Zwei Memoiren, die ihr unbedingt lesen solltet

September 29, 2022

 

I´m tired of people approaching me like they own me. Like I owe them something. I didn´t choose this life. Mom did. 
- I´m Glad My Mom Died, Jennette McCurdy, S.120

 

Das letzte Mal, dass mich Biografien oder Memoiren einer bekannten Persönlichkeit wirklich interessiert haben, ist schon etwas länger her. Hier und da warf ich mal ein Auge auf die Bücher von Lily Collins, Viola Davis oder anderen, der Drang, das Buch aber direkt lesen zu wollen, fehlte.
Anders bei diesen zwei Memoiren, die erst vor kurzem erschienen sind: "I´m Glad My Mom Died" von Jennette McCurdy und "Mean Baby" von Selma Blair. Beide Bücher beschäftigen sich stark mit dem Erwachsenwerden - im Hintergrund als prägende Figur jedoch: die Mütter. Bei McCurdys Buch ist dies sicherlich nicht verwunderlich, da bereits der Buchtitel darauf verweist, bei Blairs Memoire entdeckt man erschreckenderweise einige Parallelen, obwohl ihre Mutter gleichzeitig nicht wirklich kritisiert wird. Darüber hinaus gibt es aber natürlich auch einige Unterschiede.


"I´m Glad My Mom Died" von Jennette McCurdy  (Erscheint 24.5.2023 in deutscher Übersetzung beim Fischer Verlag): McCurdy ist primär als Kinderstar der Serie "iCarly" bekannt geworden. Dort spielt sie ein etwas mürrisches, wenn auch selbstsicheres Mädchen, das sich für keinen Streich zu schade ist. Man begeht oftmals den Fehler, dass man die Rollen der Personen auch auf sie im Privaten überträgt und denkt, so sei ihr Charakter zum Teil auch. Ich persönlich hätte also nie damit gerechnet, was sich hinter der Fassade verbirgt. 

In ihrem Memoire fokussiert sich Jennette McCurdy auf die Wirkung, die das Verhalten ihrer Mutter auf sie hatte. Dies ist somit der rote Faden, der sich durch ihre Geschichte zieht. Wie ist sie aufgewachsen, wie hat sie mit ihrer Mutter kommuniziert, wie hat sie mit ihr zusammengelebt? Man muss schon sagen, dass es an vielen Stellen wirklich schwierig ist, die Dinge nachvollziehen und verstehen zu wollen, denn es offenbaren sich wirklich pikante und sehr problematische Details, die dafür gesorgt haben, dass die Schauspielerin auch heute noch in Therapie ist.
Der Stil des Erzählten passt sich dem Alter der Schauspielerin an. Zu Beginn merkt man die kindliche Stimme raus, die der Mutter blind vertraut und sie als Ankerpunkt sieht. Mit der Zeit wird es derber, distanzierter und ja, auch ein wenig verzweifelter. Wie gesagt, es ist schwierig, sich vor Augen zu führen, dass ein junger Mensch wirklich so behandelt wurde und all die angesprochenen Dinge erlebt hat. Für mich gehört das Buch sicherlich zu einem der emotionalsten, das ich gelesen habe. 

McCurdy gibt zudem Einblicke in das Showgeschäft, in das sie hineingeschubst und in dem sie erwachsen wurde. Was geschah am Set von iCarly, wieso hat sie sich für das Spinoff "Sam & Cat" entschieden? Es ist vielleicht sogar eine Abrechnung mit dem Verhalten der Erwachsenen, die (ihre eigenen) Kinder als Geldquelle, Schutzschild und Erweiterung ihrer Selbstverwirklichung benutzen.


"Mean Baby" von Selma Blair: Selma Blair ist im Gegensatz zu McCurdy vielleicht etwas breiter aufgestellt, was ihre beruflichen Erfolge betrifft. Ihre Karriere begann nicht als Kinderstar, sondern vergleichsweise recht spät. Mir war sie vor allem bekannt aus "Natürlich Blond" (liebe ich!) und "Cruel Intentions" (im Deutschen "Eiskalte Engel"). Viele kennen sie jedoch auch aus den Filmen "Hellboy" oder als Muse der großen Karl Lagerfeld. 

Obwohl Blair augenscheinlich keinen so ausdrucksstarken Titel für ihr Buch gewählt hat, ist es nicht weniger emotional. Blair ist etwas sprunghafter, was die Abfolge der Ereignisse betrifft, hält sich kürzer und bringt alles recht schnell auf den Punkt. Zugegeben, an einigen Stellen wirkt es daher etwas zusammenhangsloser als bei McCurdy, jedoch treffen einige Sätze so ins Herz, dass man dies nicht als negativ sieht.
Selma Blair beschreibt ihre Zeit als "Mean Baby", denn so haben sie alle genannt. Ein Kind, das gemein ist, das nicht im Mittelpunkt steht, sondern immer die Nebenrolle ausfüllt. Für sie also ein Anreiz, dies zu ändern, in dem sie sich manchmal unmoralisch verhält. Ehrlich gesagt, habe ich sie immer für ihre "Coolness" bewundert, die sie ausstrahlte. Ich dachte, sie sei die Art von Mensch, die unnahbar ist, die eben zu cool ist, um sich mit nichtigen Dingen zu beschäftigen. Sie ist hübsch, erfolgreich und sicherlich bei allen beliebt. Auch hier war es für mich so traurig und erschreckend zu sehen, wie falsch die Wirkung nach außen manchmal sein kann. Blair kämpfte ebenfalls mit nicht nur einer emotionalen Belastung und versuchte sich von Jahr zu Jahr "weiterzuschleppen".
Es ist natürlich anmaßend zu sagen, man kenne die Person nun, nachdem man die Memoiren gelesen hat, aber es ist tatsächlich so, dass man erkennt, wie viel der Selbstzweifel in jedem von uns stecken und wie viel Kraft es auch scheinbar "erfolgreiche" und berühmte Menschen kostet, ein halbwegs glückliches Leben führen zu können. 

