Zwei Frauen, zwei intensive Entwicklungen: "The Harpy" & "Eileen"

März 28, 2021


"I asked my mother what a harpy was; she told me that they punish men, for the things they do." - The Harpy, S.28


Die Autorinnen Megan Hunter und Ottessa Moshfegh (auch "My Year of Rest and Relexation") sind derzeit gut im Gespräch. Ihre Romane werden zahlreich besprochen und sogar für Preise nominiert. Mit gut 193 ("The Harpy") und 260 Seiten ("Eileen") bewegen sie sich in einem Feld der Art von Büchern, die man schnell durchliest. Oder etwa nicht? Das wollte ich herausfinden und habe mir die beiden Romane für eine Lesezeit von zwei Tagen vorgenommen. Im Folgenden also meine Einschätzung, ob sich die Bücher für einen "Quick Read" eignen, was die Stärken sowie auch Schwächen der Geschichten sind und inwieweit die erwähnten Transformationen und Veränderungen umgesetzt werden.

Die Ausgangssituation

"The Harpy" von Megan Hunter: Lucy und Jake leben in einem Haus, das von einem Feld umgeben ist und wo die Sonne wie ein Feuerball brennt. Lucy hat ihre Karriere auf Eis gelegt, um ihr Leben ihren Kindern zu widmen, ihrem gemeinsamen routinierten Tagesablauf und dem Haus selbst, das ihr wie ein alter und listiger Freund Trost spendet. Doch eines Nachmittags ruft ein Mann an und hinterlässt eine Nachricht: Seine Frau hat eine Affäre mit Jake. Diese Enthüllung markiert einen Wendepunkt: Lucy und Jake beschließen zusammenzubleiben, vereinbaren aber eine ganz besondere Abmachung, um die Ehe zu retten und die Wogen zu glätten - Sie wird ihm drei Mal weh tun.
Als sich das Paar diesem dunklen Spiel unterwirft, beginnt sich Lucy zu verändern und gibt sich einer Transformation hin, von der es kein Zurück mehr gibt.

"Eileen" von Ottessa Moshfegh: Die Weihnachtszeit beschert Eileen Dunlop wenig Freude. Gefangen zwischen der Fürsorge ihres alkoholkranken Vaters und ihrem Job als Sekretärin im Gefängnis für Jungen, füllt sie ihr Leben mit den Träumen an eine Flucht in die Großstadt. Als die schöne und charismatische Rebecca Saint John auftaucht, ist Eileen verzaubert. Doch schon bald zieht sie die Zuneigung zu Rebecca in ein Verbrechen, das sie sich nicht in ihren kühnsten Träumen hätte vorstellen können... 

Die Entwicklungen der Figuren

"The Harpy": Verwoben mit dem Mythos der "Harpie", bietet der Roman einen deutlichen Reiz. Was verbindet Lucy mit dieser Gestalt und wie weit wird sie sich ihr annähern? Mir gefiel sehr, dass die alltäglichen Geschehnisse von den Deutungen der Harpyie unterbrochen wurden. Den Leser*innen wird ein wenig das Wissen an die Hand gegeben, woher der Mythos kommt, was die Eigenschaften der Harpyie sind und inwieweit diese eben auch auf die Protagonistin "anzuwenden" sind.
Zunehmend bemerken wir eine unterschwellige Unzufriedenheit, die anfangs noch versucht wurde, klein zu halten. Damit gehen Fragen einher wie: Was ist die Stellung der Frau in der Gesellschaft? Was wird verlangt? Wie viel "opfert" man, um Kinder und Ehemann gleichermaßen zufrieden zu stellen? Ist man (als Frau, Mutter und Ehefrau) jemals genug?
Die Entwicklung von Lucy geht, da die Erzählung nur wenige Seiten lang ist (und auch da viel gestreckt wird), relativ schnell von statten, ist aber ebenso intensiv. Es wird zunehmend düsterer, vielleicht sogar verbitterter. Ihre Ängste, Sorgen und auch ihre Wut brechen Bahn. Grundsätzlich war ich daher mit der Umsetzung zufrieden und habe die Annäherung an die Harpyie nachvollziehen können. Tatsächlich hätte ich mir aber sogar noch eine viel stärkere Verknüpfung gewünscht, um diese Entwicklung noch packender zu machen.

