Das Vermächtnis von Mary Shelley

November 04, 2022


Ach! Kein Sterblicher könnte das Grauen dieses Anblicks ertragen. Eine erneut zum Leben erwachte Mumie hätte nicht so entsetzlich sein können wie dieser Teufel. 
- S.84, Frankenstein - Manesse Bibliothek

 

Franken - Who?

 
Wer kennt Mary Shelleys Klassiker eigentlich nicht? Auch wenn man das Buch nicht gelesen hat, um die Einflüsse kommt man kaum herum. Seit der Veröffentlichung kennt man zumindest den Namen "Frankenstein" oder aber auch einige der zahlreichen Adaptionen, Filme, Werke, Halloweenkostüme und Anlehnungen an Frankensteins Monster. 
Ich selbst habe ziemlich lange gebraucht, um das Original zu entdecken und lieben zu lernen (erster Kontakt war in meinem Studium zum Thema der Entstehung der Gothic Novels), war aber durchaus seit langer Zeit ein großer Fan von jeglichen Verweisen (z.B. Remakes, Supernatural) zum Roman. Klar war für mich also, dass ich mich diesen Herbst an einige Bücher heranwagen wollte, die sich mit "Frankenstein" beschäftigen, aber auch einen näheren Blick auf die Frau werfen wollte, die dieses große Werk geschaffen hat: Mary Shelley. Herausgekommen ist eine kleine Liste an Romanen und Sachbüchern, die mich ebenfalls zu Shelleys Mutter geführt haben: Mary Wollstonecraft. 


Die Quelle und der Gruselklassiker: "Frankenstein" von Mary Shelley

 
Beginnen wir zunächst beim Klassiker. Shelleys Roman gilt als einer der Vorreiter der Gruselliteratur. Es gab vor allem in den letzten Jahren viele Stimmen, die vor allem das Treffen Shelleys mit ihren Freunden und Lord Byron in den Fokus stellten. Hier soll der Gedanke und die Idee zu "Frankenstein" gefallen sein. Byron wird einerseits nachgesagt, dass er so anstrengend gewesen sei, dass sich die Autorin zurückgezogen hat, um die Geschichte zu verfassen, es heißt jedoch auch, dass sie herausgefordert wurde, da niemand glauben wollte, dass eine Frau eine solch schaurige Erzählung schreiben könne.

Glück für uns, denn dadurch hat Shelleys Meisterwerk letztlich das Tageslicht erblickt. Ich habe "Frankenstein" (Rezension: Manesse Verlag Ausgabe) schon von den ersten Seiten an geliebt. Die Geschichte ist so clever, ehrlich und trotz des nicht vorhandenen Horrors, den wir heute mit dem Begriff verwenden, erschreckend, dass ich nicht anders konnte, als sofort Feuer und Flamme zu sein. Und das Wichtigste: Das Buch stellt ganz deutlich die Frage, wer hier eigentlich das wahre Monster ist.
Grusel als Mittel, um die psychologischen Eigenheiten zu konservieren. 


Nah am Original: "The Dark Descent of Elizabeth Frankenstein"

 
Da ich mich bei diesem Projekt zunächst nah ans Original halten wollte und nach einer guten Neuerzählung gesucht habe, bin ich auf "The Dark Descent von Elizabeth Frankenstein" von Kiersten White gestoßen.
Von diesem Roman wurde ich durchaus positiv überrascht. Ich habe einen Jugendroman mit kitschigen Elementen erwartet, bekommen habe ich jedoch eine wirklich gute Anlehnung an das Original, die eine weibliche Protagonistin in den Fokus stellt. Der Erzählstil ist hier auch der Vorlage nachempfunden, ebenso wie die gut getroffene Stimmung, wenn es um die Machenschaften von Victor Frankenstein geht und seine geheimen Verstecke, um seine Projekte weiterzuführen.

Die Idee, Elizabeth Frankenstein als Hauptfigur agieren zu lassen und dem Geheimnis rund um die fehlenden Körper(teile) und Morde auf die Schliche zu kommen war gut umgesetzt, auch wenn man natürlich weiß, worauf das Ganze hinausläuft. Es war eine Perspektive, die uns ermöglicht, zu erfahren, wie die Frau an der Seite beider (!) Monster versucht ihr Gewissen und das Beschützen der geliebten Personen vereinen zu können.
Für mich daher eine wirklich gelungene Nacherzählung, die vielleicht nicht viel Neues offenbart, die aber durch den neuen Blickwinkel zusätzliche Verbindungen zum Original heranzieht. 
 


It was a book. For some reason, though, it frightened me more than anything else in the room. Moving away from the horrible supplies, I opened the well-worn leather covers of Victor´s journal. 
- S.82, "The Dark Descent of Elizabeth Frankenstein"
 
 


Jugendbuch mit Köderversuch? "The Mary Shelley Club"

 
Der Grusel- und Gothic-Faktor ist in der Jugendliteratur, besonders im englischsprachigen Bereich, ebenfalls unfassbar beliebt geworden. Viele Bücher gehen dabei gerne in die Dark Academia Richtung. Unter all den Neuerscheinungen ist mir letztes Jahr jedoch auch "The Mary Shelly Club" von Goldy Modavsky aufgefallen.
Der Titel lässt eigentlich vermuten, dass die Geschichte einen starken Bezug zu Mary Shelly oder sogar "Frankenstein" haben könnte. Doch letztlich fühlte ich mich ein wenig mit leeren Versprechungen geködert. 

