(Original: "You Let Me In"/ 2020) Bantam Prress (Imprint Penguin Randomhouse UK), Übersetzer/in: -, ★★★★(☆) 4,5 Sterne
Jeder weiß, dass die Bestseller-Schriftstellerin Cassandra Tipp zwei Mal mit Mord davongekommen ist. Sogar ihre Familie ist von ihrer Schuld überzeugt. Als sie plötzlich verschwindet und nur einen Brief zurücklässt, weiß niemand, was er davon halten soll.
Der Brief ist nicht das, was alle erwartet haben. Statt eines Geständnisses, erzählt er zwei dunkle und recht verstörende Geschichten. In einer geht es um blutige Nächte, Kinder, verlorengegangen an die Wälder, um Ehemänner, gemacht aus Blättern, Zweigen und Knochen. In der anderen geht es um ein kleines Mädchen, das schlecht behandelt wurde und im Schatten der Welt groß geworden ist.
Beide Geschichten könnten wahr sein. Beide enden mit Mord. Aber ist es eine Erzählung einer übernatürlichen Verführung oder die Erzählung eines gebrochenen Kindes? Es liegt an den Leser*innen dies herauszufinden....
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"It´s a drag. I know. But sometimes the world is just cruel. And you do want to know, don´t you? Want to know if those stories your mother told are true. If I really killed them all. If I am that mad." S.71
Glaubst du nur an das, was du sehen kannst?
Der Roman von Camilla Bruce ist eine Mischung aus psychologischem Therapiegespräch und fantasievollem Märchenschocker. Besonders geglückt ist hier nicht nur die Zusammensetzung dieser beiden Aspekte, sondern auch die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Erzählerin. Ständig schwankt man zwischen der vollkommenen Akzeptanz dessen, was sie sagt und des absoluten Widerstands der Möglichkeit, dass es sich um die Realität handelt. Als Leser*in wird man dazu aufgefordert, den logischen Verstand mit dem Gedanken an das Unmögliche und Phantastische zu verknüpfen.
Auf den wenigen Seiten schafft es die Autorin, die Geschichte so unfassbar lebendig zu machen, dass man sich zwangsläufig das eine oder andere Mal zur Seite umschaut, ob man nicht selbst jemanden erhascht, der einen beobachtet und die Chance wittert, die Grenzen unserer Realität zu sprengen.
Die Atmosphäre ist durchgängig düster und durchaus kalt, sprüht dabei aber gleichzeitig auch vor einer gewissen Stärke, welche die Protagonistin Cassandra für sich beansprucht. Ich war hin und hergerissen, ob ich ihr vertraue, sie schätze oder mich vor ihr ängstige. Irgendwie verbindet sie alle Eindrücke miteinander und sorgt dafür, dass man ihrer Geschichte zumindest nicht uninteressiert lauscht, sei sie nun das, was sie vorgibt zu sein oder bloße Einbildung.
Mit Feingefühl wird stets dafür gesorgt, dass beide Sichtweisen und mögliche Begebenheiten von Zweifeln umgeben sind. Auch nach Beenden des Romans bleibt man mit einigen offenen Fragen zurück.
Der Roman von Camilla Bruce ist eine Mischung aus psychologischem Therapiegespräch und fantasievollem Märchenschocker. Besonders geglückt ist hier nicht nur die Zusammensetzung dieser beiden Aspekte, sondern auch die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Erzählerin. Ständig schwankt man zwischen der vollkommenen Akzeptanz dessen, was sie sagt und des absoluten Widerstands der Möglichkeit, dass es sich um die Realität handelt. Als Leser*in wird man dazu aufgefordert, den logischen Verstand mit dem Gedanken an das Unmögliche und Phantastische zu verknüpfen.
Auf den wenigen Seiten schafft es die Autorin, die Geschichte so unfassbar lebendig zu machen, dass man sich zwangsläufig das eine oder andere Mal zur Seite umschaut, ob man nicht selbst jemanden erhascht, der einen beobachtet und die Chance wittert, die Grenzen unserer Realität zu sprengen.
