The Un-Dead, Vlad, Dracul oder Dracula?

März 22, 2020


Mein Interesse am Mythos "Dracula" hat sich nach dem Lesemonat Januar noch nicht wirklich gelegt. Daher habe ich mir nach Bram Stokers Klassiker zwei Bücher ausgesucht, welche die Geschichte noch einmal von einer anderen Seite beleuchten sollen. Es handelt sich dabei einerseits um "Dracul" von Dacre Stoker & J.D. Barker und andererseits um "The Deathless Girls" von Kiran Millwood Hargrave. Konnten diese Bücher neue Aufschlüsse bieten und mit dem bekannten Meisterwerk mithalten?

Zunächst einmal sei gesagt, dass mich die Hintergrundinformationen rund um "Dracula" und die Figur dahinter wahnsinnig interessieren. Der Roman selbst hat durchaus seine Stärken und Vorzüge, aber es fehlt ihm manchmal auch einfach an Handlung und Tiefe. Vieles bleibt unerwähnt, offen. Der monströse Feind lebt im Schatten und offenbart sich kaum. Die Helden der Geschichte sind die "Detektive" rund um Mina Harker und Van Helsing. 
Daher stellte sich mir tatsächlich die Frage, ob die Geheimhaltung tatsächlich von Bram Stoker so beabsichtigt gewesen ist. Sollte der Leser das Gefühl haben, dass man einem Phantom hinterherjagt und wenig von seiner Vergangenheit weiß?

In der Penguin English Library Version gibt es im Anhang ein kurzes Nachwort von John Sutherland. In dieser wird durchaus ein wenig darauf Bezug genommen, was im Fokus des Ganzen steht oder stehen soll. So heißt es zum Beispiel:  
"What this means is that in the struggle between Van Helsing and Dracula, we have a contest between the `pagan world of old` and 'modernity'. A demon from the Dark Ages pitted against men of the 1980s armed with Winchester Rifles, telegrams, phonographs, modern medicine and science." (S.443.)
Also alles ein Spiel zwischen Alt und Neu? Verstaubt und Modern? Das wäre wohl zu einfach. Dracula ist nicht nur eine Figur, die durch alte Manieren und Verhaltensweisen brilliert, sondern eben besonders durch Machtspiele und Furcht.
Wer also war demnach Dracula? Was waren seine Motive für diese Verbreitung von Angst? War es wirklich nur eine Liebesbesessenheit zu einer Frau, wie in zahlreichen Verfilmungen angedeutet?

Diesen Fragen kommt man ein Stück näher, wenn man nun zu "Dracul" von Dacre Stoker & J.D. Barker greift. Angepriesen mit "Inspired by the notes DRACULA´s creator left behind" und "The prequel to the most celebrated and terrifying story of them all" treffen wir 1868 auf den einundzwanzigjährigen Protagonisten Bram Stoker, der sich bewaffnet und voller Angst in einem Turm verbarrikadiert. Von wem wird er sich wohl verstecken?
Als ich das Buch entdeckte, war ich sofort Feuer und Flamme. Dacre Stoker ist, wie man am Namen vielleicht erahnen kann, ein Nachfahre von Bram Stoker und verfügt über den literarischen Nachlass. Daher dachte ich sofort, dass man hier eventuell weitere Aufschlüsse zur Entstehungsgeschichte finden kann und somit auch mehr zu der (historischen) Figur von Dracula.
Die Geschichte selbst hat mich sehr gut unterhalten und hat tatsächlich gehalten, was sie versprochen hat. Es ist eine Geschichte, die sehr an Bram Stokers Klassiker erinnert, denn auch hier geht eine bestimmte Gruppe von Menschen und Freunden auf die Suche nach dem scheinbar blutsaugenden Monster. Zusätzlich ist es natürlich spannend zu sehen, wie Bram Stoker als literarische Figur eingeführt und Teil des Abenteuers wird.
Was mir besonders gefallen hat, ist die Tatsache, dass das Original im Hinterkopf behalten, aber durchaus noch mit dem Inhalt gespielt wurde. Es gibt Überschneidungen, bei denen man leicht schmunzelt oder sich freut, weil man sie in dem Klassiker bereits gelesen hat und es gibt Fortführungen, die den Mythos noch einmal auf eine neue Stufe stellen. Der Roman ist spannend, manchmal gruselig, aber auch wunderbar durchdacht und durch den Fokus auf die Figur von Nanna Ellen ausgewogen. Es ist nicht ausschließlich Bram Stoker, der hier die Hauptrolle übernimmt,

