und Reich nicht noch stärker werden zu lassen, sondern ein wirklich faires Miteinander zu schaffen.
"Farm der Tiere" vs. "1984"?
Vielleicht hat man schon durch die sehr starke Vermischung beider Romane meinerseits gemerkt, dass die Inhalte sich sehr ähneln. Und tatsächlich kam mir letztlich "Farm der Tiere" wie eine komprimierte (und noch etwas nettere) Version von "1984" vor.
Wie schon erwähnt, geht "1984" stärker ins Detail, was das System, in dem der Protagonist lebt und auch die gesamte Struktur hinter "Big Brother" betrifft. Obwohl es grundsätzlich interessant und wichtig ist, hat es sich beim Lesen manchmal zu ausufernd angefühlt. Was jedoch wiederum das Gefühl des Romans bestärkt hat, dass das System darauf ausgelegt ist, ermüdend zu sein, um nicht mehr nachdenken zu können / wollen.
In "Farm der Tiere" muss man als Leser*in mehr zwischen den Zeilen lesen und auch auf die kleinen Veränderungen innerhalb der Tierfarm achten. Hier mochte ich tatsächlich, dass der Roman zusätzlich mit "Ein Märchen" betitelt wird und man sich seinen Weg durch die Lügen bahnen muss. Wir befinden uns an einem Punkt, an dem das System zwar auf den Kopf gestellt werden soll, die Gier jedoch im Weg steht und zu einem erneut unfairen Leben führen wird. Es ist sozusagen die Warnung davor, dass sich die Geschichte, aufgrund falscher Absichten und exklusiv gewollter Vorteile, immer wiederholt. Einige der Tiere sind einem aber durch den Eifer und den guten Willen ans Herz gewachsen und sympathisch (zudem schwingt natürlich noch parallel die Kritik an der schlechten Tierhaltung und Ausbeutung mit, was ich immer befürworte!).
Bei "1984" fällt dieser Aspekt beinahe ausnahmslos weg. Selbst der Protagonist Winston Smith lässt manchmal Äußerungen fallen, die zeigen, dass er in gewissen Bereichen tiefer in der Maschinerie steckt, als er sich vielleicht eingestehen möchte und dagegen ankämpft. Besonders deutlich wurde das für mich bei den Beschreibungen der Frauen. Doch auch bei den Tieren spüren wir nach und nach den Druck, dem sie sich ausgesetzt fühlen.
Wer also erst einmal "leicht" in dieses Thema einsteigen möchte, dem würde ich zu Beginn "Farm der Tiere" empfehlen. Zwar auch nicht ohne, aber mit doch mehr Augenzwinkern. "1984" ist dann wirklich für alle, die keine Schwierigkeiten damit haben, sich in ein wirklich unangenehmes, beengtes und beängstigendes, dauerhaft beobachtetes Lebensmodell zu lesen.
Insgesamt mochte ich beide Romane sehr. Natürlich wegen der Thematik und Kritik. Zudem steht so viel Wichtiges in diesen Büchern, das wir nicht ignorieren sollten. "Farm der Tiere" fand ich noch ein klein wenig besser in seiner Scharfzüngigkeit und Bissigkeit. "1984" ist jedoch perfekt, um die Schwere und das ganze Ausmaß dieser Dystopievorstellung zu spüren.
"Die Leute verschwanden einfach, immer nachts. Der Name wurde aus den Registern getilgt, jede Aufzeichnung über alles, was man je getan hatte, wurde gelöscht, die frühere Existenz wurde geleugnet und dann vergessen. Man wurde abgeschafft, vernichtet: vaporisiert war der übliche Begriff." - 1984, S. 29
Die Ausgaben: "Farm der Tiere" (Engl. Original: "Animal Farm - A Tale"), Manesse Verlag, Übersetzer: Ulrich Blumenbach // "1984" (Engl. Original: "Nineteen-Eightyfour"), Manesse Verlag, Übersetzer: Gisbert Haefs // Beide Ausgaben mit farbigem Lesebändchen