(Original: "-" / 2016) Rowohlt Verlag, Übersetzer/in:-, 256 Seiten, gebunden, Einzelband, ★★★(★)☆ 3 bis 4 Sterne"Ein Plädoyer für eine unzeitgemäße Tugend. «Die Verbindlichkeit hat als Symbol den Handschlag. Hier hast du mein Wort, dass ich alles tun werde, was in meiner Macht steht, den Bund, den wir eingehen, zu halten. Aber es steht keineswegs alles in unserer Macht! Dass die Verbindlichkeit nicht mehr sozioökonomisch gedeckt ist, sondern jeder sie aus eigener Kraft aufrecht erhalten muss, bedeutet auch: Wir können ihr Scheitern nicht ausschließen. Wir müssen darauf hoffen, dass uns gelegentlich vergeben wird.
Das ist es, was sie zu einem Schlüsselbegriff unserer Zeit werden lässt: Sie weist jeglichen Fundamentalismus zurück.»
Wo lebe ich, welche Partnerschaft gehe ich ein, und was mache ich eigentlich heute Abend? In der Moderne gibt es immer Optionen, nirgends Schicksal. Es besteht keine gesellschaftliche Notwendigkeit mehr, sich auf irgendwas festzulegen. Jederzeit verfügbare Menschen sind beliebter, angesehener, erfolgreicher. Verbindliche Menschen gelten dagegen schnell als langweilig. Maximilian Probst zeigt in seinem Buch: Gerade jetzt, wo zu etwas zu stehen so schwer ist wie nie, erscheint uns gerade das wertvoller denn je. Er beschreibt, wo Verbindlichkeit und Verfügbarkeit sich unvereinbar gegenüberstehen, wie dieser Widerspruch sich auflösen und aufhalten lässt. Subtil, klug und poetisch nimmt er seinen Lesern die Angst, etwas zu verpassen.“
"Verbindlichkeit meint, das ist die These dieses Buches, den Weg vom Ich zum Wir.“ S.8
Dieses Buch hat in mir zum Ende hin einen vollkommenen Zwiespalt ausgelöst. Vielleicht auch, weil es auch mit dem Zwiespalt der Angelegenheit um die Verbindlichkeit spielt. Soll man sich binden? Kann man sich überhaupt noch binden? Wie äußern sich die positiven und negativen Anhaltspunkte? Man kann nicht leugnen, dass Maximilian Probst einen sehr wichtigen und wesentlichen Teil der heutigen Gesellschaft beleuchtet. Heutzutage wird scheinbar immer weniger Wert auf die Verbindlichkeit gelegt. Alles lebt schneller, Optionen stehen an jeder Ecke bereit. Sei es in Hinblick auf die beste Party, den besten Freundeskreis oder generell die Möglichkeiten, die uns dank des Internets offen stehen. Wo bleibt da noch Zeit und überhaupt die Lust jemandem gegenüber fest zuzusagen? Ja, das Thema an sich ist wirklich aktuell und auch interessant. Auch die grundlegende Art und Weise wie Probst mit vielen Elementen der Verbindlichkeit spielt, hat mir größtenteils zugesagt. Allerdings hatte ich auch das Gefühl, dass durch das viele "spielen" am Ende doch einiges verloren geht oder sich zumindest so stark vermischt, dass der Leser ein wenig ratlos zurückbleibt. Man kann die einzelnen Aspekte des Autors gut nachempfinden. Dazu sind die einzelnen, übersichtlichen Kapitel hilfreich. Auch die recht vielen literarischen Verweise vieler wichtiger Passagen dienen meist zum besseren Verständnis. Allerdings war es für mich an einigen Stellen zu sprunghaft. Es wurde gezielt auf die Verbindlichkeit in allen möglichen Lebensbereichen eingegangen, sei es privat, politisch oder ökonomisch und plötzlich kommt ein Einblick in das Leben des Autors, was entfernt etwas damit zu tun hat, was einen aber ansonsten abrupt komplett aus dem eigentlichen Rahmen schmeißt. Diese Auflockerung war zu Beginn ganz erfrischend, zum Ende hin aber wie gesagt etwas zu konstruiert. Dadurch dass mir dann zeitweise einige Aussagen unsympathisch waren, hat sich mein guter Gesamteindruck ein klein wenig gedämpft.