Der rote Faden hier sind sicherlich die vielen Andeutungen an den Beginn und den letztlichen Ausbruch ihrer Krankheit, Multiple Sklerose. In den letzten Jahren hat sie sich öfters selbstbewusst auf dem roten Teppich präsentiert, um die Krankheit nicht stillschweigend hinzunehmen und zu verstecken, sondern als Botschafterin darüber aufzuklären.

 


My mother just laughed. She kept on laughing as she told the story for years. "What a drama queen! What an actress! Dragging that leg across the floor!"
I learned that I couldn´t show pain, and I certainly couldn´t talk about it. To do so would only provoke laughter.
 
- Mean Baby, Selma Blair, S.58

 

So sehr ich euch beide Memoiren ans Herz lege, möchte ich dies nicht ohne eine Vorwarnung (Trigger Warnung) machen. Die Schilderungen thematisieren Verlust und andere Erlebnisse, die sicherlich nicht für jeden leicht zu lesen, ertragen und verarbeiten sind. 

Bei "I´m Glad My Mom Died" wird unter anderem Folgendes erwähnt und beschrieben: Bulimie, Anorexie, emotionaler und körperlicher Missbrauch, Alkoholsucht, Selbstgefährdung.

Bei "Mean Baby" wird unter anderem Folgendes erwähnt und beschrieben: Anorexie, emotionaler Missbrauch, Alkoholsucht, Vergewaltigung, Multiple Sklerose, Krebs, Tod.

Der emotionale Missbrauch wird hier nicht so benannt wie bei McCurdy. Bei vielen Äußerungen und Einflüssen der Mutter von Selma Blair erkennt man jedoch, dass sie gezielt gewisse Mechanismen benutzt hat, um ihre Tochter zu lenken oder sogar unter Druck zu setzen. Für mich war es erschreckend (so kurz nach McCurdy) davon zu lesen, aber in einer Art, als sei das "eben ihre Mutter". Die starke Kritik an dem Verhalten blieb hier aus, obwohl ersichtlich ist, dass dies, zumindest in diesen beschriebenen Auszügen der Situationen, kein gesundes "Mutter-Tochter"-Verhältnis ist.

 

Kurz und knapp: Diese beiden Memoiren sind nicht aufgrund ihrer vermeintlichen Inside-Einblicke ins Showgeschäft (Gossip) lesenswert, sondern aufgrund der wirklich bewegenden Schilderung beider Frauen, ihre eigene Stimme zu finden. Sie lösen sich von vielen Zwängen, erkennen Schwächen an, gehen jedoch stärker (wenn auch mit Rückschlägen) aus den Situationen heraus. Man hat das Gefühl, dass sie absolut nichts beschönigen und diese Memoiren gebraucht haben, um unter gewisse Themen einen Schlussstrich zu ziehen sowie gleichzeitig auf Missstände in gewissen Bereichen aufmerksam zu machen oder ein Zeichen gegen Stigmatisierung von Krankheiten zu setzen. 

Zwar kannte ich beide Schauspielerinnen und habe mich für ihre Einsichten interessiert, ich bin mir jedoch sicher, dass diese Schilderungen genauso emotional für Leser*innen sind, die sie nicht kennen. Das Erlebte orientiert sich an den Erfolgen, ist aber auch losgelöst davon eine sehr psychologische Aufarbeitung dessen, was widerfahren ist. Und dies ist auch ohne Vorkenntnis der Personen absolut lesenswert.

 

 



2 Kommentare:

  1. Hallo Karin, über diesen Beitrag freue ich mich, da ich mich mit dem Buch von Jennette McCurdy viel beschäftigt, es aber bisher nicht gelesen habe. Der sehr provokante Titel hat mich irgendwie noch abgehalten, andererseits auch neugierig gemacht und wenn man das Buch liest, wird sich vieles relativieren, nehme ich an.

    Liebe Grüße,
    Zeilentänzerin

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    1. Hey! :)

      Ja, ich war vom Titel auch etwas verunsichert, aber das Buch lenkt eben in die Richtung, dass ihr dadurch der "Balast", der ihr aufgeladen wurde, etwas genommen wurde. Also wirklich relativiert wird es nicht, aber sie sagt zumindest auch offen, dass sie ihre Mutter nicht hasst/ gehasst hat.
      Ist sicherlich kein einfach zu verdauendes Buch!

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