Und dennoch stellt sich die Frage: Kommt man Dracula hier näher? Ja und nein. Wir stellen fest: (Graf) Dracula heißt nun "Dracul", angelehnt an die Übersetzung und fortführend in Bezug zum "Sohn des Drachen". Im Roman selbst erfahren wir durchaus wichtige Hintergrundinformationen, was die zeitliche Einordnung betrifft, es wird aber nie explizit ein zum Beispiel historischer Name genannt. 
Anders sieht es da im Nachwort der beiden Autoren aus. Neben zahlreichen Fotos von Brams Originalnotizen lässt sich auch folgende Feststellung finden:
"This Connection between Vlad the Impaler and Dracula was not made by Bram; instead it was a conjecture put forth by two professors from Boston College. [...] The 'Vlad the Impaler' story line was also advanced by Francis Fod Coppola in his 1992 feature film Bram Stoker´s Dracula. Brams monster was far older than Vlad the impaler." (S. 488)
Hat Bram Stoker sich nun an Vlad Tepes, der historischen Figur orientiert und sie so angepasst, wie er sie für den Roman benötigte oder ist es nur durch die Produktionen von Filmen fälschlicherweise im Gedächtnis geblieben? Interessant ist es ja schon, dass Vlad Tepes als "der Pfähler" bekannt wurde und Vampire, also auch Dracula nur durch einen Pfahl ins Herz sterben kann.
Ebenso erwähnt Bram Stoker eben doch in seinem "Dracula" etwas zur Geschichte des Count Dracula: "He must, indeed, have been that Voivoide Dracula who won his name against the Turk, over the great river on the very frontier of Turkey-land." (S.280)
So ganz abwegig scheint die These, dass Vlad Tepes also das Vorbild für die Figur gewesen ist nicht. Es gibt schlichtweg keine hundertprozentige Bestätigung.
Interessant war in "Dracul" allerdings zu lesen, dass Bram Stokers Buch, aufgrund Stokers eigener Aussage, dass es sich nicht um Fiktion, sondern um Fakten handelt, um gute 101 Seiten gekürzt wurde und zahlreichen Änderungen unterliegen musste, da die Verlger in England sonst einer Publizierung nicht zugestimmt hätten. Ging dadurch die Identität des "wahren Dracula" verloren?
Dacre Stoker & J.D. Barker haben wohl versucht diese 101 Seiten mit dem Buch ein wenig aufzufangen. Teilweise sicherlich gelungen, teilweise natürlich etwas unstimmig, da Bram Stoker als Figur "später" gänzlich wegfällt. 
Den Änderungen oblag allerdings auch der Titel. Aus Brams eigentlicher Idee "The Un-Dead" wurde "Dracula". Auf den ersten Blick wohl kaum ein schwerwiegender Fehler. Seien wir mal ehrlich: Dracula. Das ist ein Titel, der sich irgendwie zurecht zu einem Klassiker entwickelt hat und mehr Kultstatus hat, als "The Un-Dead". Stokers Liebe für die Geschichte, den Titel und auch Überzeugung, dass es sich um wahre Begebenheiten handelt, macht das ganze aber noch einmal umso spannender und interessanter...

Grundsätzlich denke ich, dass das Buch eine sehr gelungene und schöne Idee ist, das Vermächtnis von Bram Stoker und seiner Begeisterung für seine eigene "Dracula"-Figur zu stärken und neu aufleben zu lassen. Ob Fakt oder Fiktion: Unterhaltsam und irgendwie auch gefühlvoll bleibt es trotzdem. 
Das liegt tatsächlich eben auch an der guten Umsetzung der Figur Nanny Ellen, die gezielt den Liebesaspekt auf neue Weise offenbart. 