Die Atmosphäre ist durchgängig düster und durchaus kalt, sprüht dabei aber gleichzeitig auch vor einer gewissen Stärke, welche die Protagonistin Cassandra für sich beansprucht. Ich war hin und hergerissen, ob ich ihr vertraue, sie schätze oder mich vor ihr ängstige. Irgendwie verbindet sie alle Eindrücke miteinander und sorgt dafür, dass man ihrer Geschichte zumindest nicht uninteressiert lauscht, sei sie nun das, was sie vorgibt zu sein oder bloße Einbildung.
Mit Feingefühl wird stets dafür gesorgt, dass beide Sichtweisen und mögliche Begebenheiten von Zweifeln umgeben sind. Auch nach Beenden des Romans bleibt man mit einigen offenen Fragen zurück.
"Even before I met Dr. Martin, Pepper-Man had left very little room for anyone else in my life, I had no friends, no playmates, no confidantes. Even when he wasn´t present, Pepper-Man was there, coloring my world in twilight shades. His world was a dangerous place for a little girl, violent and cruel despite all his wonders." S. 51
Rückblickend würde ich sagen, dass mir aber besonders der Anfang und das Ende sehr gut gefallen haben. Im Mittelteil schien die Geschichte etwas zu pausieren beziehungsweise (etwas unnötig?) ausgedehnt zu werden, aber dies wird durch die letzten Kapitel definitiv wieder aufgewertet. Das Ende hat mich mit einer wirklichen Gänsehaut zurückgelassen und ich hätte nur zu gerne in die Gesichter des Neffen und der Nichte geblickt, die Cassandras Schreiben lesen.
Mir gefielen zudem die Auszüge aus einem erwähnten Buch des Therapeuten von Cassandra und auch einige Einschübe der Fallakten der Morde. Dadurch werden erneut Fragen bezüglich Cassandras Zustand aufgeworfen oder aber auch Bestätigungen für Ihre Sicht dargelegt.
Zwischen dieser Spielerei von "wahr" und "falsch" werden auch Themen behandelt, die traumatische Folgen nach sich ziehen können. Aspekte die damit einhergehen sind seelischer und körperlicher Missbrauch, das Gefühl nicht dazuzugehören, Unterdrückung durch Familienmitglieder und das Gefühl von Minderwertigkeitskomplexen. So gerne man den Roman zwar vorrangig als kleines "Schauerspiel" betrachten möchte, trägt er auch eine ernste und schwere Botschaft in sich. Zwar werden diese Themen durch das Auftreten des Therapeuten ein stückweit erläutert, leider fehlte mir hier hinsichtlich der Bewältigung dieser Geschehnisse eine etwas tiefere psychologische "Hilfe". Nichtsdestotrotz findet man hier durchaus gute Ansätze zur Deutung.
Cassandra ist somit nicht nur eine Figur, die ein Bindeglied zwischen vermeintlicher Realität und Einbildung ist, sondern auch eine Figure, welche die Frage nach der "Schuld" stellt. Der Pepper-Man, der sie festhält und an sich bindet erfüllt den Zweck zu erkennen, dass die Opfer kaum eigenen Handlungsspielraum haben, weil sie gelenkt und ausgenutzt werden. Inwieweit können wir rechtfertigen, ihnen eine Schuld zuzuweisen, weil sie diese Person "hineingelassen haben"?
Es bleibt demnach eine Geschichte, die versucht diese Grenzen zwischen Realität und Einbildung offen zu lassen. Es gibt nicht nur eine Seite der Medaille, sondern zwei, die gleichzeitig aufgedeckt sein können. Cassandras Geschichte ist solange wahr, bis man das Gegenteil beweisen kann. Aber selbst dann weiß man nicht, ob sie wahr oder falsch ist, weil die Menschen um sie herum und auch die Leser*innen dazu neigen, nur das zu glauben, was von anderen als real und "wirklich da" definiert wird. Und so stellt sich letztlich erneut die Frage: Beginnen wir erst zu glauben, dass es wahr ist, wenn wir es sehen können?
Ein kurzer, packender Roman, welcher mit der Frage nach Imagination und Glaubwürdigkeit spielt. Die Protagonistin und Erzählerin lässt uns mit einigen offenen Fragen zurück, was dafür sorgt, dass die Gedanken der Leser*innen gleichzeitig wilden Spekulationen und vermeintlich rationalen Erklärungen folgen möchten. Zusätzlich greift der Roman schwierige Themen auf, die psychologische Analysen erfordern. Es wird mysteriös, märchenhaft, düster und emotional.
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