Das Gehirn meiner Großmutter von Tanya Byron

August 31, 2015




(Original: "The Skeleton Cupboard") von Tanya Byron,  btb: Bibliographie auf der Verlagsseite >>Leseprobe , 320 Seiten, Hardcover,  Einzelband, ★★★★  5 Sterne
"»Mein Interesse am Gehirn wurde geweckt, als ich die Frontallappen meiner Großmutter auf dem Fußboden ihres Wohnzimmers verspritzt sah.« Tanya Byron, heute renommierte Professorin für Klinische Psychologie, war 15, als ihre Großmutter von einer heroinabhängigen schwangeren jungen Frau erschlagen wurde. Das Bild der Sterbenden hat sich der Enkelin für immer eingebrannt. Mit 20 begann Tanya Byron 1989 ihre Ausbildung zur klinischen Psychologin – weil sie verstehen wollte. Sie arbeitete mit Kindern, die sich selbst oder anderen Unfassbares zuleide taten, mit Familien, die so dunkle Geheimnisse hüteten, dass es fast unerträglich schien, darüber nachzudenken, mit Menschen, die mit Drogenabhängigkeit oder Suizidabsichten zu kämpfen hatten."


MEINE MEINUNG | FAZIT

"Dieses Buch ist inspiriert von den Fällen, mit denen ich zu tun hatte, und erzählt, wie es ist, als neue und naive psychologische Betreuerin Menschen zu behandeln." S. 13

"Wahre Geschichten aus dem Alltag einer klinischen Psychologin". Dies steht auf dem Cover des Buches und doch sagt die Autorin in ihrem Buch, dass es sich hierbei um fiktive Figuren handelt, die aber den anschein machen, als seien sie es doch nicht. Es geht wohl um ihre eigenen Erfahrungen, die sie aber aufgrund ihrer "Schweigepflicht" nicht offen kundlegen darf. Daher die etwas kryptischen Andeutungen, ob sich die Fälle genau so oder doch anders zugetragen haben. Dies hat mir am Ende aber kaum etwas ausgemacht. Denn die Geschichten überzeugen auch so! Mein eigenes Interesse an der Psychologie und psychischen Erkranungen habe ich wohl dank meiner Mutter aufgeschnappt, da sie ebenfalls einen Diplomabschluss in Psychologie erlangt hat und ich das Gefühl habe, dass ich, auch wenn es unbemerkt geschehen ist, mit der Zeit mit der Psychologie eine Vertrautheit erlangt habe. Daher hatte ich schon nach den ersten, wenigen Seiten das Gefühl, dass dieses Buch genau das Richtige für mich sein würde.

"Als ich mich in den nächsten Wochen in meine Ausbildung stürzte, wurde mir jedoch schon bald klar, dass sie werder Patienten noch Klienten waren. Sie waren Menschen, Menschen mit einem Leben und mit Geschichten - verletzliche, manchmal zutiefst unglückliche, interessante Menschen." S. 30

Der Leser wird hier mit sieben Erzählungen und Fällen der Psychologin Tanya Byron konfrontiert, die sich über den Zeitraum ihrer Ausbilung erstrecken. Dazu zählen auch die verschiedenen "Stationen", welche sie in ihren Praktiken besucht. Diese Kurzgeschichten stehen aber nicht direkt als abgeschottete Kapitel zueinander, sondern verlaufen ineinander. Sodass der Leser immer einen Bezug zu dem vorhergegangen hat. Das hat mich besonders gut gefallen, da man die Hürden, mit denen auch die Psychologin zu kämpfen hatte, nach und nach miterleben kann. Auf den schockierenden Einstieg, der auch gleichzeitig den Zeitpunkt festlegt, indem sich die Autorin entschieden hat mehr über die Psychologie herauszufinden, folgt ein geschmeidiger Schreibstil, der einen nicht loslässt. Die Fälle werden authentisch und auch gefühlvoll geschildert, sodass einem beim Lesen manchmal der Atem stockt oder man das ein oder andere Mal kurz davor steht eine Träne zurückhalten zu müssen. Dies führt auch dazu, dass ich eine ungemeine Sympathie für die Autorin empfunden habe. Sie wirkt keinesfalls überheblich und lässt den Leser auch Einblick in ihre Sichtweisen nehmen. So wird deutlich, dass auch eine nun erfolgreiche klinische Psychologin einen schweren Start in ihre Berufswelt hinter sich gebracht haben musste.

"Fehler Nr. 3: [...] Dies ist Beruf, keine Berufung. Wenn sie andere mit Selbstaufopferung retten wollen, müssen sie ins Kloster gehen." S. 55

Die jeweiligen Kapitel haben eine angenehme Länge, beinhalten viele Informationen zu den Fällen geben aber auch viele Hintergrundinformationen, zu dem Berufsfeld Psychologie und dem Krankheitsfeld in früheren Jahren. Durch die Offenheit der Autorin ihres eigenen Lebens gegenüber fühlt sich der Leser auch "näher am Geschehen". Man fühlt mit allen Beteiligten mit. Demnach entsteht auch nie ein Gefühl, dass die Erzählungen "eingestaubt" sind. Deutlich wird mit der Zeit auch, dass alle Schicksale darauf hinweisen, dass ein Mensch nie isolierte Probleme aufweisen kann. Er ist immer mit seinem Umfeld verbunden. So steht kein Problem für sich alleine, sondern ist eines, welches sich aus dem Zusammenkommen der Menschen ergibt, die in der jeweiligen Geschichte eine Rollen spielen. So fiel es mir auch an der ein oder anderen Stelle wirklich schwer, wieder einmal zu begreifen, dass viele Menschen den psychisch Kranken keine Chance geben. Sie werden als "krank" abgestempelt und sollen so gut es geht, am besten alleine mit ihrem Schicksal fertig werden. Was Tanya Byron hier schafft, ist, es den Menschen zu verdeutlichen, dass psychische Krankheiten keine einfache Angelegenheit sind, die man innerhalb von einer Sitzung oder einem Gespräch beiseite räumen kann. Dieses Buch ist definitiv ein kleiner Schatz für alle, die sich gerne näher mit dem Themenfeld der Psychologie beschäftigen möchten.

"Rettungsfantasien sind nichts weiter als das: Fantasien. Manche Menschen kann man nicht retten." S. 175 / "Ich lächelte bei diesem letzen Gedanken: Ich war nicht die erste Person an diesem Ort, die sich vorstellte, sie sei der Allmächtige." S. 62


Gefühlvolle Schilderungen einer klinischen Psychologin, die dem Leser Einblicke in verschiedene Fälle bietet. Geschrieben, auf eine ehrlichen und authentischen Art. Die Geschichten berühren, erschrecken und sorgen vielleicht auch dafür, dass man Menschen mit einem solchen Schicksal etwas mehr Verständis gegenüberbringt, auch wenn es nicht sicherlich nicht immer einfach ist.


Vielen lieben Dank an den btb Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!



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