Rezensionsexemplar (Original: "J") von Howard Jacobson, DVA Verlag, ★★★★☆ 4 von 5 Sternen
Original-Klappentext: "Die Bewohner Port Reubens leben in scheinbarer Harmonie, sie hören nur noch Schnulzen und lesen kitschige Liebesromane, und nach dem schrecklichen Ereignis, über das nur als »Was geschah, falls es geschah« gesprochen wird, bekamen alle neue Namen. Kevern Cohen misstraut als Einziger dieser »großen Familie« und ihrer freiwilligen Ahnungs- und Meinungslosigkeit. Er ist ein Eigenbrötler, der die Bücher und Jazzplatten seines Vaters aufbewahrt hat und allein in einer Hütte auf den Felsen wohnt. Eines Tages wird ihm Ailinn Solomons vorgestellt, eine schwarzhaarige Schönheit, und die beiden fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Doch Keverns Unbehagen wächst: Ist ihre Liebe wirklich nur aus ihren spontanen Gefühlen genährt, oder haben andere Interesse an ihrer Beziehung? Ist er nur paranoid, oder werden sie tatsächlich überwacht und sind Teil eines allumfassenden, perfekt ausgeklügelten Plans?"
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"Die Leute wollten sich, wenn ein Musikstück begann, sicher sein, wohin es am Ende führte. Das Gleiche galt für Witz. Dessen Unvorhersehbarkeit verstörte die Menschen. Und Jazz war Witz in musikalischer Ausdrucksform." S. 24
Howard Jacobsons Roman beginnt mit der Einführung in eine Stadt, die anders zu sein scheint. Als Leser weiß man allerdings noch nicht genau, wie dieses "anders" definiert wird. Was mich überrascht hat war allerdings, dass das Buch unfassbar schwer zu "greifen" war. Das bezieht sich vorallem auf viele inhaltliche Dinge. Zunächst wusste ich überhaupt nicht, wie ich mir den Ort vorzustellen habe. Spielt es in unserer Zeit? In der Zukunft? Und wie sieht es dort überhaupt aus? Ich schwankte andauernd zwischen einer sehr altmodischen Stadt, wie beinahe zu Zeiten Sherlock Holmes und einer zwar modernen Welt, allerdings ohne die komplette Technik. Es war für mich wirklich schwierig einen Einstieg zu finden. Das hat sich auch nicht so schnell geändert. Generell kann ich das Buch nur sehr schwer beurteilen. Einerseits mochte ich die ganzen Verschlüsselungen, die Andeutungen an ein "was geschehen war, falls es geschehen war", aber man kam auch nie wirklich voran. Man denkt, man kommt dem Geheimnis auf die Schliche und im nächsten Moment ist alles wieder am Anfang. Vieles, was geschehen ist endet irgendwie abrupt und man weiß gar nicht, was nun, in Bezug auf einen Plan, mit den Hauptcharakteren geschehen soll. Es gibt zwar viele Hinweise auf eine, gesellschaftlich vor "langer" Zeit geschehene, Katastrophe, aber letztenendes ist man nicht viel schlauer als am Anfang. Paradoxerweise hatte ich das Gefühl, dass dies auch das Problem der Protagonisten war und der damit angedeuteten Beschreibung des Dorfes und der Gesellschaft an sich. So bleibt die Vergangenheit der Menscheit und deren Auswirkung auf den aktuellen Zustand in der Geschichte immer in gewisser weise ein Rätsel. Vieles wird angedeutet und man kann sich denken, was ungefähr vorgefallen sein konnte. Andererseits bleibt vieles auch unausgesprochen.
"´ Es gibt so vieles, worauf ich gern eine Antwort finden würde´, sagte er. ´Aber dann auch wieder nicht. Rätsel sind immer so banal, wenn man sie gelöst hat. Man tut besser daran, in Ungewissheit zu leben.´´" S. 362
Das gesamte Grundkonzept, welches Jacobson erschaffen hat fand ich wirklich interessant und auch innovativ. Er stellt das Mysterium um Port Reuben und auch ein Geschehnis, über das keiner wirklich redet in den Mittelpunkt und konstruiert drumherum ein Personengerüst. Es kommen viele Charaktere vor, die aus den verschiedensten Blickwinkeln berichten. Es sind immer Personen, die in engerer Verbindung zu den Hauptcharakteren Kevern und Ailinn stehen. Dadurch wird natürlich ein Hauptmerkmal auf diese beiden gelegt. Anfangs konnte ich nicht wirklich viel mit den Protagonisten anfangen. Mit der Zeit jedoch findet man beide so einzigartig, dass man mehr über sie wissen und vorallem herausfinden möchte, warum sie im Mittelpunkt des Geschehens stehen. Allerdings hat mir doch an manchen Stellen etwas mehr "Deutlichkeit" gefehlt. Es gab unheimlich viele Passagen, in denen ich das Gefühl hatte, dass die Gedankengänge unnötig in die Länge gezogen wurden. Dies geschah in Form von solchen "Wenn du denkst, dass du denkst, dann denk ich, das ich denke...." Konstrukten. Das hat das Verständnis des eigentlich Gesagten manchmal etwas in Mitleidenschaft gezogen. Andererseits bin ich mir sicher, dass diese ganzen Techniken von dem Autor gezielt eingesetzt wurden um die Einstellung der Gesellschaft zu verdeutlichen. Man hat als Leser wirklich das Gefühl, dass der Roman durchdacht ist, aber der Leser an sich, ist unfassbar "unzufrieden", wenn er kein zufriedenstellendes Ende in aussicht gestellt bekommt. Bei vielen Büchern kann das daher wirklich problematisch sein. Bei diesem hier, war es für mich eindeutig ein Zwischending. Ich mag das Buch und die Geschichte. Ich mochte die Blicke in die Vergangenheit und die Allgemeine Idee hinter der Geschichte. Aber wenn man als Leser das Gefühl hat, in einem Buch nicht weiterzukommen ist es schwierig es zu lieben. Auch wenn es von dem Autor so beabsichtigt ist und man es nachvollziehen kann. Der Titel des Buches und die im Buch beschriebene Anwendung des Buchstaben J, welcher zweimal durchgestrichen ist, fand ich ebenfalls interessant auch wenn es mir manchmal vorkam, als hätte ich auch hier wieder, das System dahinter nicht vollkommen verstanden.
Interessantes Konzept mit einer zum nachdenken anregenden Vergangenheit einer Gesellschaft, die viel Raum für Spekulationen lässt. Gute Verbindungen zu den Protagonisten und angenehm wechselnde Perspektiven. Hat mich aber leider an wenigen Stellen, als Leser nicht ganz zufriedenstellen können. Ich würde das Buch dennoch empfehlen, wenn man es verkraften kann, dass es keine genaue Gewissheit zu vielen Vorkomnissen gibt.
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