"Penelope und die zwölf Mägde" von Margaret Atwood

November 14, 2022


Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: "The Penelopiad"/ 2018) Goldmann/ Wunderraum Verlag 2022, Übersetzer*in: Marcus Ingendaay und Sabine Hübner (aus dem Englischen), ★★★★ 5 Sterne (Die Bewertug orientiert sich am englischen Original - Übersetzung hier ausgenommen)
Penelope – die spartanische Prinzessin gilt als Sinnbild der treu liebenden Ehefrau und Mutter, die jahrzehntelang geduldig die Heimkehr des heldenhaften Ehemanns erwartet. So erzählt es die »Odyssee«, aber ist es auch die Geschichte, die Penelope selbst erzählen würde? Nein, findet Margaret Atwood. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen hält ihre Penelope Rückschau auf ihr Leben, berichtet von der gnadenlosen Konkurrenz mit der hübschen Cousine Helena, von der Zwangsverheiratung mit Odysseus, einem Mann, dem der Ruf vorauseilte, ein Aufschneider zu sein, und den Intrigen und Skandalen am Hofe Ithakas. Ergänzt wird Penelopes Erzählung vom Chor ihrer Mägde, die ihren Dienst mit dem Leben bezahlten und nun nach Gerechtigkeit verlangen.

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Wenn Selbstverantwortung eine Tugend ist, so lernte ich sie jedenfalls in Rekordzeit. Denn ich wusste, in dieser Welt würde niemand für mich eintreten, schon gar nicht meine Familie. 
- S.25

 

Diese Neuerzählung, die die Sichtweise von Penelope wiedergibt, ist bereits vor vielen Jahren im Original erschienen. Lange habe ich damit gewartet, in die Geschichte und den neuen Blickwinkel einzutauchen, doch als ich die Neuausgabe aus dem Wunderraum entdeckt habe, dachte ich, es sei wirklich mal Zeit. 

Nun, vielleicht eines vorweg, bevor ich in die inhaltliche Kritik einsteige: Als ich die ersten Kapitel gelesen habe, war ich zunächst etwas verwundert. Für mich klang es nicht ganz nach dem Stil, den ich von Atwood gewohnt war. Vielleicht mag es anderen Leser*innen auch nicht so vorkommen, jedoch hat es mich dazu gebracht, zumindest einmal in die englische Leseprobe reinzuschauen. Und ich muss leider sagen, dass für mich der "Ton" des Erzählten ein doch etwas anderer, vielleicht sogar etwas kindlicher war. Im Original heißt es zum Beispiel an einer Stelle: "Not in the least", was in der Übersetzung mit "Ach, i wo" übersetzt wurde. Ebenso wurden auch kleinere Dinge geändert, um sie besser ans Original anpassen zu können, doch für mich ging genau dadurch der Stil des Originals verloren. Bereits der erste Satz "Now that I´m dead" vs. "Wenn ich einmal tot bin..." startet mit einem ganz anderen Einfluss auf die Leser*innen.
Leider hat sich dies an vielen Stellen, die ich zumindest direkt vergleichen konnte, fortgesetzt. Auch wenn ich weiß, dass dies eine sehr weitgefasste Kritik ist, da viele Leser*innen eben nur auf die deutsche Ausgabe blicken, kam ich nicht umhin, den Text nicht ganz als "Atwood"-Text lesen zu können.
Dabei möchte ich die Arbeit an der Übersetzung nicht schmälern, aber es ist doch so, dass ich die englische Version wahrscheinlich doch bevorzugt hätte, weil sie für mich, erwachsener, scharfzüngiger und auch an die Figur angepasster scheint.



Woran liegt es eigentlich, dass schöne Menschen immer meinen, alle Welt sei nur zu ihrer Belustigung geschaffen? 
- S.45f.


Steigen wir aber mal in die inhaltliche Ebene ein. 
 
Wer sich in den letzten Jahren den vielen mythologischen Neuerzählungen von Jennifer Saint, Madeline Miller, Claire North oder anderen gewidmet hat, der wird bei Atwood eventuell (positiv) überrascht sein, denn für mich war es im Vergleich zu den anderen deutlich temporeicher und durch die Einschübe der Chöre auch abwechslungsreicher.
Zugegeben, hier fehlt es eventuell an einer weitumfassenden Charakterisierung Penelopes. Soll heißen, es gibt keine seitenlangen Beschreibungen ihrer Gefühlswelt, sondern einen kompakten Einblick in ihre Gedanken, die jedoch vollkommen ausreichen, um ihre Bestürzung, Trauer und ihren Verlust erahnen zu können. 
 
