"Zum Paradies" von Hanya Yanagihara

Februar 21, 2022

Buch "Zum Paradies" von Hanya Yanagihara
Klappentext  "Zum Paradies" von Hanya Yanagihara

Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: "To Paradise"/ 2022) Claassen - Ullstein Imprint (2022), Übersetzer/in: Stephan Kleiner (aus dem Englischen), ★★★★☆ 4 Sterne
"1893, in einem Amerika, das anders ist, als wir es aus den Geschichtsbüchern kennen: New York gehört zu den Free States, in denen die Menschen so leben und so lieben, wie sie es möchten – so jedenfalls scheint es. Ein junger Mann, Spross einer der angesehensten und wohlhabendsten Familien, entzieht sich der Verlobung mit einem standesgemäßen Verehrer und folgt einem charmanten, mittellosen Musiklehrer.
1993, in einem Manhattan im Bann der AIDS-Epidemie: Ein junger Hawaiianer teilt sein Leben mit einem deutlich älteren, reichen Mann, doch er verschweigt ihm die Erschütterungen seiner Kindheit und das Schicksal seines Vaters.
2093, in einer von Seuchen zerrissenen, autoritär kontrollierten Welt: Die durch eine Medikation versehrte Enkelin eines mächtigen Wissenschaftlers versucht ohne ihn ihr Leben zu bewältigen – und herauszufinden, wohin ihr Ehemann regelmäßig an einem Abend in jeder Woche verschwindet.
Drei Teile, die sich zu einer aufwühlenden, einzigartigen Symphonie verbinden, deren Themen und Motive wiederkehren, nachhallen, einander vertiefen und verdeutlichen: Ein Town House am Washington Square. Krankheiten, Therapien und deren Kosten. Reichtum und Elend. Schwache und starke Menschen. Die gefährliche Selbstgerechtigkeit von Mächtigen und von Revolutionären. Die Sehnsucht nach dem irdischen Paradies – und die Erkenntnis, dass es nicht existiert. Und all das, was uns zu Menschen macht: Angst. Liebe. Scham. Bedürfnis. Einsamkeit.
"
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"Die Toten wussten nichts, fühlten nichts, waren nichts. Als er Eden davon erzählte, wie besorgt Charles und seine Freunde waren, sagte sie, die Fixierung auf ein Vermächtnis sei eine sehr weiße, sehr männliche. Wie meinst du das?, hatte er gefragt. 'Nur Menschen, die eine Hoffnung haben, von der Geschichte unsterblich gemacht zu werden, sind so davon besessen, wie diese Unsterblichkeit aussehen wird.' sagte sie. 'Wir anderen haben genug damit zu tun, es irgendwie durch den Tag zu schaffen.' Damals hatte er gelacht und sie als melodramatisch und eine reaktionäre Männerhasserin bezeichnet, aber als er abends im Bett lag, hatte er über ihre Worte nachgedacht und sich gefragt, ob sie nicht recht hatte."  S.290

Die Autorin Hanya Yanagihara hat eine Vorliebe für lange Romane, so scheint es zumindest, denn auch ihr neuestes Buch ist mit knapp neunhundert Seiten keine leichte Kost.
Nicht gerade leicht zu verkraften sind in "Zum Paradies" aber auch die Schicksale, denen wir folgen. Von Menschen, die das Glück suchen und die Hand danach ausstrecken. Aber werden sie es finden?

Ich muss gestehen, dass ich anfangs nicht sofort in die Geschichte reingekommen bin. Aus irgendeinem Grund hat mich der Schreibstil zu einem gewissen Teil von den Figuren ferngehalten. Es gab langatmige Passagen, die das Tempo deutlich gedrosselt haben und die das Gefühl vermittelt haben, als gäbe es keine wirkliche Handlung. Obwohl die deskriptiven Anteile natürlich grundsätzlich passend sind und auch deutlich dazu beitragen, dass man sich gut in die Zeit, Umgebung und Situation einfinden kann, sorgen sie doch dafür, dass die ersten beiden Teile des Romans wie eine sehr lange Einleitung wirken. 

Leider führte dies auch dazu, dass ich während des Lesens dachte, dass Teil Eins und Zwei viel zu losgelöst von dem dritten und finalen Teil sind. Da dieser dann auch noch beinahe die Hälfte des Buches ausmacht, bleibt das Gefühl, dass die Teile eher als eigenständige Romane dienen könnten.
Nur rückblickend und auch reflektierend betrachtet, muss ich sagen, dass viele kleine, gut platzierte Hinweise und Andeutungen ein geschickt zusammengefügtes Bild ergeben. Auch hier jedoch die Kritik, dass es manchmal so wirkt, als hätte es sich die Autorin zu einfach gemacht und nur durch den letzten Satz der Teile eine Verbindung geschaffen. Letztlich muss man sich aber doch etwas mehr Zeit für die einzelnen (und auch grundlegenden) Inhalte nehmen, um die teilweise vorhandene Raffinesse der Kapitel und gleichzeitig verbundenen Schicksale zu erkennen.

