Normale Menschen von Sally Rooney

August 18, 2020

Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: "Normal People"/ 2018), Luchterhand Verlag (2020), Übersetzer/in: Zoe Beck (aus dem Englischen), ★★★(★)☆ 3,5 Sterne
"Die Geschichte einer intensiven Liebe: Connell und Marianne wachsen in derselben Kleinstadt im Westen Irlands auf, aber das ist auch schon alles, was sie gemein haben. In der Schule ist Connell beliebt, der Star der Fußballmannschaft, Marianne die komische Außenseiterin. Doch als die beiden miteinander reden, geschieht etwas mit ihnen, das ihr Leben verändert. Und auch später, an der Universität in Dublin, werden sie, obwohl sie versuchen, einander fern zu bleiben, immer wieder magnetisch, unwiderstehlich voneinander angezogen. Eine Geschichte über Faszination und Freundschaft, über Sex und Macht."
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"Mit nur ein klein wenig List kann er zwei voneinander völlig unabhängige Existenzen führen, ohne sich je der ultimativen Frage stellen zu müssen, was er mit sich anfangen soll oder was für ein Mensch er ist. Dieser Gedanke ist so tröstlich, dass er ein paar Sekunden lang Mariannes Blick meidet, weil er diesen Glauben noch ein klein bisschen aufrechterhalten will. Er weiß, dass er nicht mehr daran glauben kann, wenn er sie ansieht." S.37

Was heißt es schon "normal" zu sein? Und was heißt es überhaupt in Sally Rooneys Roman "normal" zu sein? Ernüchternd stellt man wohl fest, was man schon längst vermutet und gewusst hat: Ein "Normalsein" gibt es nicht. Die Protagonist*innen in Rooneys Roman zeigen dies mehr als deutlich auf. Sie versuchen einer vermeintlich gesellschaftlich anerkannten Spur zu folgen. Einer, die dir sagt, was richtig und falsch ist, was akzeptabel und inakzeptabel ist, was sogar prüde, verpönt oder noch im romantischen Bereich liegt. Letztlich, so scheint es, fliegt jeder aus diesem Raster. Und man kann es ihnen nicht verübeln, denn, auch wenn nur fiktiv, es sind Menschen. Menschen, die Fehler machen, die in einem Umfeld aufgewachsen sind, das nicht als "cool" oder "chic" gilt oder die zwar laut Statussymbolen als anerkanntes Mitglied der Gesellschaft gelten sollten, aber durch ihr charakterliches Verhalten nicht akzeptiert oder zumindest schief beäugt werden. 

Ja, Sally Rooney hat so einiges zu bieten und betrachte ich den Roman als Ganzes, was ja nicht verkehrt ist, mochte ich ihn. Auch mit den sehr fragwürdigen Verhaltensweisen, kam ich nicht umhin Connell und Marianne ins Herz zu schließen. Vielleicht, so schien es mir zwischenzeitlich, lag es an der geschickten Lenkung, dass man die Figuren ständig nur in den Arm nehmen und ihnen sagen möchte, dass es okay ist Angst zu haben, sich unsicher zu fühlen, Freundschaften zu beenden und neue Lieben anzufangen. Dass das Leben (wir wissen es alle) nicht immer fair zu einem ist und man Fehler machen wird, dass es aber dennoch darauf ankommt, anderen gegenüber fair zu sein.

"Nach einer Weile hört er sie etwas sagen, das er nicht versteht. Ich hab´s nicht richtig gehört, sagt er.
Ich weiß nicht, was mit mir nicht stimmt, sagt Marianne. Ich weiß nicht, warum ich nicht einfach wie ein normaler Mensch sein kann." 
S.217

