Wir sind fünf von Matias Faldbakken

September 05, 2020

Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: "Vi er fem"/ 2019), Heyne Hardcore (2020), Übersetzer/in: Maximilian Stadler (aus dem Norwegischen), ★★★★☆ 4 Sterne
"Ein faustischer Pakt mit der Hölle.
In der Nähe von Oslo in einem kleinen Ort namens Råset führt Tormod Blystad mit seiner Frau und seinen zwei Kindern ein beschauliches Leben. Nach einer wilden Jugend ist aus Tormod ein verlässlicher Vater und Ehemann geworden. Aber in jeder Familie gibt es eine Lücke, die gefüllt werden muss. So kommt die kleine Hündin Snusken auf den Hof. Die Kinder lieben das Tier sehr, doch eines Tages verschwindet Snusken spurlos. Um seine Kinder zu trösten, mischt Tormod in seiner Werkstatt aus verschiedenen Zutaten ein Ersatzwesen aus Lehm – und fordert damit Kräfte heraus, deren Reichweite er nicht einmal erahnen kann."
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Faldbakkens neuer Roman ist für mich ein Fall von: Was habe ich da gerade eigentlich gelesen? Ist es schlichtweg eine Darstellung der inneren Zerrissenheit während eines Rausches oder ist es ein Roman, der darauf abzielt, die Leser*innen mit einer bizarren Form eines neuen, intelligenten Lebens vertraut zu machen?
Für mich war es zwar ein interessantes Zusammenspiel beider Varianten, jedoch bin ich generell nicht so für Romane zu haben, die von dem Einnehmen verschiedener Substanzen berichten und daraus eine Handlung generieren. Daher habe ich diesen Aspekt für mich eher beiseitegeschoben und versucht mich auf letzteres zu konzentrieren und einzulassen.

Dies bedeutete, dass die Handlung natürlich etwas absurd scheint. Ein Wesen aus Lehm, mit dem die ganze Familie interagiert und das als fünftes Familienmitglied angesehen wird. Interessant fand ich aber, dass sich dadurch viele Fragen rund um das Konstrukt "Familie" entspinnen, die man zunächst gar nicht vermuten würde zum Beispiel: Wann wird "etwas" oder jemand zum Teil der Familie? Welche Dynamiken entstehen, wenn eine Familie das Gefühl hat, dass sie noch nicht komplett ist? Wieviel würde man für die Familie opfern?
Nach und nach lernen wir verschiedene Sichtweisen der Familienmitglieder kennen und werden so durch deren Zusammenhalt oder deren Zerrissenheit gelenkt.


"Der Professor war zwar von den Erfindungen des Jungen so beeindruckt gewesen, dass er Jorstad mehrmals daran erinnerte, aber dieser erklärte ihm - wahrheitsgemäß -, dass Thorstad neben der Spur war, dass er neben sich stand. Er sei zu einer tickenden Zeitbombe geworden. Ja, Jorstad benutzte tatsächlich das Wort "Zeitbombe" als Beschreibung für den Jungen aus Raset." S.18

Grundsätzlich ist der Roman interessant, da er ganz neue Ideen aufgreift und diese auch stilistisch relativ spannend umsetzt. Das Tempo ist durchaus geglückt. Man bewegt sich schnell vorwärts, verweilt aber dennoch lange genug bei bestimmten Geschehnissen oder blickt darauf zurück, sodass nichts losgelost und vergessen scheint. Als Leser*in wird man von einem zum nächsten Kapitel gezogen, ohne, dass es einem zu langatmig vorkommt. Das war für mich ein großes Plus. 
Zudem war und bin ich auch jetzt noch, sehr angetan von dem gesamten Konzept. Mir gefiel die Idee des "Pakts mit dem Teufel" und auch die etwas bizarre, düstere, aber gleichzeitig oft heitere und ironische Stimmung. Es liest sich wie eine Tragikomödie. Dennoch fand ich einige Kapitel etwas überflüssig, weil sie mir wieder zu sehr in diese Schiene des "Drogenkonsums", der den Menschen steuert und irrational handeln lässt, gelenkt wurden. Ich weiß, dass dies ein zentraler Aspekt des Romans ist und dadurch auch erst viele Interpretationen Sinn ergeben, jedoch traf dies einfach nicht meinen persönlichen Geschmack. 

Die Figuren selbst, die Familie, hat mich teils sehr an sich gebunden und teils blieb sie mir doch fremd. Dies lag natürlich ein wenig daran, dass wir überwiegend Tormod Empfindungen folgen, aber auch daran, dass ich mit vielen Handlungen nicht sympathisieren konnte. Spannend wird es aber dennoch besonders zum Ende hin, wenn sich einige Geschehnisse aus anderen Blickwinkeln betrachten lassen. Dadurch stellt man einige Eindrücke erneut in Frage.
Mich persönlich hat die "Entwicklung" des Tonklumpens am meisten interessiert. Ich war stets gebannt, wenn es darum ging, zu erfahren, welche Fortschritte, welche Veränderungen wir miterleben können und wohin dieses ganze Experiment letztlich führen wird.


Ein durchaus gelungener Roman, der sich wie eine Tragikomödie liest und für mich mit einem starken Ende überzeugen konnte. Die Idee des Ersatzwesens aus Lehm hat mich wahnsinnig fasziniert und in den Bann gezogen. Leider griff der Roman auch vordergründig die Erfahrung und die Eindrücke eines Drogenrausches mit auf, (was auch maßgeblich zu einigen Interpretationen beitragen kann) was mich persönlich aber eher weniger interessiert, sodass ich mich zu der sehr bizarren Version der "realen Geschehnisse" in dem Dorf hingezogen gefühlt habe. Der Roman thematisiert vordergründig viele Fragen, die sich mit dem Konzept der Familie und gleichzeitig mit den individuellen Wünschen und Erwartungen jedes Familienmitglieds beschäftigen. Für alle, die gerne Romane abseits der Norm lesen.


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