"Es gibt demnach zwei Formen der Verbindlichkeit. Die eine beruht auf einem Vertrag, die andere auf Vertrauen. Und die Moderne ist der Prozess, in dem die Vertrauensverhältnisse zunehmend in Vertragsverhältnisse umgeschmiedet werden.“ S.87
Mir gefiel hingegen das Thematisieren der eigentlichen "Tugend" ganz gut. Ich denke in der heutigen Zeit sollte man sich im klaren sein, dass, wie der Autor auch zum Ausdruck bringt, an der Verbindlichkeit mehr hängt, als nur man selbst. Verbindlichkeit ist immer mit Verantwortung verknüpft, welche die Menschen nicht bereit sind oder bereit sein wollen, einzugehen. Folglich weiß man nicht auf wen man sich verlassen kann. Probst schafft es hier ganz gut, dieses Gefühl zu transportieren. Dass man sich darauf besinnen sollte, dass eine Welt ohne Verbindlichkeit nicht funktionieren kann. Gewisse grundlegende Gegebenheiten für ein funktionierendes Miteinander würden nicht mehr möglich sein. Es ist tatsächlich mal ganz gut, diese Überlegungen in Form eines solchen "Essays" zu lesen, denn man verspürt tatsächlich wieder das Bedürfnis zuverlässiger gegenüber seinen Freunden und Mitmenschen zu sein. Schließlich wünscht man sich dies auch von anderen. Um diese Punkte zu verdeutlichen, greift Probst auch ganz gute Alltagssituationen auf. Zeitweise war ich etwas unschlüssig, ob der Autor damit nicht nur seine eigenen Angelegenheiten aufarbeiten will, das letzte Kapitel gibt da aber etwas aufschlussreiche Informationen preis, die das Buch noch einmal in eine ganz andere Richtung lenken. Durch diesen "Trick" fand ich mich zunächst etwas überrumpelt und empfand es als schlechte Herangehensweise. Mit der Zeit aber zeigte mir das letzte Kapitel noch einmal ganz gut auf, was die "Verbindlichkeit" bewirken kann, wenn sie fehlt oder eben vorhanden ist. So gesehen, ist das Buch nicht nur ein interessanter Essay, sondern auch ein kleines Leseexperiment.
"Aber dieser Mensch, der keinerlei Willen hat, sich zu binden - womöglich gibt es ihn gar nicht. Wer könnte in einer totalen Unverbindlichkeit leben? In einer reinen Punktualität stets offener Optionen? Niemand. Eher noch bindet sich der Mensch ans Nichts, als sich nicht zu binden.“ S.133
Anschauliche Darstellung der heutigen Gesellschaft hinsichtlich ihrer Einstellung zur Verbindlichkeit, sei es privat oder politisch. Sorgt für genügend Denkanstöße und regt dazu an, über seine eigenen Verbindlichkeitsvorstellungen nachzudenken. Durch gezielte "Spielereien" entpuppt sich der Essay als kleines Experiment, wodurch man das einhalten oder wegfallen einer Verbindlichkeit, die man als gegeben annimmt, zum Teil selbst auf ihre Wichtigkeit prüfen muss.
Liebe Karin,
AntwortenLöschendas Buch hört sich ja echt interessant an. Über so ein Thema hätte ich glaub ich so nicht nachgedacht, aber so wie du das Buch beschreibst und wie das dort behandelt wird, ist das glaub ich etwas für die Wunschliste.
Sehr schöne Fotos hast du hier wieder, also ich lese hier sehr gerne mit.
Liebe Grüße
Tobi
Vielen lieben Dank für das Kompliment! :)
LöschenDas Buch regt definitiv zum Nachdenken an. Ich hoffe aber auch, dass sich davon etwas "festsetzt" und man vielleicht selbst auch etwas zuverlässiger wird, was das betrifft. An sich wird das Thema aber wie gesagt ganz gut von verschiedenen Seiten belichtet.
Liebe Grüße
Karin