"Leute wie wir" von Diana Evans

Mai 12, 2021

Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: "Ordinary People"/ 2018) Atlantik Verlag (2021), Übersetzer/in: Mayela Gerhardt (aus dem Englischen), ★★★☆☆ 3 Sterne
"Ein bittersüßer Roman über die Liebe und das moderne Familienleben unter den Zwängen des Alltags -- Es ist nicht lange her, dass Melissa und Michael, von ihren Freunden liebevoll M&M genannt, das allseits bewunderte Paar waren. Doch jetzt ist ihre Ehe so einsturzgefährdet wie das Einfamilienhaus im Süden Londons. Melissa ist gerade Mutter geworden, aber statt Erfüllung empfindet sie Überforderung und sucht Trost bei den nigerianischen Eintöpfen und Zaubern ihrer Mutter. Das macht Michael nur noch unzufriedener, der sich ein aufregendes Leben ohne Kinder zurückwünscht. Und da gibt es noch ein anderes Paar: Damian und Stephanie – und ihre drei Kinder. Damian kommt mit dem Verlust seines Vaters nicht zurecht er und sehnt sich mehr als denn je nach … Melissa."
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"'Die größte Herausforderung im Leben besteht darin, nicht vor unserem Tod zu sterben.' sagte Melissa. 'Das habe ich einmal irgendwo gelesen. Das geht nämlich vielen Menschen so.'"  S.266

Wieder ein Buch, das ich mit einem sehr gemischten Gefühl verlasse. Der Titel setzt der Geschichte schon einen ganz guten Stempel auf, denn tatsächlich kann man sich darauf vorbereiten, dass man hier von ganz gewöhnlichen Leuten liest. Es folgen Beschreibungen der alltäglichen (Beziehungs-)Krisen, Ängsten, Sorgen um die Kinder und der Frage danach, was wir eigentlich noch mit unserem Leben anstellen und was wir erreichen wollen.
Grundsätzlich also keine schlechte Idee. Ich mag Alltagsgeschichten. Geschichten, in denen man sich wiederfindet, in denen man diese Sorgen teilweise teilen kann und sich sagt "Okay, es geht nicht nur mir so". Die Protagonist*innen sind dabei sogar stehts recht nahbar, weil sie mitten im Leben stehen und eben keine Traumjobs mit Megagehalt beziehen. Jedoch fällt man dadurch auch schnell in den Modus, dass man deren Verbitterung annimmt und die Menschen um sie herum genauso kritisiert und "nervig" findet. Es findet kaum die Möglichkeit statt, diese Menschen objektiv wahrzunehmen, obwohl man weiß, dass jede*r sein eigenes Päckchen zu tragen hat. 

Irgendwann schwingt dadurch so eine gewisse Ablehnung mit, die nur häppchenweise durch Annäherungen aufgebrochen wird zum Beispiel, wenn mal fallen gelassen wird, dass der oder die Partner*in ja eigentlich doch der Mensch ist, mit dem man das Leben verbringen möchte. Leider bin ich daher eher mit dem Gefühl aus dem Roman gegangen, dass "Leute wie wir" einfach nur anstrengend sind, nur nörgeln und nie zufrieden sind. Natürlich, dadurch greift in gewisser Hinsicht die Kritik an den Maßstäben an uns selbst, verhindert aber, dass teilweise das große Ganze in Frage gestellt wird, was überhaupt dazu führt, dass sich die Gesellschaft so unter Druck gesetzt fühlt.

Insgesamt schien mir der Roman dann jedoch mit jedem Kapitel einfach zu lang zu werden, zu ausufernd. Manchmal hat er sich dann doch in Details verzettelt, welche die Geschichte sehr gestreckt haben, sodass auch die Figuren immer wieder um sich selbst gekreist sind ohne "voranzukommen".

"'Faszinierend, wie Musik einen das ganze Leben lang begleitet und es einem stückchenweise wieder zurückbringt, selbst Dinge, die man glaubte vergessen zu haben."  S.266
 
Es gab allerdings auch durchaus positive Dinge an und in dem Roman zu entdecken. Den ersten Teil empfand ich als sehr zart, nachdenklich, beinahe philosophisch. Einigen Gedankengängen bin ich mehr als gerne gefolgt und ich habe auch die vielen Musikverweise sehr geschätzt. Es entsteht eine wirklich sehr eigene Note (auch in Bezug auf den Schreibstil), die schon etwas Neues an sich hatte. Das gefiel mir wirklich sehr.  
Bis zu einem gewissen Punkt bin ich auch den Figuren gerne gefolgt und habe von ihren ganz banalen alltäglichen Erfahrungen lesen wollen. Es hatte teilweise etwas Beruhigendes an sich, davon zu lesen, dass niemand das perfekte Leben führt oder führen kann. Mir gefielen die Einblicke in die verschiedenen Beziehungen. Wie geht ein Vater oder eine Mutter mit ihrer Rolle den Kindern gegenüber um? Gibt es Unterschiede darin? Und wenn ja, wieso überhaupt? Welche Sorgen lasten auf wessen Schultern? Zugegeben, diese Fragen sind in vielen Romanen essenziell, doch hier hatte ich einen besseren Zugang zu einigen Aspekten, als in anderen Geschichten.
Was mir dahingehend besonders gefallen hat, war die sich langsam zuspitzende Situation, in der sich Melissa und ihre Tochter befinden. Irgendwas scheint in ihrem Verhalten vor sich zu gehen und hier und da vermischen sich Realität und Aberglaube / Übernatürliches.


Der Roman liest sich wie das Cover. Es ist eine Karte. Darin eine Hauptstraße, die viele Abbiegungen nimmt, mal in diese Nebenstraße einfährt, mal mit einer anderen verläuft und dann plötzlich endet. Grundsätzlich waren es dann zum Schluss auch einfach zu viele Nebenstraßen. So werden wichtige Themen aufgegriffen (z.B. Gefahren in Londoner Straßen, Gangkriminalität), die aber sehr abrupt enden und sich nicht richtig in den Rest eingliedern. So bleiben viele Stränge bloße Schnipsel und Einblicke in andere Leben, der Leute wie wir. Daraus folgt, dass sich der Roman an vielen Stellen endlos anfühlt und in Details verirrt.
Geglückt ist jedoch das Porträt der Durchschnittsfamilie, die sich durch Leistungs- und Gesellschaftsdruck an ihre Grenzen gebracht sieht. Bis zu einem gewissen Grad bin ich den Paaren gerne gefolgt, habe gerne von ihren Träumen und Wünschen gelesen, zum Schluss jedoch bin auch ich irgendwo abgebogen, wo ich die Familien nur noch schwer finden konnte und sie mich ein wenig ermüdend zurückgelassen haben.


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