Der weite Raum der Zeit von Jeanette Winterson

Mai 15, 2016











(Original: "Gap of Time"/ 2015), Knaus Verlag: Bibliografie  auf der Verlagsseite »,  288 Seiten,  gebunden,  Einzelband,   ★★★★() 4 bis 5 Sterne
Dieser Roman ist Teil der Reihe: Hogarth Shakespeare bei Knaus
"Der Londoner Investmentbanker Leo verdächtigt seine schwangere Frau MiMi, ihn mit seinem Jugendfreund Xeno zu betrügen. In rasender Eifersucht und blind gegenüber allen gegenteiligen Beweisen verstößt er MiMi und seine neugeborene Tochter Perdita. Durch einen glücklichen Zufall findet der Barpianist Shep das Baby und nimmt es mit nach Hause. Jahre später verliebt sich das Mädchen in einen jungen Mann – Xenos einzigen Sohn. Zusammen machen sie sich auf, das Rätsel ihrer Herkunft zu lösen und alte Wunden zu heilen, damit der Bann der Vergangenheit endlich gebrochen wird."


MEINE MEINUNG | FAZIT

"Dreizehn Monate hat das Kalenderjahr. Auf dem Mond ist die Zeitmessung eine andere. In achtundzwanzig Tagen hat der Mond die Erde einmal umkreist. Als suchte er etwas, das er verloren hat. Vor langer Zeit.“
S.129

Dass Menschen sich danach sehnen, die Vergangenheit zurückzuholen oder die Zeit zurück drehen zu können, zeigte uns schon F. Scott Fitzgerald mit seiner bekannten Figur des Jay Gatsby. Auch Jeanette Wintersons Roman verkörpert diese Sehnsucht und den Weg, den man auf sich nehmen muss, wenn man die Zeit zu lange verstreichen lässt. „Der weite Raum der Zeit“ ist ebenfalls Teil der Hogarth Shakespeare Reihe. Hier wird „Das Wintermärchen“ neu interpretiert. Meiner Meinung nach hat Winterson die Geschichte auf sehr interessante und sehr moderne Weise umgesetzt. Es werden zwar Protagonisten erschaffen, die altertümliche Namen tragen, dies dient aber vor allem dem Wiedererkennungswert aus Shakespeares Stücken. Das war definitiv hilfreich, da man dadurch die direkte Verbindung und die Unterschiede beider Geschichten wahrnehmen konnte. Alle üblichen Merkmale sind sehr modern. Es werden Metaphern verwendet, die durch das Hinzuziehen eines, von dem Protagonisten Xeno erstellten Computerspiels,  eine unfassbar breite Spanne an Auslegungen bietet und gleichzeitig den Kern der eigentlichen Aussage trifft. Dies wirkt aber nie „platt“, sondern weist immer einen sehr angenehm weichen Schreibstil auf, wie auch einen gedanklichen roten Faden, der sich mit jeder weiteren Seite zu einem wunderbaren Konstrukt bildet. Es gibt so viele schöne Passagen, die ich mir angemerkt habe, weil sie immer genau das Ausdrücken, worauf es wirklich ankommt. Die Figuren werden zwar zu Beginn, in einer kurzen Zusammenfassung des Shakespeares Stücks eingeleitet, entwickeln sich aber in Jeanette Wintersons Roman zu sehr eigenständigen und neuen Figuren. Das einzige kleine Manko, das ich ganz zum Schluss mit der Erzählweise hatte, war, dass mir das Ende zu abrupt und zu „Happy End“ mäßig war, obwohl ich die Strategie dahinter verstehen kann. Immerhin vergehen beinahe zwei Jahrzehnte, bevor sich alle Figuren wiedertreffen. 

Was für einen Nutzen hat die Zeit, wenn du keine hast?´“ S. 145

Obwohl ich auf den ersten Seiten noch etwas skeptisch war, ob mir die neue Interpretation gefallen würde, konnte ich zum Schluss nicht genug bekommen. Das lag nicht nur an der geschickten Gliederung, die zum Gefühl beitrug, dass man doch gewisse Teile von Shakespeares Einfluss deutlich wiedererkennen konnte, sondern auch an den vielen „träumerischen“ Ausdrücken und Gedankenanstößen, die die Autorin verwendet. Es gab Passagen, bei denen ich, nachdem ich sie gelesen habe, erst einmal eine kleine Pause gemacht habe, sie noch einmal gelesen habe. Manche Sätze fand ich so schön, dass sie ganz alleine für sich stehen könnten, ohne jegliche Geschichte, die sich darum bildet. Die Intention, aufzuzeigen, dass die Vergangenheit zwar nun einmal der Vergangenheit angehört, es aber immer noch eine Zukunft gibt, in der man vieles verändern kann, ist endlich mal wieder eine so schöne Botschaft, dass mich das Buch derzeit mitunter am meisten beeindruckt hat. In einer Zeit, in der man nur noch danach strebt, erfolgreich zu sein, ist es eine schöne Abwechslung, ein Buch zu lesen, das einen wieder an die wichtigen Dinge denken lässt und man sich ein Stück weit wieder inspiriert fühlt, sich selbst darüber klar zu werden, wie man die Zukunft für sich gestalten möchte um glücklich zu sein. Was mir noch zusätzlich zu der eigentlichen Geschichte gefallen hat, war der Epilog. Der sich nicht direkt auf die Geschichte bezieht, sondern in dem die Autorin selbst, einige Worte zu ihrer und der Geschichte Shakespeares sagt. Das hat für mich, das gesamte Werk noch einmal abgerundet.

"´Aber was tun´ fragte MiMi. ´Wenn du, um frei zu sein, alles um dich herum zerstören musst?´ ´Und sonst stirbst du?´ ´Ja. Und sonst stirbst du.´“ S. 75

Vergangenheit, Reue,  Lebenslinien und die Zeit an sich, in all ihren Facetten, bestimmen die Geschichte. Ein toller Schreibstil und interessante, zwar an Shakespeares Figuren angelehnte, aber doch sehr eigenständige Charaktere, bilden eine gute Verbindung zur erzählten Geschichte. Modern und mit vielen tollen Metaphern versehen. Nach einem etwas ungewissen Einstieg in das Buch, wurde das Werk eines meiner Favoriten dieses Jahr!





Vielen lieben Dank an den Knaus Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!


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