Den Liebesaspekt greift aber auch "The Deathless Girls" von Kiran Millwood Hargave auf. Vorerst an Folklore orientiert, offenbart sich nach und nach die Verbindung zu Bram Stokers "Dracula".
Ich war sehr angetan von der Idee, als ich hörte, dass es hier um die Sicht der "Bräute von Dracula" handelt. Auch diese werden im Orginal nicht ausführlich beschrieben, aber doch zu Beginn kurz angedeutet ("Two were dark, and had high aquiline noses [...] the other was fair, as fair as can be", S.42). Hargrave wollten diesen drei Frauen ihre Stimme geben, hat es meiner Meinung auch teilweise gut geschafft. Interessant hierbei wiederum, dass dieses Buch, zum Ende hin, irgendwie auf "Dracul" anspielt. 
Mich hat die erste Hälfte leider etwas enttäuscht. Es ist wenig passiert, alles verlief sich in immer wiederkehrenden Anspielungen und auch die Wortwahl war teilweise schlecht beziehungsweise nicht sehr angenehm zu lesen, weil sich manchmal über fünf, sechs Seiten hinweg Wörter ständig wiederholt haben. Dennoch, ab der zweiten Hälfte geht es deutlich bergauf. Die Figuren werden lebendiger und ihre Hintergrundmotivationen werden deutlich. Besonders gelungen ist zudem, dass zum Ende hin die Verbindung der Schwestern und gleichzeitig Protagonistinnen gut herausgearbeitet wurde. 
Die Identität des monströsen Vampirs wird hier quasi schon offensichtlich als Vlad ausgelegt. Hargrave orientiert sich da wirklich stark an den bisherigen Hypothesen. Dennoch tut es der gesamten Geschichte nicht schlecht, da sie gezielt auf das ganze Geflüster der Menschen eingeht, die von dem "Hause Dracul" also dem "Haus des Drachen" gehört haben. 
Für mich ist "The Deathless Girls" daher, mit leichten Anlaufschwierigkeiten, ein gelungenes Buch, das letztlich mit viel Trauer und Wut die Geschichte der Frauen an Draculas Seite erzählt und gleichzeitig eine wunderbare Verbindung zwischen zwei Schwestern schildert - mit allen schönen, wie auch schlechten Seiten.

Eines ist bei allen Büchern jedoch gewiss: Dracula wird immer als das dargestellt, was er auch bei Bram Stoker war: ein blutsaugendes Monster. Anders als bei der Verfilmung "Dracula Untold" trifft man hier auf wenig Verständnis für den Fürsten der Nacht. Hier stehen tatsächlich die Dinge im Vordergrund, die dazu führen, dass andere unter ihm leiden. Körperlich wie auch seelisch.
Ob nun "The Un-Dead", "Dracul", "Count Dracula" oder das historisch grausame Vorbild von Vlad Tepes, diese Verschmelzung aller Theorien und möglichen Figuren lässt den Mythos nicht sterben, sozusagen ein Vampir der Literaturgeschichte. 

Daher bleibe ich dem ganzen sicherlich noch eine Weile auf der Spur. Demnach habe ich mir schon weitere Lektüren ausgesucht, die demnächst folgen sollen:
  • Am 01.05. erscheint "Dracula´s Child" von Jonathan Barnes. Ein Roman, der als Fortsetzung an "Dracula" dienen soll. Jonathan und Mina Harker wie auch ihr Sohn Quincy werden hier wohl mit dem Nachfahren ihres Feindes konfrontiert. Bin gespannt worauf das alles hinausläuft und wie erklärt wird, dass Dracula plötzlich ein Kind hat, aber dieses Cover, das sehr stark an Christina Henrys retellings erinnert, spricht mich wirklich an!
  • Dann gibt es natürlich noch "Dracula - The Un-Dead" von Dacre Stoker & Ian Holt, was ebenfalls als Fortsetzung des Klassikers angesehen wird. Auch hier übernimmt der Sohn Quincy (fünfundzwanzig Jahre später) eine wichtige Rolle und auch Van Helsing begegnen wir wieder.  
  • Natürlich habe ich auch "The Annotated Dracula" im Blick, inklusive Vorwort von Neil Gaiman. 
  • Und zu guter Letzt erstmal noch Elizabeth Kostkovs "The Historian". Hier weiß ich nicht so viel, allerdings habe ich häufiger mitbekommen, dass es wohl auch auf Dracula anspielt.
Ob diese weiteren Bücher wohl eine neue Identität für Dracula bereithalten?