"Eileen": Die Außenseiterrolle, Armut, der Lebensort und familiäre Situation lassen sie zur Einzelkämpferin werden. Umso stärker wird auch die Sehnsucht nach einer engen Freundin, mit der sie alles teilen könnte, um dem "normalen Bild einer jungen Frau" zu entsprechen.  Dieser Wunsch lässt sie zum Schluss Dinge tun, derer sie sich zumindest nur in ihrer Vorstellung angenommen hat. Ihre Persönlichkeit, die sich durch Zurückhaltung und vor allem Einhaltung der Regeln und des ständigen träumerischen Wunsches nach einem selbstständigen Durchsetzen und Handeln, auszeichnet, ist Mittelpunkt der Erzählung. Ihre Verwandlung und Flucht vor ihrem alten selbst wird zum Lichtblick für einen Neuanfang.
Und trotz dieser recht cleveren Umsetzung, konnte ich nie richtig zum Roman selbst durchdringen - anders als zur Protagonistin (denn diese ist trotz ihrer negativen Eigencharakterisierung nahbar und man hat das Gefühl, dass man sich einerseits selbst darin erkennt oder auch Mädchen im Kopf hat, die einen an dieses Mädchen erinnern). Die Beschreibung der Entwicklung startet, wird dann wieder zurückgeworfen, um dann erneut voranzuschreiten und aufs Neue zurückgeschubst zu werden. Dadurch, dass Eileen ihre Erlebnisse als erwachsene Frau erzählt (was bereits auf der ersten Seite erkennbar ist), habe ich erwartet, dass nach all den großen Ankündigungen ihrerseits, der Einfluss von Rebecca noch stärker in den Vordergrund rücken würde. Ich hatte oftmals den Eindruck, als hätte sich Rebecca stärker verändert als Eileen, da sie bereits zu Beginn andeutet, dass sie gelernt hat, sich zu verstellen.
Obwohl ich die Geschehnisse teilweise mit Spannung mitverfolgt habe, blieb mir die groß angepriesene Veränderung Eileens zu schwach zurück. Es blieb eine Verstellung und keine Entwicklung, wie sie zum Beispiel in "The Harpy" zu erkennen ist.

Gute und schlechte Seiten (des Romans)

Bei beiden Romanen blieb letztlich das Gefühl, dass ich mir etwas anderes vorgestellt hatte. Vielleicht war ich sogar ein wenig "enttäuscht", dass nicht das ganze Potential ausgeschöpft wurde. Daher gibt es folglich auch einige Aspekte, die ich im Großen und Ganzen mochte, die ich aber auch etwas zu schwach fand. 
 
"The Harpy": Düster, geheimnisvoll, "zurückgezogen". Das sind drei Begriffe, die mir einfallen, wenn ich an die Atmosphäre des Romans denke. Wir sind "im Kopf" der Protagonistin, der sich zunehmend zu einer recht gefährlichen Stimme entwickelt. Dadurch entsteht eine sehr eigene Stimmung, die das Lesen zu einem besonderen Erlebnis macht. 
Ich mochte zudem sogar (was mich selbst überrascht hat), dass gewisse Handlungsstränge nur kurz angerissen werden. Das bezieht die Kritik am Verhalten von Jake und am Verhalten des Ehemanns der Affäre mit ein. Das Gefühl, dass die Situation beinahe irrwitzig scheint, ist somit ebenfalls vorhanden. Die Protagonistin sieht sich in den Fängen ihrer Mitmenschen und dem Spott ausgesetzt ohne etwas unternehmen zu können. Das Gefühl ist durchaus spürbar und wurde auch gut umgesetzt. Sie bleibt alleine mit ihren Gedanken, die immer "verbitterter" und wütender zu werden scheinen. 
Der Fokus liegt daher wirklich sehr stark auf Lucy, nicht auf den anderen Figuren. Deren Emotionen und Absichten bleiben verborgen, wobei man vieles erahnen kann.
Daher war ich sehr von dem stark psychologischen Aspekt des Romans angetan. Es sind Feinheiten und Nuancen, auf die man achten muss, welche die Geschichte zum Schluss zu einer ganz raffinierten kleinen Erzählung machen, die man doch im Kopf behält.
 
