Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: "Die nicht sterben"/ 2021), Penguin Verlag, Übersetzer/in: -, ★★★★☆ 4 Sterne
"Eine junge Bukarester Malerin kehrt nach ihrem Kunststudium in Paris in den Ferienort ihrer Kindheit an der Grenze zu Transsilvanien zurück. In der Kleinstadt B. hat sie bei ihrer großbürgerlichen Großtante unter Kronleuchtern und auf Perserteppichen die Sommerferien verbracht. Eine Insel, auf der die kommunistische Diktatur etwas war, das man verlachen konnte. „Uns kann niemand brechen“, pflegte ihre Großtante zu sagen. Inzwischen ist der Kommunismus Vergangenheit und B. hat seine besten Zeiten hinter sich. Für die Künstlerin ist es eine Rückkehr in eine fremd gewordene Welt, mit der sie nur noch wenige enge Freundschaften und die Fäden ihrer Familiengeschichte verbinden.
Als auf dem Grab Vlad des Pfählers, als Dracula bekannt, eine geschändete Leiche gefunden wird, begreift sie, dass die Vergangenheit den Ort noch nicht losgelassen hat – und der Leitspruch ihrer Großtante zugleich der Draculas ist. Die Geschichte des grausamen Fürsten will sie erzählen. Am Anfang befürchtet sie, dass sie die Reihenfolge der Geschehnisse verwechseln könnte. Dann wird ihr klar: Jede Reihenfolge ergibt einen Sinn. Weil es in der Geschichte nicht um Ursache oder Wirkung geht, sondern nur um eines: Schicksal. Inzwischen aber ist es für jede Flucht zu spät."
"Später, in der Abenddämmerung, flogen aus den Bauruinen Fledermäuse, unzählige, sodass es sich anhörte wie das Blubbern eines Flusses." S.46
Bereits in den ersten beiden Kapiteln verschmelzen Grusel und Andeutungen an den Kommunismus zu einer Einheit. Ehrlich gesagt war ich beim ersten Lesedurchgang mehr als verwundert, blätterte zurück und schaute, ob mir etwas entgangen war. Erst als die Autorin selbst in einem Gespräch von dieser Szene gesprochen hat, verstand ich die Anspielungen. Mir wurde bewusst, dass ich wohl noch weniger mit dem Alltag im Kommunismus vertraut bin, als die ohnehin schon entfremdete Protagonistin. Vieles hat sich mir daher nur nach und nach als Ganzes ergeben.
"'Schauen Sie!', hob Sabin an, als hätte er eine Führung für uns gemacht, 'da sind auch Gräber von 1764 und von 1490, hier auch eines aus dem Jahr 1477. Stellen Sie sich das vor: 1477! Da soll noch einer sagen, wir hätten hier keine Geschichte.'" S.149
Ich mochte, wie die Erzählerin in die Vergangenheit greift, um Vlad als würdigen und scheinbar gerechten Herrscher zu porträtieren, gleichzeitig aber immer seine grausame Ader mitschwingen lässt. Es ist dieser Spagat, der auch in B. aufzeigt, dass Menschen einen Herrscher suchen, der alles für sie regelt, der ihnen Ruhm und Reichtum, sorgenloses Leben verspricht und dabei Mord, Spektakel und andere Grausamkeiten in Kauf nehmen würden - natürlich, solange es nicht sie selbst betrifft.
Vlad bekommt hier durchaus seine "ironischen" Momente verpasst, was die folgenden Taten jedoch nicht abmildert. Es werden blutige und brutale Szenen beschrieben, die nicht unbedingt für ein wohliges Gefühl sorgen. Dennoch gelingt es dem Roman nicht laut "Horror" zu schreien, sondern sich eben irgendwo zwischen Alltagsleben und Schauerwelt zu bewegen. Zudem finde ich es sehr geglückt, dass die Figur der Vampire immer etwas im Verborgenen bleibt. Ist dieser Schatten wirklich da gewesen? Gab es den grünen Rauch in der Gruft? Dracula und die Vampire werden somit nie ins Lächerliche gezogen, sondern bleiben auf dieser Ebene des Rätselhaften. Mir persönlich gefiel es daher sehr.
"'Weshalb ich aber ein Verlangen nach der Nacht hatte, hätte ich damals noch nicht sagen können, und beim Versuch, Ihnen doch noch eine Erklärung abgeben zu können, befällt mich eine Nervosität, die meinen Schreibfluss nur hemmt." S.236
Ein Roman über ein rumänisches Städtchen, der viel Interpretationsspielraum hergibt, den Dracula-Mythos aufgreift und dabei geschickt auf politische Strategien anspielt und diese auch generationsübergreifend betrachtet. Für mich persönlich waren die schaurigen Momente gut platziert und auch die Beleuchtung des "echten" Dracula ("Vlad der Pfähler") war für mich spannend, informativ und gut in den Rest der Geschichte eingebaut. Ich mochte die Erzählstrategie der Protagonistin und auch ihre persönlichen Bezüge zur Malerei, die sie häufiger anbrachte. Es gab zwar durchaus einige Stellen, in denen ich nicht ganz wusste, wie ich sie deuten und einordnen soll, jedoch ergibt sich dadurch manchmal eine zusätzliche und neue Erzählart, die ebenfalls spannend sein kann.
Für die weiteren Auflagen würde ich mir wünschen, dass man die diskriminierenden Begriffe, die in einem Kapitel vermehrt auftauchen, weglässt oder umändert.
Leave a little note ~ Hinterlasse eine kleine Notiz
Mit dem Absenden Deines Kommentars bestätigst Du, dass Du meine Datenschutzerklärung, sowie die Datenschutzerklärung von Google gelesen hast und akzeptierst.