Wie steht ihr zu dem Klassiker? Habt ihr ihn gemocht oder interessiert er euch nicht sonderlich? Kennt ihr vielleicht noch andere Bücher, die darauf Bezug nehmen und könntet sie empfehlen?

4 Kommentare:

  1. Ahoi Karin,

    wie immer wundervolle Bilder und ein spannender Artikel, der kommt in meine Schatztruhe :)

    Ich habe eine gute Freundin, die sich total für Dracula interessiert, da sogar eine Ausarbeitung drüber geschrieben hat; ich jedoch habe das Buch noch nicht gelesen. Sollte ich wohl mal machen, bei so viel Begeisterung!

    Ich bin gespannt auf deinen nächsten Bericht ;)

    Liebe Grüße
    Ronja von oceanloveR

    AntwortenLöschen
  2. Dracula ist weniger mein Fall. Habe ich als Teenager mal gelesen, in meiner Vampir-Phase, und fand ich ziemlich langweilig. Irgendwie reizt es mich auch heute nicht mehr groß, obwohl ich Vampire als Motiv eigentlich spannend finde. Was ich hingegen richtig cool finde, sind solche thematischen Zusammenstellungen von eigenen Leselisten sozusagen. Also wie du dir das Original und einige Adaptionen davon im Vergleich anschaust. Ich nehme mir sowas auch öfter mal vor, aber es scheitert meist daran, dass ich dann doch keine Lust habe 3 thematisch ähnliche Bücher kurz hintereinander zu lesen, obwohl einem so natürlich die meisten Zusammenhänge bewusst werden.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Du hattest eine Vampirphase? :D Also im Vergleich zu den damals beliebten Vampirbüchern war es sicherlich tatsächlich etwas unspektakulär, weil nicht soo viel passiert.
      Ich glaube mich hat da nach dem Film einfach noch der Hype gepackt, daher mochte ich es schon ganz gerne. Ich mag irgendwie daran, dass man denkt, man käme dem ganzen langsam auf die Spur und dann bleibt man so bisschen mit vielen Fragen im Kopf zurück. Dadurch haben natürlich diejenigen, die sich an dem Original-Dracula orienierten super viele Möglichkeiten, das "Universum" richtig groß zu machen. Würde also auch sagen, dass ich dieses Zusammenspiel aus dem Klassiker und den ganzen Büchern drumherum einfach super finde, weil es zwar eine Welt ist und dann gleichzeitig auch nicht. :D

      Ha, ja, da versteh ich dich auch. Wenn ich nicht richtig dahinterstehe, dann bleiben die Bücher bei mir auch längere Zeit liegen... aber muss dir auch zustimmen, dass mir dadurch viele Details eher in Erinnerung geblieben sind undich die Verbindungen deutlicher gesehen habe. :)


      Liebe Grüße
      Karin

      Löschen
    2. Oh ja, ich fand Vampire (und alles andere gruselige) schon immer toll und spannend: Interview mit einem Vampir, Der kleine Vampir, Buffy, usw. und später dann auch irgendwann Twilight und co :) inzwischen finde ich halt, dass da oft nicht innovativ genug mit umgegangen wird ist irgendwie doch immer nur das Gleiche und geht nicht in die Tiefe oder erfindet irgendwas neu (die Bücher, die du vorstellst, wollen das ja auch gar nicht unbedingt, ich meine eher solche, die noch losgelöster vom Dracula-Mythos sind).

      Löschen

Mit dem Absenden Deines Kommentars bestätigst Du, dass Du meine Datenschutzerklärung, sowie die Datenschutzerklärung von Google gelesen hast und akzeptierst.