Hexensaat von Margaret Atwood

Mai 01, 2017

(Original: "Hag-Seed" / 2016) Knaus Verlag, Übersetzer/in: Brigitte Heinrich (aus dem Englischen),  ★★(☆) 4 Sterne 
Dieser Roman ist Teil der Reihe: Hogarth Shakespeare bei Knaus
"Felix ist ein begnadeter Theatermacher und in der Szene ein Star. Seine Inszenierungen sind herausfordernd, aufregend, legendär. Nun will er Shakespeares „Der Sturm“ auf die Bühne bringen. Das soll ihn noch berühmter machen – und ihm helfen, eine private Tragödie zu vergessen. Doch nach einer eiskalten Intrige seiner engsten Mitarbeiter zieht sich Felix zurück, verliert sich in Erinnerungen und sinnt auf Rache. Die Gelegenheit kommt zwölf Jahre später, als ein Zufall die Verräter in seine Nähe bringt. "


MEINE MEINUNG | FAZIT

"Welcher Art Schmuggel könnte man Felix wohl verdächtigen, einen harmlosen alten Thespisjünger wie ihn? Es sind die Worte, über die ihr euch Sorgen machen solltet, denkt er. Dort lauert die echte Gefahr. Worte, die nicht im Scanner auftauchen.“  S.83

Ein weiterer Roman reiht sich in die Neuinterpretationen der Shakespeare Stücke ein. Diesmal hat sich Margaret Atwood dieser Aufgabe angenommen und lässt "The Tempest" (dt. "Der Sturm") in neuem Gewand erstrahlen.
Bei diesem Projekt ist es immer wieder spannend zu sehen, wie sich die Autoren den Originalstücken annähern. Atwood hat sich dafür entschieden, den Leser quasi ins kalte Wasser zu schmeißen und vor ihrem eigentlichen Roman keine Informationen zum Stück von Shakespeare anzugeben (diese folgen am Ende). Das sorgt zum einen dafür, dass man sich, solange man die Vorlage nicht kennt, nicht von den Gemeinsamkeiten und Unterschieden leiten lässt, sondern dem Roman als solchem folgt. Zudem wird auch bereits zu Beginn deutlich, dass Margaret Atwood selbst sehr viele Informationen des Originals und dessen Interpretationsansätze an den Leser weitergibt, in dem sie ihre Figuren ganz geschickt in eine ganz spezielle Umgebung setzt. Denn ihr Roman ist ein Theaterstück in einem Theaterstück. Bereits die erste Seite offenbart, dass es sich im Folgenden um ein Theaterstück handeln wird, allerdings wird anschließend rückverweisend dargelegt, wie es zu dieser Aufführung gekommen ist.
Für mich als Leserin, die das Originalstück nicht in den Einzelheiten kannte, war es ganz geschickt umgesetzt. Man spürt, wenn sich gezielte Andeutungen auf das Original beziehen, aber man bleibt stets neugierig, welche Entwicklungen die Neuinterpretation anvisiert. Schnell stellt man aber auch fest, dass sich beide Versionen stark ähneln, das wird im Verlauf der Geschichte immer deutlicher. Es treten die gleichen Figuren auf, wie auch deren vermeintliches Schicksal. An der einen oder anderen Stelle hatte ich daher leider kurzzeitig das Gefühl, dass ich mir in dieser Hinsicht eine größere "künstlerische Freiheit" von Atwood gewünscht hätte, im Allgemeinen muss ich aber auch sagen, dass sich so das Gesamtbild fantastisch zusammengefügt hat. 
Der Protagonist Felix wird meiner Meinung nach geschickt platziert, da er einerseits einer scheinbar unausweichlichen Wiederholung bevorsteht, aber andererseits den Platz des Analytikers einnimmt, in dem er mit seinen Darstellern über das Stück spricht und verschiedene Interpretationen der Gefühle, Handlungen und Entwicklungen miteinbezieht.

"Er hatte nichts verstanden. Und was den Gipfel seiner Möglichkeiten anbetraf: Der Gipfel ist immer gefährlich. Vom Gipfel aus kann der Weg nur abwärtsführen“  S.20

Für mich war es sehr interessant zu sehen, in wie weit die im Originalstück vorkommenden magischen Elemente eine Rolle spielen. Obwohl der Roman in unserer Realität zu spielen scheint, treten aber auch hier gewisse Elemente auf, die man auf verschiedene Weise deuten kann, vor allem in Bezug auf die persönlichen Schicksale der Protagonisten und deren Ängste. In Anlehnung dazu, fand ich auch die nicht außeracht gelassenen Details von "The Tempest" gelungen, sodass Zeitabstände oder Altersangaben ebenfalls eine Rolle spielen und aufgegriffen werden.
Eine wichtige Rolle spielt natürlich auch die eigene Umsetzung der Autorin. Diese äußert sich vor allem darin, dass sie die Orte ebenfalls in einen sehr harmonischen Einklang bringt. So scheint die Wahl, die "neue Version" in einem Gefängnis spielen zu lassen auf den ersten Blick etwas abwegig, ist aber eigentlich nur eine logische und meiner Meinung nach auch sehr schön metaphorische Auslegung der Empfindungen in Bezug auf die Figuren, die bei Shakespeare auf der Insel "gefangen" sind. Hier merkt man einfach wieder, dass Margaret Atwood ein gutes Gespür für gelungene Erzählungen hat und sich zudem immer etwas Besonderes einfallen lässt, auch wenn es auf den ersten Blick nicht immer den Anschein macht. 
Eingehend auf das Gefängnis, in das Felix sich als "Lehrer" begibt, fand ich ebenso schön zu lesen, dass Atwood sich nicht nur auf dem Vergleich der Stücke "ausruht", sondern sich zusätzlich interessante Themen unserer Gesellschaft vorknüpft. So spielen natürlich die Bildung in Gefängnissen und deren kulturellen Programme, die angeboten werden, eine ebenso wichtige Rolle.

"Das Köstlichere liegt im Sittlichsein / Als im Vergeltungssuchen, ertönt es in seinem Kopf.
     Es ist Miranda. Sie souffliert ihm." S.256


Je länger man über die Geschichte, deren Bezüge zum Original und aber auch ihrer Eigenständigkeit nachdenkt, desto stärker kommen wichtige Themen zum Vorschein. Nicht nur die wirklich gute Neuinterpretation von "The Tempest" ist Margaret Atwood hier gelungen, sondern auch eine Thematisierung der kulturellen Prioritäten unserer Gesellschaft, insbesondere in Gefängnissen. Scheinbar leichtfüßig schafft es Atwood die Figuren in einen gelungenen Einklang zu bringen und sie durch den zuerst starken Kontrast der Sträflinge, gleichwertig erscheinen zu lassen. Zum Schluss für mich rundum gelungen, auch wenn ich in den mittleren Passagen den Drang nach einer etwas "losgelösteren" Umsetzung verspürt habe, denn dieser Gedanke verfliegt, wenn man bis zum Ende gelesen hat.

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