Alles Licht, das wir nicht sehen von Anthony Doerr

August 14, 2016




(Original: "All the Light We Cannot See"/ 2014) btb, Übersetzer/in: Werner Löcher-Lawrence , 520 Seiten, Taschenbuch★★★(☆) 4 bis 5 Sterne
"In seinem Roman erzählt Anthony Doerr kenntnisreich und in einer wunderschönen Sprache, kunstvoll miteinander verwoben, die Geschichte zweier Jugendlicher im Zweiten Weltkrieg, der blinden Marie-Laure, die mit ihrem Vater aus dem besetzten Paris nach Saint-Malo flieht, und des jungen Waisen Werner, der in der Wehrmacht eingesetzt wird. Unaufhaltsam treibt die Geschichte sie aufeinander zu, spannend, labyrinthisch und atemlos."


MEINE MEINUNG | FAZIT

"´Sie werden sagen, dass du zu klein bist, Werner, dass dir die Herkunft fehlt und du keine großen Träume hegen sollst. Aber ich glaube an dich. Ich glaube, du wirst einmal etwas Großes tun.´
S.36

Subtil, realistisch und doch mit einem ganz eigenen Hauch von fantastischen Elementen. Eines kann ich sagen, dieses Buch ist keine leichte Kost, obwohl sie keineswegs ein bedrückendes Gefühl zurücklässt. Die Schilderungen von Erlebnissen der Protagonisten sind immer sehr fokussiert, manchmal etwas sehr ausführlich, aber immer sehr ausdrucksstark, so dass man sich als Leser gut in die verschiedenen Blickwinkel hineinversetzen kann. Es gibt nämlich nicht nur einen Erzähler, sondern mehrere Erzähler, die ihre Empfindungen schildern. Manchmal kann es, genau wie bei der Ausstellung in einem Museum, schwer sein, sich immer auf ein neues Bild einzulassen, welches andere Emotionen hervorruft, man fühlt sich ab einem Punkt einfach nicht mehr in der Lage, die Bilder bewusst wahrnehmen zu wollen. Anthony Doerr schafft es allerdings, diese verschiedenen Eindrücke so zu verbinden, dass man eben nicht dieses erdrückende Gefühl hat. Jede Figur steht einerseits für sich, symbolisiert verschiedene "Seiten" während des Krieges und zeigt ihre persönlichen Schicksale und Ängste auf. Hinzu kommt allerdings das geschickte Spiel mit den Gemeinsamkeiten, welche die Figuren haben. Dadurch entsteht eine zwar weitläufige und ausführliche, aber sehr emotionale Geschichte. Besondere Elemente, die typisch für Doerr zu sein scheinen, wie die Details zu verschiedenen Meerestieren haben sich gut mit den Charakteren und der Handlung verwoben. Alles trägt zu einer speziellen Szenerie bei und hat mich auch in Hinblick auf die verschiedenen "Schauplätze" überzeugen können. Die Tatsache, dass man viele Erlebnisse aus der Perspektive eines blinden Mädchens wahrnimmt, hat dazu beigetragen, dass man als Leser viel sensibler mitgelesen hat. Ich habe mich in diesen Stellen genauso ahnungslos gefühlt, wie Marie-Laure und habe wahnwitziger Weise versucht, leise zu sein und die im Buch beschriebenen Eindrücke, ebenfalls so wahrzunehmen, dass man sich mit seinem Gehör vorantastet. Man liest also mit, hat aber gleichzeitig das Gefühl, dass man wie Marie-Laure nur die Geräusche wahrnimmt und sich so der folgenden Handlung nähert.

"´Die Ausrüstung ist drinnen.´ Damit verschwindet er. Keine weiteren Erklärungen. Willkommen im Krieg.S. 324

Der Erzählstil Doerrs wurde von vielen bereits gelobt. Auch ich kann mich diesem Lob nur anschließen. Auch wenn ich an manchen Stellen das Gefühl hatte, dass sich die Geschichte etwas in die Länge zieht, ich fand nichts, das Geschrieben wurde langweilig, weil alles zu einem Gesamteindruck beigetragen hat, zu dem diese Ausführlichkeit einfach notwendig war. Als ich das Buch beendet habe, wusste ich bereits, dass ich die Sätze Doerrs vermissen werde. Auch wenn der Hauptaspekt des Buches auf die ruhige und bedrückende Situation während des Zweiten Weltkriegs anspielt, bekommt die Geschichte durch einen ganz besonderen Gegentand etwas beinahe Märchenhaftes. Dadurch verliert die Erzählung aber keineswegs ihre Authentizität oder lässt den Leser glauben, dass die Eindrücke des Krieges nicht realistisch wären. Der Aspekt des Märchenhaften wird nämlich ebenfalls sehr subtil eingebaut, sorgt aber dafür, dass eine bestimmte Spannung aufrecht gehalten wird. Diese Überlegung gefiel mir zudem auch sehr gut, da sie die Figuren ebenfalls miteinander verknüpft hat, genauso wie die Zentralisierung des Werks von Jules Verne "Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer". Auch hier wird die Liebe zur Literatur und zu Erzählungen geschickt mit den Figuren verbunden, und das über einen längeren Zeitraum hinweg. Die Abfolge der Begebenheiten, sprich, dass das Buch immer wieder Zeitsprünge macht, fand ich ebenfalls sehr gelungen. Sie sind recht strukturiert, sorgen aber dafür, dass dem Leser Fragen aufkommen, die er versucht in den nächsten Kapiteln zu beantworten. Auch hier bleibt man dadurch, dem Gesagten gegenüber, aufmerksam und versucht mögliche Parallelen zwischen den Figuren ausfindig zu machen. Natürlich nehmen die beiden Protagonisten Werner und Marie-Laure eine große Aufmerksamkeit des Lesers ein, dennoch gefiel mir, dass Doerr auch die "kleinen, normalen Bürger" in den Vordergrund stellt und ihre Wichtigkeit aufweist. So bekam man einen ganz guten Eindruck, wie notwendig jeder Widerstand im Krieg gewesen ist, und was Mut wirklich bedeutet hat.

"So viele Fenster bleiben dunkel Als wäre die Stadt zu einer Bibliothek voller Bücher in einer unbekannten Sprache geworden, was auf den riesigen Regalen steht, unlesbar, das Licht verloschen.." S.347


Beeindruckend intensiv, wenn auch subtil. Authentische Eindrücke des Zweiten Weltkrieges, verbunden mit einem feinen Schimmer fantastischer Elemente. Hat mich vor allem in den Kapiteln rund um das blinde Mädchen Marie-Laure überzeugt und hinterlässt bei mir allgemein das Gefühl, dass ich die Figuren, die Doerr geschaffen hat, vermissen werde. Zeigt wunderbar auf, wie vielseitig die Leben der Menschen sind, sich aber dennoch oftmals mehr ähneln, als man denkt und dass jeder Einzelne für eine Folge von Geschehnissen verantwortlich ist. Enthält zudem viele wertvolle und wichtige Aussagen, die man in ihrer Reichweite auch zwischen den Zeilen herausfiltern muss, welche das Buch aber zu etwas sehr Eigenem machen.






Vielen Dank an den btb Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!


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