"Schreie & Flüstern" von Lisa Kreißler

November 30, 2021

Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: "-"/) Mairisch Verlag (2021), Übersetzer/in: -, ★★★(☆)☆ 3,5 Sterne
"Die Schriftstellerin Vera und der Maler Claus leben mit ihrem Sohn Siggi in Leipzig. Doch in der Stadt sind ihre Ideen ins Stocken geraten. Überraschend bekommt Claus von seinen Eltern eine große Summe Geld geschenkt. Kurzerhand entscheiden sich die beiden, einen alten Hof in der westdeutschen Provinz zu kaufen und ihn von Grund auf zu renovieren. Während Claus sich in der neuen Umgebung befreit fühlt, fehlen Vera ihre Freunde, die Zerstreuung des städtischen Lebens, die unverbindliche Leichtigkeit. Das Dorf, die Landschaft, Claus – alles scheint sich ihr entgegenzustellen.

Doch als Vera wieder schwanger wird, wächst nicht nur ein neuer Mensch in ihrem Innern heran, auf wundersame Weise verbindet sie sich auch mit der Natur. Frühling, Sommer, Herbst und Winter weisen ihr den Weg zur Versöhnung mit der eigenen Vergänglichkeit."
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"Die wenigen Menschen, die nicht mit ausdrucksloser Miene in ihrer Raumkapsel an uns vorbeigleiten, grüße ich mit einem lauten selbstbewusst vorgetragenen Hallo. Dieses offensive Grüßen haben mir meine Eltern beigebracht. Es ist ein wichtiges Überlebenstool in dieser Region."  S.69f.
Ich komme nicht umhin, zunächst anmerken zu müssen, dass ich wirklich eine ganz besondere Liebe zu Lisa Kreißlers Romanen und der Erzählart ihrer Protagonist*innen verspüre. Bereits wenn ich die ersten Seiten der Geschichten lese, fängt mein Herz an schneller zu schlagen und gleichzeitig zu pausieren, weil mich plötzlich so eine ganz eigene Verletzlichkeit trifft. Und ich muss zugeben, dass ich das einfach liebe. Ganz zu schweigen von den vielen wirklich schönen und unfassbar clever-ehrlichen Zitaten, die sich durch das Buch hindurchziehen.

Auch bei "Schreie & Flüstern" war es nicht anders. Die einerseits leichte und absolute Verständlichkeit, mit der gewisse ungewöhnlichen Dinge geschehen, die aber kurz darauf andererseits wieder ganz normal und selbstverständlich scheinen haben mich in den Bann gezogen.
Die Erzählweise schwankte dabei für mich immer zwischen Belletristik und Märchen. Zwischen Traum und Wirklichkeit und auch zwischen Wunschdenken und Realität.
Ganz leise und zaghaft wagt man sich ins nächste Kapitel, um dann plötzlich wie an einer Schnur durch alle möglichen Varianten des Lebens mitgeschleift zu werden.
"Die Lektoren müssen Texte finden, die sich verkaufen. Eine Garantie dafür gibt es zwar nicht, aber es gibt doch gewisse Indikatoren. Ich will dir nicht sagen, dass du deinen Text vereinfachen sollst, aber wenn du ihn veröffentlichen möchtest, musst du Spannung aufbauen. Vielleicht könnte eine der Figuren sexuell belästigt werden? Oder jemand stirbt? Denk einfach mal drüber nach." S.83
Obwohl mir also die Art und Weise des Romans gänzlich zugesagt hat, konnte ich zu einigen inhaltlichen Bausteinen keine große Verbindung aufbauen, sodass mir hier, im Gegensatz zu ihrem Roman "Das vergessene Fest", ein wenig diese besondere Magie fehlt hat.

Der Roman greift unter anderem Themen wie Fehlgeburten, Verluste, (Zukunfts-)Ängste und partnerschaftliche/freundschaftliche Probleme auf, lässt aber immer durchblicken, dass es für bestimmte Rückschläge und Katastrophen (mit dem nötigen Rückhalt) auch einen Silberstreif am Horizont gibt.
Für mich war die Abfolge der Problematiken manchmal leider und überraschenderweise doch zu schnell. Ich beschäftige mich noch mit der einen Thematik, da verschwand der Aspekt wieder in den Hintergrund und wurde durch eine andere "Baustelle" ersetzt. Paradoxerweise gefielen mir jedoch die passend gewählten Verbindungen zwischen der wirklich vorkommenden Baustelle, da die Protagonist*innen ein altes Haus auf Vordermann bringen, und die seelische Baustelle, in der sich die Figuren teils befinden. Dennoch war es für mich, wie bereits angesprochen, vom Gefühl her zu rastlos, sodass ich beim Lesen ein Gefühl hatte, dass einfach etwas fehlt. 
Die Protagonist*innen selbst fand ich überwiegend "authentisch", wie man so schön sagt, obwohl mir letztlich nur Vera, trotz gemachten Fehlern, als wirklich sympathisch in Erinnerung geblieben ist.

Ich weiß, dass der Vergleich zu "Das vergessene Fest" etwas unfair ist, da es nun einmal eine andere Geschichte erzählt, aber die Idee ist an vielen Stellen eine ähnliche. Nämlich, dass mehrere Abschnitte immer wieder auf andere Passagen Bezug nehmen, rückgreifend für "Aha" und "Da war doch was"-Momente sorgen. Leider war das letztlich für mich hier nicht so greifbar wie beim Vorgänger.

"Immer sollte etwas geschafft sein, damit etwas Neues beginnen konnte. Und plötzlich ist schon alles vorbei." S.195
 
Mein Herz liebte die Erzählweise und die Idee, aber mein Kopf schob immer dazwischen, dass mir inhaltlich etwas fehlt. Eine Instanz zwischen den langsamen und den schnellen Fortschritten der Geschichte. Etwas, das mir den Roman und die Protagonist*innen, trotz ihrer natürlichen Unvollkommenheit, dennoch hätte greifbar wirken lassen.
Von mir daher klare Empfehlung für alle, die etwas Anderes und durch die Erzählart Rührendes lesen möchten. An den Vorgänger kam die Geschichte für mich aber rein vom thematisch umgesetzten Aspekt leider (!) nicht ganz heran. Vielleicht auch, weil mir für einige Themen selbst die nötigen Verbindungen und Erfahrungen fehlen.


2 Kommentare:

  1. Das Buch hat mich sofort überzeugen können. Sowohl inhaltlich als auch vom Cover. Danke für die Rezension dazu =)

    Zeilentänzerin

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