Und genau da traten dann für mich die Schwierigkeiten auf. Ich kann wie gesagt nicht sagen, dass ich Connell und Marianne nicht mochte, aber ich tat mich an vielen Stellen schwer mit ihren Handlungen, mit ihren Ausdrücken (was sicherlich eine persönliche Sache ist) und mit ihrem doch sehr fokussierten Denken bezüglich der Körperlichkeit. Ich verstehe, dass der Roman damit spielt, dass man seelische Leere mit körperlicher Nähe ausgleichen möchte, doch letztlich wirkte der Roman dann an einigen Stellen plötzlich so banal, wo er doch ganz grundlegende und wichtige Aspekte der menschlichen Psyche und Kommunikation abdeckt. 
Ich fand es zum Beispiel wahnsinnig geglückt, wie eine Situation aus zwei Blickwinkeln, durch die Vorerfahrung beider Charaktere, ganz anders aufgefasst wird und somit zu einem Missverständnis führt. Diese Feinheiten gingen für mich aber eben leider manchmal zu schnell unter. 
Was die Beziehung zwischen Connell und Marianne selbst angeht, da möchte man eigentlich nur "puuuh" sagen. Es ist eine sehr komplexe und komplizierte Beziehung, Beide haben ihre Mechanismen, mit denen sie den anderen lenken und beide fühlen sich doch immer gefangen in einer Gefühlswelt, die sie nicht hundertprozentig glücklich macht. Ich wusste am Ende einfach nicht mehr, ob das eben eine romantische Art ist, zu zeigen, dass es immer jemanden gibt, mit dem man für immer verbunden bleibt oder ob das alles einfach ganz fürchterlich falsch läuft und man sich fragt, was das alles soll. 

Ebenso fand ich es schade, dass besonders der Anfang wie ein unausgereifter Jugendroman wirkte. Auch wenn ich weiß, dass der Fokus hier auf der Jugendliebe und den frühen Erlebnissen beider liegt, so schien mir der Beginn gar nicht dem Folgenden gerecht zu werden. Zum Ende hin fand ich viele Überlegungen, Gespräche und auch kleine ironische Bemerkungen wunderbar platziert und geschickt aufgegriffen. 

Was mich vielleicht auch ein wenig positiv beeinflusst hat, war ist die Tatsache, dass es bereits eine Serienverfilmung des Romans gibt. Beim Lesen hatte ich dadurch bereits stets eine sehr cineastische Vorstellung im Kopf. Ich denke, dadurch habe ich den Roman zusätzlich als etwas stimmungsvoller empfunden. 
Mir gefielen aber grundsätzlich die größeren Zeitsprünge, da man die mögliche Entwicklung oder den Stillstand der Figuren besser wahrnehmen konnte.

"Connell bekommt immer, was er will, und tut sich dann selbst leid, wenn das, was er will, ihn nicht glücklich macht."  S.43


Ein Roman, der (für mich) wie etwas zwischen leichtem Jugendroman und hochkomplex psychologischem Drama wirkt. Ich mochte die Protagonisten, empfand ihre Beziehung und ihr Verhalten aber, trotz allgemein schöner unterschwelliger Botschaft, durchaus als problematisch. Es ist eine Geschichte, die für ordentlich Gesprächsstoff sorgen kann und die Leser*innen irgendwie fragt, ob sie das ganze wohl "normal" finden. Auch wenn ich viele Aspekte mochte, gab es auch einiges, mit dem ich mich nicht gänzlich anfreunden konnte. Das betrifft hauptsächlich einige manchmal flapsig wirkende Kapitel und die vulgäre Ausdrucksweise. Nichtsdestotrotz kann ich sagen, dass ich den Roman grundsätzlich gerne gelesen habe und es zu schätzen weiß, dass hier keine typischen "Geschlechterklischees" bedient werden.


2 Kommentare:

  1. Hallo Karin

    Das Buch steht auch noch auf meiner Wunschliste und falls ich ein Leseexemplar bekomme, dann werde ich es in Kürze sicher auch lesen. :) Schade, dass dich das Buch nicht vollends überzeugen konnte, bei all dem Hype, habe ich ja grosse Erwartungen. Aber ich kann deine Kritikpunkte verstehen und bin schon gespannt, ob es mir beim Lesen ähnlich ergehen wird und ich auch genervt sein werde, von den Handlungen einiger Charaktere.

    Liebe Grüsse
    Mel

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    1. Oh, hoffe du bekommst es zugeschickt (Daumen sind gedrückt, aber ich bin zuversichtlich). Wünsche dir schon vorab viel Spaß damit! Im Nachhinein habe ich das Gefühl, dass das Buch 4 Punkte verdient hätte, aber wenn ich an die Details zurückdenke, die mir nicht gefallen haben, fange ich wieder an zu schwanken. :D Es ist wirklich ein hin und her.

      Bin daher auch sehr auf deine Meinung gespannt und werde bei deiner Rezension sicherlich vorbeischauen!


      Liebe Grüße
      Karin

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