"Bluets" von Maggie Nelson

Juli 11, 2021

Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: "Bluets"/ 2009) Heyne Verlag (2021), Übersetzer/in: Jan Wilm (aus dem Englischen), ★★★★☆ 4 Sterne
"Die Geschichte einer tragischen Liebe. Denn er, der Prinz des Blauen, hat sie verlassen. Also gibt sie sich mit ganzer Kraft dem hin, was von ihm übrig ist: dem Blau. Maggie Nelson kennt all seine Schattierungen und Geheimnisse – stolz hütet sie ihre Sammlung blauer Objekte –, und sie kennt alle Künstler, die dem Blau verfallen waren: ob Joni Mitchell, Billie Holiday oder Yves Klein. Aber zugleich nutzt sie die Farbe, um sich selbst zu erkunden. Kaum jemand hat seinen Schmerz auf so poetische, inspirierende Weise seziert, wie Maggie Nelson es tut – eine lyrische, philosophische und sehr persönliche Erkundung der eigenen Leidensfähigkeit. "
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"Warum Blau? Man stellte mir oft diese Frage. Ich weiß nie, wie ich darauf antworten soll. Ich will sagen: Wir haben keine Wahl, wen oder was wir lieben. Wir haben einfach keine Wahl. S.11
Auf den gut 98 Seiten wechselten sich die Gedanken "Okay, ich habe das Konzept verstanden" - "ich habe es nicht verstanden" zunächst ein wenig ab. Ich musste mich erst einmal darauf einstellen, dass das Buch schwer zu kategorisieren ist.

Einerseits ist es schlichtweg "schön" und poetisch. Diese Stellen habe ich so sehr genossen und geliebt. Sie haben mich an einen ganz speziellen Ort entführt. Andererseits gab es das komplette Kontrastprogramm mit obszönen Äußerungen und dem Fokus auf das beinahe animalische und triebhafte Verhalten eines Menschen, wenn es um Liebesbeziehungen und körperliche Leidenschaft geht. Ich muss leider sagen, dass dies wiederum absolut nicht mein Fall war und ich das Buch dadurch an gewissen Stellen zu "gewollt provokativ" fand.
Viele sehen diese Art des Schreibens ja als eine Art Rebellion, als das "Wahre und Ehrliche". Obszöne Wörter als Ausdruck der Freiheit, also ganz nach "nutze vulgäre Begriffe um frei und losgelöst, cool und hip zu sein, nicht verklemmt". Aber ich kann damit einfach nichts anfangen. Für mich haben diese Ausdrücke, hat diese Wortwahl nichts Schönes, Mutiges oder Befreiendes. Mich nervt es einfach nur und hat mir in diesem Fall auch leider den Gesamteindruck etwas schwächer erscheinen lassen. Auch hier sei aber eben auch gesagt: Das ist eine sehr subjektive Empfindung. Andere Leser*innen mögen es vielleicht, wenn philosophische und eher gesittete Aussagen durch eine härtere Wortwahl durchbrochen werden. 
 
Dennoch fand ich den Rest eben so kunstvoll, unterhaltsam, ruhig, beruhigend und interessant, dass ich das Buch letztlich wirklich mochte.
Die kleinen Gedankenschnipsel, manchmal nur aus einem Satz bestehend, die hinsichtlich der Gedanken und Eindrücke zur Farbe Blau dargelegt werden, waren für mich unheimlich stimmig und waren so clever formuliert. Manchmal kamen auch Überlegungen auf, die man so gar nicht mal im Ansatz greifen würde, die hier aber wirken, als sei es eine ganz natürliche Theorie.
Ebenso greift sie Thematiken auf, die sich anfangs banal auf die blaue Farbe beziehen und dann in eine ernste und auch gesellschaftskritische Richtung gehen zum Beispiel, wenn es darum geht, wie Depressionen bei Frauen dargestellt und konnotiert werden.
"Doch warum sich überhaupt mit Diagnosen herumschlagen, wenn eine Diagnose nichts weiter ist als eine Umformulierung des Problems?" S.18
Nelson neckt sich und das Buch anfangs auch ein wenig und sagt, sie erzähle jedem von diesem „blauen Buch“, habe aber noch nichts geschrieben. Manchmal wusste ich nicht, ob sie diese Gedanken wirklich fühlt oder einfach etwas Vorzeigbares präsentieren wollte. So oder so ist es ihr geglückt, schöne Momente einzufangen, die mir noch etwas länger im Gedanken geblieben sind.
 
Zudem habe ich das Büchlein während einer Bahnfahrt gelesen und dazu war es geradezu perfekt. Da die Autorin von den Erinnerungen, Beobachtungen und Vorlieben von Blautönen redet und man gleichzeitig hinausschaut, kann es sein, dass man ebenfalls etwas Blaues erblickt, dann gleichzeitig kurz pausiert und darüber nachdenkt, was oder ob diese Farbe überhaupt etwas in einem selbst auslöst.
Daher mein Tipp: irgendwo lesen, wo man ein wenig mit den Gedanken abschweifen kann. 
Was ich letztlich besonders schön fand, war, dass man zu weiteren Überlegungen verleitet wird: Habe ich eine Lieblingsfarbe? Hat sie mich (un-)bewusst beeinflusst oder geprägt?
"'Sieht die Welt durch blaue Augen blauer aus? Wahrscheinlich nicht, aber ich ziehe es vor, das zu glauben (Selbstverherrlichung)." S.21
 

Ein schlankes Büchlein mit vielen schönen Theorien, Eindrücken und poetischen Stellen. Wenn es um die (Liebes-)Beziehung der Protagonistin geht, wurde es mir etwas zu obszön und gewollt, was mir das gesamte Konzept aber nicht zerstört hat. Mir gefielen die vielen Wege, die in Richtung der Farbe Blau, ihrer Bedeutung und den Erinnerungen dazu eingeschlagen werden und diese blieben mir auch nach dem Lesen noch eine Weile erhalten. Schönes Buch und perfekt, wenn man es draußen liest.


 

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