Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: "Greenwood"/ 2019), Penguin Verlag (2020), Übersetzer/in: Stephan Kleiner (aus dem Englischen), ★★★★(☆) 4,5 Sterne
"Eine Familie, vier Generationen, schicksalhaft verbunden mit den Wäldern Kanadas Jacinda Greenwood weiß nichts über ihre väterliche Familie, deren Namen sie trägt. Sie arbeitet als Naturführerin auf Greenwood Island, doch die Namensgleichheit, so glaubt sie, ist reiner Zufall. Bis eines Tages ihr Ex-Verlobter vor ihr steht. Im Gepäck hat er das Tagebuch ihrer Großmutter. Jahresring für Jahresring enthüllt sich für Jacinda endlich ihre Familiengeschichte. Seit Generationen verbindet alle Greenwoods eines: der Wald. Er bietet Auskommen, ist Zuflucht und Grund für Verbrechen und Wunder, Unfälle und Entscheidungen, Opfer und Fehler. Die Folgen all dessen bestimmen nicht nur Jacindas Schicksal, sondern auch die Zukunft unserer Wälder …"
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"'Liebst du den Wald mehr als mich?',
[...]
'Du bist ein guter Mensch, Liam. Einer der besten, die es gibt. Aber du bist nur ein einziger Mensch', sagte sie, saugt sich Fruchtmarkt aus den Zähnen und spuckt es in den Sand. 'Die Natur ist größer als wir alle.'" S.84
Habe ich einen solchen Roman erwartet? Nein. Hat er mich enttäuscht? Definitiv nicht. Der Klappentext und auch das erste Kapitel haben mich erst einmal auf eine "falsche" Fährte gelockt. Ich dachte wir lernen die Familie Greenwood auf die übliche Art und Weise kennen. Eine Einführung, die nach und nach stattfindet, die aber stets in der Gegenwart spielt.
Der Roman ist jedoch anders und gleichzeitig ganz clever aufgebaut, nämlich wie eine Art Jahresring des Baums. Wir bewegen uns vom Ausgangspunkt der Gegenwart, in mehreren Schritten, in die Vergangenheit und anschließend wieder zurück. Schicht um Schicht werden so die Familiengeschichte und auch die möglichen Geheimnisse offengelegt.
Die Geschichte erinnerte mich, natürlich auch aufgrund der Thematik selbst, ein wenig an "The Overstory" von Richard Powers. Eine Familienchronik und die Verantwortung, die wir für die Bäume und Natur tragen in einem. Was für mich bei Powers jedoch nicht ganz funktionieren wollte, hat sich hier jedoch durchaus als geglückt herausgestellt. Beide Aspekte, der Familienzusammenhalt, also auch die Frage danach, was eine Familie überhaupt ausmacht und der Bezug zur Erhaltung beziehungsweise Rettung der Natur, wirkten nicht überladen und haben sich wunderbar ergänzt.
"'Menschen ergeben nie Sinn', sagt Everett. 'Merken Sie das jetzt erst?'." S.382
Bis zur Hälfte des Romans hatte ich noch das Gefühl, dass mir etwas fehlt. Etwas Kleines, das ich nicht bestimmen konnte, was ich aber bräuchte, um die Geschichte vollends greifen zu können. Als sich die Handlung dann aber zum Ende hin wieder "herausgezoomt" hat, verspürte ich eine gewisse Trauer, dass ich die Figuren nun gehen lassen muss.
Dabei sind die Figuren nicht einmal alle liebevoll oder fehlerfrei. Es ist eher das Gegenteil der Fall. Man merkt, dass jedes Schicksal, jede Aufopferung nur soweit reicht, wie diejenige Person imstande ist sie zu tragen. Die nächsten Generationen sehen sich dann wieder mit anderen Konflikten, Problemen und Fragen konfrontiert, sodass jede*r neue Regeln schreibt. Das bedeutet auch, dass wir als Leser*in mitbekommen, welche Gegenstände, Orte, Taten für gewisse Personen eine wichtige Rolle gespielt haben und für welche Nachkommen diese eben nicht mehr von großer Wichtigkeit sind. So vermischen sich Schuld, Verantwortung, Verständnis und Ablehnung durchgehend.
Es entsteht durchaus eine melancholische Stimmung, da uns hier immer wieder die Vergänglichkeit aller Dinge und auch uns selbst vorgeführt wird. Zwar geht es um Themen, die uns hinterfragen lassen, ob wir richtig handeln, gute Menschen sind und wieweit wir selbst gehen würden, um jemandem zu helfen, jedoch bleibt es letztlich auch eine Geschichte, die den Lauf der Zeit und den Verfall einer gewissen Beständigkeit aufgreift.
"Seiner Erfahrung nach behandeln wir einander umso schlechter, je härter das Leben wird. Und das Schlimmste heben wir uns für unsere Familien auf." S.436
"Das Flüstern der Bäume" lässt uns mit einem nachdenklichen und vielleicht nicht gerade fröhlichen Gefühl zurück, schenkt uns dafür aber eine Geschichte, die sich von Kapitel zu Kapitel tiefer in unser Herz bohrt. Auch wenn mir bis zur Hälfte des Romans noch etwas gefehlt hat, haben sich die vielen Schichten der Familie und einzelnen Protagonisten zum Ende hin für mich wunderbar ergänzt, sodass ich sie schwer loslassen konnte. Mir gefiel das Zusammenspiel der Familienchronik und dem Aspekt der Bäume. Zwar rückt der Aspekt des Naturschutzes letztlich doch etwas in den Hintergrund, aber die Botschaft bleibt durch die Art und Weise, wie die Geschichte rein optisch aufgebaut ist, haften. Insgesamt ein Roman, der wenig optimistisch, aber realistisch ist und sich nach und nach um einen schmiegt.
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