"Böses Glück" von Tove Ditlevsen

Juni 13, 2023


Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: "Paraplyen" & "Den onde lykke"/ 1952/63), Aufbau Verlag 2023, Übersetzer*in: Ursel Allenstein (aus dem Dänischen), , ★★★ 5 Sterne
Eine frisch verheiratete Frau sehnt sich obsessiv nach einem gelben Regenschirm. Ein Ehemann verjagt die geliebte Katze seiner Frau. Eine betrogene Mutter entlässt impulsiv ihre Haushälterin. Unter der Oberfläche dieser unbeirrbar scharf beobachteten Geschichten über Liebe und Beziehungen im Kopenhagen des 20. Jahrhunderts pulsieren Verlangen und Verzweiflung. Während vor allem die Frauen darum kämpfen, den ihnen zugewiesenen Rollen zu entkommen, träumen sie davon, frei und glücklich zu werden – ohne je ganz zu verstehen, was das wahrhaft bedeuten könnte. Luzide kartografiert Ditlevsen Momente des Alltags, die ein Leben in eine andere Richtung wenden. Der Band »Böses Glück« zeigt sie als Meisterin der kurzen Form.
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Tove Ditlevsen hat mich damals bereits mit ihrer Kopenhagen-Trilogie begeistert, daher war ich sofort Feuer und Flamme, als ich gesehen habe, dass ein Erzählband von ihr erscheint.
In "Böses Glück" habe ich in den fünfzehn kurzen Geschichten vieles wiedergefunden, das mir schon in den anderen Büchern gefallen hat, darüber hinaus habe ich Ditlevsens Kunst, Einblicke in den Alltag zu gewähren und gleichzeitig tief in die Seelen der Figuren blicken zu lassen, neu kennen und lieben gelernt.


Warum neigten völlig durchschnittliche Menschen eigentlich immer zu derart dramatischen Worten, wenn sie vom Unglück getroffen wurden? 
- S.155
 
 
Alle Erzählungen folgen einem thematischen Bezug, denn die Erzähler*innen sehnen sich nach einer Veränderung im Leben, einem Lichtblick, einer Aufmerksamkeit ihres Partners, die zeigt, dass sie nicht bloß wie Pappfiguren deren Lebenserfüllung dienen, sondern eben auch Anrecht auf eigenes Glück und die eigene Selbstverwirklichung haben. 
Der Clou ist jedoch auch, dass die Figuren in eine Art gedankliche Spirale fallen und die Szenarien ihrer "Befreiung" förmlich zurechtlegen. Kaum einer von ihnen kommt jedoch über den Punkt der Gedanken hinaus. Dies mag frustrierend klingen, das ist es beim Lesen teilweise auch, da man zum Beispiel merkt, wie stark sich dies auf den Bereich der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau bezieht und man nur den Kopf schütteln möchte. 
Jedoch merken wir auch, dass sich dennoch etwas in den Figuren verändert, die Realisierung der Wichtigkeit, dass sie zur Tat schreiten müssen, ist omnipräsent. Für mich gab es immer noch einen kleinen Funken, der suggeriert, dass sich die Figuren noch nicht aus den Situationen lösen können, dies aber eventuell außerhalb des Rahmens der Geschichte möglich wäre. Ich hatte tatsächlich den Eindruck, dass die Protagonist*innen außerhalb der Seiten also ihr Glück realisieren können. Das ist eine so große Leistung, vor allem für so kurze Erzählungen, dass mich fast jede Geschichte nach dem Ende selbst in eine Gedankenszenerie geschickt hat und ich so deutlich länger in den Leben der Figuren verbracht habe als zunächst gedacht.



„'Warum wolltest du ihr nicht geben was sie verlangt hat?', fragte sie. 'Wir haben doch das Geld.'
Die beiden Männer lachten herzlich.
'Frauen', sagte der Makler nachsichtig.“
 
- S. 136
 
 
Ich muss zugeben, dass viele Figuren mehr als unsympathisch sind. Dies gilt meist für die Partner*innen der Erzählstimmen.
Sie sind egoistisch, unverschämt, besserwisserisch und egozentrisch. Ditleven schafft es, diese Eigenschaften aber stets in einen geeigneten Kontext zu bringen. Man versteht jeden einzelnen Charakter, der auftaucht. Ob wegen sozialer Zwänge, der Angst, alleine zu sein oder verlassen zu werden, sich plötzlich weniger wert zu fühlen als das Gegenüber, seine eigene Trauer und Unzufriedenheit auf andere zu projizieren oder einfach nur dem anderen nichts gönnen zu wollen beziehungsweise können. Alle Figuren sind unfassbar greifbar und wirken in der erzählten Wechselwirkung zueinander einfach nur "echt".
Das bedeutet nicht, dass man sie dafür mehr wertschätzt oder ihr Handeln gegenüber anderen verzeiht. Aber sie erscheinen auf den wenigen Seiten ebenfalls so scharf vor dem eigenen Auge, dass man zumindest die Situation und deren Impulse nachempfinden kann.

Die letzte und titelgebende Geschichte war für mich eine schöne Überraschung. Auch hier ist das Erzählte von "Unglück" getrieben, aber wer Ditlevens Trilogie gelesen hat, wird hier erkennen, wie sie ihr eigenes Leben in der Geschichte verarbeitet.




In diesen fünfzehn Erzählungen findet man wenig heitere und aufmunternde Momente, dafür viele, in denen sich die Figuren nach etwas Besserem für sich sehnen. Und obwohl dies der Fall ist, hat mich der Erzählband mit einem guten Gefühl zurückgelassen, denn er zeigt mit den Geschichten gut auf, was für eine Beziehung man definitiv nicht führen will und erinnert/ bestärkt darin, die eigene Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit an niemanden abzugeben.
"Böses Glück" enthält trotz der angedeuteten Perspektivlosigkeit, kleine Lichtblicke und Ditlevsen hat in Kombination mit ihrem sehr eigenen Stil etwas Wichtiges und sehr Wertvolles geschaffen.

 

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