Ich persönlich mochte zudem, dass wir Penelope kennenlernen, die frech, ermüdet von den Gepflogenheiten und Regeln ist, die sehr ironisch an uns herantritt, die sich jedoch auch nicht als plötzliche Superheldin entpuppt. Atwood schafft es, die Figur zwar in ein neues, stärker sichtbares Licht zu rücken, ohne einen "unrealistischen" Weg einzuschlagen, der sich gänzlich von der bekannten Mythe abhebt.
Kennt man sich zudem mit den Geschehnissen um Penelope herum einigermaßen gut aus (Stichwort auch Neuinterpretationen wie "Circe" von Madeline Miller), ist diese Geschichte besonders amüsant zu lesen, da viele kleine Hinweise und Verweise fallen, die sich gut einordnen lassen und oftmals mit einem Augenzwinkern betrachtet werden. 
 
Die Mischung aus Penelopes Ich-Erzählung (welche auch immer wieder neumodische und futuristische Dinge erwähnt), den Chor-Einschüben wie auch der zum Ende hin auftretenden Gerichtssequenz fand ich sehr gelungen. Hier trafen Mythologie und Neuzeit vollends aufeinander, was ich sehr spannend fand. 

 



Eine mythologische Neuerzählung, die Altes und Modernes gekonnt vereint. Das Zusammenspiel aus allen Erzählarten macht die Geschichte zu etwas Besonderem. Penelope ist eine durchaus angenehme Erzählerin, die ernst, aber auch ironisch von ihrem und dem Schicksal der zwölf Mägde berichtet. Für mich eine temporeiche, aber dennoch informative Lektüre, die mir inhaltlich sehr gefallen hat.

Ich persönlich fand leider an der ein oder anderen Stelle einige Übersetzungen nicht gänzlich gelungen, da sich der Ton vom Original unterschieden hat. Wer den Vergleich zum Original jedoch unbedeutend findet, der*die wird hier sicherlich so oder so eine Geschichte entdecken, die Wirkung hinterlässt.



8 Kommentare:

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  2. Eine sehr schöne Rezension, der ich aus vollem Herzen zustimmen kann. Ich finde deine Beobachtungen zur Übersetzung total spannend. Es ist ja wirklich eine schwierige Arbeit, von der ich vollsten Respekt habe, aber dass hier der Ton bzw. Penelopes Stimme und damit auch ihre Persönlichkeit so stark verändert wird, ist schon krass. Da lesen die Deutschen dann eine ganz andere Version, die nicht unbedingt schlecht oder falsch ist, aber eben wirklich weiter weg von Atwoods Absicht. Ich finde sowieso, dass viele der aktuellen Neuerzählungen im Vergleich zu dieser zu brav daherkommen. Wahrscheinlich versuchen sie historisch realistisch zu bleiben, wenn die Frauen sich nicht zu sehr aufbäumen, aber na ja, es sind doch Romane, ich wäre da wirklich für mehr sassyness und Sarkasmus so wie hier :)

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    1. Oh ja, du sprichst mir aus dem Herzen - mir ist klar, dass Frauen in der Vergangenheit vermutlich recht angepasst waren, aber ja, beim Lesen will ich starke Protagonistinnen, sass und Sarkasmus ♥

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    2. <3 Bin ganz bei dir: schwierige Aufgabe zu übersetzen und den "Ton" zu treffen. War aber beim direkten Vergleich einfach etwas enttäuscht.
      Und ja, hab auch das Gefühl, dass man das "Original" wahren will, aber dadurch werden viele Nacherzählungen etwas träge und behalten den Staub ein wenig an, der ihnen anlastet. Finde so losgelöste und aufgeweckte Versionen auch cool. :)

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  3. Ach i wo, wie furchtbaaaar! Wer übersetzt denn bitte so? Definitiv werde ich das Buch im Englischen lesen - schade nur um das schöne deutsche Cover...

    Danke auf jeden Fall, liebe Karin, für deine hilfreiche Rezension ♥

    Sonnige Grüße
    Ronja von oceanloveR

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    1. Finde das Cover auch super! Und natürlich ist der Großteil der Übersetzung auch sicherlich voll okay (habe ja nur den Anfang als Vergleich gehabt), aber wie Miss Bookiverse auch schrieb: Es ist, durch den veränderten Stil, dann doch eine etwas andere Version, als Atwoods... :/

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  4. Eine sehr gelungene und vor allem spannende und informative Rezension, die zum Nachdenken anregt. Schade um die Übersetzung.

    Zeilentänzerin

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    1. Danke dir!
      Finde es auch etwas schade. Aber ich weiß auch, dass ich da immer etwas strenger bin. Vielen Leser*innen wird es sicherlich auch in der Übersetzung gefallen. :)

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