"Ich lag im Bett und wiegte mich hin und her und sprach zu Großvater. 'Ich vergesse es nicht', sagte ich laut. Aber auch wenn ich es nicht vergessen hatte, hatte ich vergessen, wie es sich anfühlte, geliebt zu werden: Ich hatte es einmal gewusst, und jetzt wusste ich es nicht mehr." S.481
 
Was die Figuren, Orte, Handlungen und Botschaften betrifft, kann ich durchaus sagen, dass ich vieles nicht nur klug, sondern auch außerordentlich wichtig fand. Der Roman fragt nach Herkunft, Familie, Zusammenhalt, (Miss-)Trauen, globalen Spielräume in denen wir uns (auch gesellschaftlich) bewegen und natürlich auch nach der sehr aktuellen Sicherheit, die wir im Falle mehrerer Pandemiewellen gar nicht haben werden können. 
Dies sind alles Themen, die natürlich grundlegende Aspekte eines Romans sind, die hier aber im Großen und Ganzen wunderbar in Einklang gebracht werden. 
Mein Herz hängt einfach sehr an der letzten Protagonistin Charlie, sodass sich mein finales Urteil auch immer etwas an ihr orientiert.
 
Zwar haderte ich an einigen Stellen wie gesagt mit der Länge und den ausufernden Beschreibungen, jedoch komme ich nicht umhin, einzugestehen, dass ich etwas verpasst hätte, wenn ich dieses Buch nicht gelesen hätte. Es trägt eine ganz eigene Stimmung mit sich, die zwischen Hoffnung und Melancholie liegt und uns zwischen einem Happy End und einem Sturzflug balancieren lässt.
Dabei gibt es Leser*innen aber auch zwischen den Zeilen wertvolle Dinge mit auf den Weg, die gar nicht unbedingt dort wortwörtlich stehen müssen, die aber impliziert werden und die einen bis zum Schluss festhalten. 
Für mich war der dritte Teil definitiv der stärkste, auch wenn erst der Zusammenschluss aller Teile natürlich ein ganz besonderes Bild des Ganzen zeichnet und jeder Teil für sich eine Situation im Leben eines Menschen skizziert, die sehr nahbar, echt und verletzlich ist.

"Manchmal denke ich, irgendwo in diesem Haus ist ein Stück Papier mit den Antworten versteckt, und wenn ich nur fest genug daran glaube, wache ich in dem Monat oder dem Jahr auf, in dem ich erstmals auf Abwege geraten bin, nur dass ich diesmal das Gegenteil von dem tun werde, was ich getan habe. Auch wenn es wehtut. Auch wenn es sich falsch anfühlt." S.728
 
Zum Paradies oder doch nur kurz davor? Obwohl mir das Tempo manchmal zu langatmig und die Verknüpfungen sowie Aussagen teils zu repetitiv und zu lose waren, ist das Buch rein inhaltlich sicherlich ein kleiner Schatz. Wer sich diesen Geschichten annimmt, sollte jedoch Zeit und Geduld mitbringen und auch offen dafür sein, im Nachhinein noch über gewisse Inhalte und die Machart des Romans nachzudenken, weil erst dadurch teils ein Moment des "Begreifens" ausgelöst wird. Auch wenn ich es hier und da etwas kompakter gehalten hätte, möchte ich das Lesererlebnis keinesfalls missen. Das Buch wird sicherlich noch lange in meinen Gedanken herumschwirren und mich in vielen Situationen begleiten.

Buchrücken  "Zum Paradies" von Hanya Yanagihara

2 Kommentare:

  1. Hallo Karin, ich habe das Buch schon im Regal stehen, konnte mich aber bisher noch nicht darauf einlassen, da es sicher kein Buch ist, das man so nebenbei wegliest. Ich bin sehr gespannt und freue mich, nachdem ich deine Rezension gelesen habe.

    Liebe Grüße,
    Zeilentänzerin

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    1. Hi!
      Ja, es trägt schon eine gewisse Schwere in sich, aber Yanagihara schafft es, dies mit ihrem Schreibstil tatsächlich zu entschärfen und sanfter wirken zu lassen.

      Bin sehr gespannt auf deine Meinung!:)

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