Wie bereits angedeutet, hätte mir jedoch sogar ein noch stärkeres Zusammenbringen der Protagonistin und der "Harpyie" gewünscht. Zwar ist ein deutlicher Höhepunkt erkennbar, aber ich habe damit gerechnet, dass die Züge der mythischen Figur noch intensiver im Mittelteil eingebaut wären. 
 
 
"Eileen": Was mir während des Romans sehr stark aufgefallen ist, war die ständige Kritik an dicken Menschen. Es griff oftmals den Gedanken des "fat shamings" auf. Dies kann man natürlich überwiegend auf Eileens eigene Problematik mit Essen zurückführen (sie beschreibt sich als sehr mager und erzählt von einem schwierigen Verhältnis zu Essen), dennoch entsteht ein abschätziges Gefühl, das sich schon beinahe unangenehm liest.
Obwohl "The Harpy" ab und zu auch zu einer härteren Wortwahl greift (auch sexuelle Andeutungen), ist dies hier noch präsenter. Hier stehen zum Beispiel Missbrauch und auch grundsätzlich viele sexualisierte Anspielungen im Fokus. Sie sind hier nicht deplatziert, da sie für die Handlung essentiell sind, jedoch sollte man wissen, dass die Inhalte nicht immer leicht zu verdauen sind. 

Ich kann in diesem Fall nicht wirklich sagen, ob ich den Roman gemocht oder nicht gemocht habe. Er hatte durchaus seinen Reiz, vor allem, weil er die Leser*innen damit ködert, dass man wissen will, um welches Verbrechen es sich handelt, jedoch bleibt einiges unklar zurück. Um die fehlenden Informationen geschickt "zu kürzen", deutet die Protagonistin immer an, es sei "nicht Teil ihrer Geschichte" und solle somit keinen weiteren Platz einnehmen. Auch hier: clever gemacht und während des Lesens auch nicht weiter störend. Zum Schluss jedoch merkte ich, dass ich mir da doch mehr gewünscht hätte. Letztlich schien mir alles etwas chaotisch, was den Ausgang der Geschichte nicht so spektakulär gemacht hat, wie er hätte sein können. 
Dennoch! Auch hier ist die Atmosphäre eine sehr eigene, die die Leser*innen vielleicht auch zur richtigen Zeit wirklich in den Bann ziehen kann.

Quick Reads Fazit: Romane für Zwischendurch?

Ich habe beide Romane relativ schnell durchgelesen. Das bedeutet: Ein Buch pro Tag. Bei "Eileen" war es jedoch so, dass ich erst nach den ersten 100 Seiten richtig schnell vorankam. Der Anfang hatte für mich einige Längen und auch die Spannung hielt sich noch in Grenzen. Nach und nach jedoch empfand ich eine Neugier, die Lösung des Ganzen herausfinden zu wollen.

Doch trotz der geringen Seitenzahl sind die Inhalte schwerfälliger. Zwar kann man die Geschichten schnell "runterlesen", die Thematik jedoch lädt auch dazu ein, sich für gewisse Wendungen und Inhalte Zeit zu nehmen. Besonders bei "The Harpy" habe ich nun den Drang die Geschichte noch einmal zu lesen, um mir die Details noch einmal genauer anzusehen.
Daher: Ja, es sind Bücher, die man an einem Tag gut lesen kann, die sicherlich auch ihre Wirkung hinterlassen. Es sind aber auch Bücher, die durch die schwere und ernste Thematik gut geeignet sind, um sie langsamer zu lesen und auf ihre psychologische Stärke hin zu untersuchen.

 

"I was like Joan of Arc, or Hamlet, but born into the wrong life - the life of a nobody, a waif, invisible. There´s no better way to say it: I was not myselfback then. I was someone else. I was Eileen" - Eileen, S.2


Die Ausgaben: "The Harpy" (Original: "-"), Picador (2020), Übersetzer*in: - // "Eileen" (Original: "-"), Penguin (2015), Übersetzer*in: - //


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