Der Gruselaspekt spielt hier definitiv eine Rolle, es geht nämlich um eine Gruppe Jugendlicher, die einem geheimen Club an der Schule angehören und gewisse Dinge planen. Hier und da werden auch nette Bezüge zu Shelley hervorgeholt. Zum Beispiel, wenn es darum geht den Namen des Clubs ins Spiel zu bringen, Hintergrundinformationen zu ihrer Person preiszugeben oder auch um ein vorgeschobenes Referat zu Mary Shelley aufzugreifen.
Abseits davon jedoch habe ich die Verbindung zu ihr als Schriftstellerin oder zu ihrem Werk sehr vermisst. Ohne zu viel vorwegzunehmen, da sich die Geschichte sehr schnell entwickelt und man beinahe immer etwas vorwegnehmen müsste, verstehe ich, dass die Idee des "Monsters im Gewand" irgendwo in dieser Interpretation drinnen steckt. Jedoch wollte es für mich nicht ganz zusammenpassen. 
Daher schien mir die Geschichte und der Versuch Shelley da mit einzubinden eher wie zwei verschiedene Partien, die sich nicht gestärkt, sondern eher ausgegrenzt haben. Sehr schade, da ich hier eigentlich viel Potential vermutet hatte.



It´s just you and your most base emotion. Fear is where the truth lies. 
- S.141, The Mary Shelley Club

Das Vermächtnis von Mary Wollstonecraft: "Love and Fury"

Eine sehr berührende Geschichte, die mich ebenfalls überzeugen konnte, befasst sich mit den Tagen, als Mary Shelley ein neugeborenes Baby war. In "Love and Fury" von Samantha Silva steht vor allem die Frau im Vordergrund, die Shelley geboren hat, ihre Mutter Mary Wollstonecraft. 

Wir folgen den einzigen elf Tagen, die Mutter und Tochter gemeinsam verbringen konnten, bevor Wollstonecraft nach der Geburt verstarb. Was sich so zusammengefasst schon bitter anhört, entspinnte sich in diesem Roman für mich zu einer wirklich intensiven Erzählung. Hier und da wird auf die Hin- und Hergerissenheit der Mutter verwiesen, dass sie selbstbestimmt sein wollte und sich doch nach der großen Liebe, ja sogar Heirat gesehnt hat. Vor allem jedoch wird deutlich, dass die Verbindung zwischen den beiden auch in dieser kurzen Zeit wahrlich intensiv gewesen sein musste und William Godwin, Shelleys Vater, viel an Mary weitergegeben hat, um dies aufrechtzuerhalten.
Wichtig hier: der Grundstein, der für Shelley später essentiell wird. Ein selbstbestimmtes und als Frau unabhängiges Leben führen zu können. Der Roman orientiert sich hierbei stark an den vielen Kämpfen, die Wollstonecraft mit ihren Arbeiten und Aussagen austragen musste, welche sie aber eben auch an Shelley vermacht hat.

Ich mochte die zurückhaltende Art und Weise. Ich mochte, dass die Geschichte irgendwie leise und langsam voranschreitet, auch wenn die Jahre schnell vorbeilaufen und zum Beispiel die blutigen Aufstände in Paris thematisiert werden. Es fühlte sich an, wie eine sehr wichtige Erzählung, die intim ist und die Beziehung nicht in einen Abgrund der Faszination zieht, sondern sich auf das Wesentliche bezieht - die Liebe. 

 


Take a step back: "Romantic Outlaws"

 
Zugegeben, noch einen Schritt zurück kann man kaum gehen, wenn man Mary Shelley in Romanform bereits als Baby kennengelernt hat. Aber wie viel Wahrheit steckt in so einem Roman?

Um also herauszufinden in wieweit die beschriebenen Dinge so stimmen, habe ich mir als letztes noch das Monster von einem Buch "Romantic Outlaws" von Charlotte Gordon vorgenommen.
Hier wird deutlich, wie nah zum Beispiel Samantha Silva bei der Wahrheit und den Fakten geblieben ist. Bereits die ersten Kapitel offenbaren vieles, das Silva in ihrem Roman über Wollstonecraft verwendet hat.

Darüber hinaus erfährt man interessanterweise aber eben auch, dass zwischen Mary Shelley und ihrem Vater durchaus auch Stimmungen geherrscht haben, die nicht immer friedlich waren, man erhält detailliertere Einblicke in die verschiedenen Gesellschaften, in denen sich beide Frauen beweget haben und natürlich auch wie ihre Arbeiten, auch schriftstellerischer Natur, geprägt wurden und entstanden sind. 
Wir erhalten zudem nicht nur gut recherchierte Zeitangaben und Hintergrundinformationen, sondern können noch zusätzlich ein wenig in der Vergangenheit schwelgen, da oftmals alte Gemälde, Abbildungen sowie andere Zusätze mit eingebunden sind. Besonders spannend für mich zu sehen war: eine Kopie des Manuskripts (vom Anfang) von "Frankenstein", verfasst von Shelley. 
Dieses Buch ist daher mit Sicherheit mehr als ein guter Einstieg in die Thematik. Wer sich auch nur ansatzweise für die Geschichte hinter "Frankenstein" interessiert, wird hier absolut fündig!



Now, daughter, I´m to tell you a story to coax you into the world. When Mrs. B says it´s the darkness that binds us, I know she means nothing by it; they are words to ease my time. 
- S.9, Love and Fury




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