Das Holländerhaus von Ann Patchett

Juli 12, 2020

Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: "The Dutch House"/ 2019), Berlin - Piper- Verlag (2020), Übersetzer/in: Ulrike Thiesmeyer (aus dem Englischen), ★★★★☆ 4 Sterne
"Manchmal ist es ein Haus. das die Geschicke einer Familie bestimmt..."
Danny und Maeve sind Geschwister und wohnen seit Kindheitstagen im Holländerhaus. Eine Streitigkeit in der Familie sorgt jedoch dafür, dass ihre Stiefmutter Andrea sie fortan aus dem Haus drängt. Wirklich Abschiednehmen können sie da noch nicht und so treffen sie sich auch nach Jahren noch, um vor dem Haus zu parken und es zu betrachten, samt Mitbewohner*innen. Doch eines Tages scheint nicht nur das einst geliebte Holländerhaus neue Wege gehen zu wollen...
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"In der Leitung blieb es kurz still. 'Was hast du vor?'
       'Ich möchte gern verstehen, was in unserem Leben los war. Ich versuche dasselbe, was du immer machst, ich will die Vergangenheit entschlüsseln.'
'An einem Samstagmorgen', sagte sie. 'Bei einem Ferngespräch?'" S.179

Kann ein Haus wirklich das Schicksal mehrerer Generationen beeinflussen?
Ann Patchetts "Das Holländerhaus" macht anfangs den Anschein, als ginge es in dem Roman an erster Stelle eben um das namentlich erwähnte Gebäude. Was löst es in den Menschen aus? Welches Mobiliar finden wir vor und welche Geschichte steckt dahinter? 
Liest man aber nur einige Kapitel wird schnell deutlich, dass das Haus nur das Grundgerüst allen dessen ist, was Patchetts Roman uns sagen möchte und letztlich sind es die Feinheiten zwischenmenschlicher Beziehungen, welche die Figuren stets leiten.

Auch wenn dies heißt, dass der Anteil des tatsächlich vorkommenden Holländerhauses etwas reduziert wird, mochte ich die Herangehensweise. Das Haus bleibt ein kleines mystisches Etwas, das vielleicht gewisse Einflüsse hat, das aber letztlich nur eine Projektion der Figuren und deren Träumen bleibt. Dabei mochte ich vor allem, dass man von Danny und Maeve dadurch immer kleine Geheimnisse aus der Vergangenheit erzählt bekommt und diese dafür sorgen, dass man als Leser*in denkt, man hätte seine Kindheit auch ein Stück weit dort verbracht.
So ist das Haus irgendwie omnipräsent, ohne ständig Mittelpunkt des Ganzen zu sein.

"Fluffy war die Einzige im Haus, die die VanHoebeeks noch gekannt hatte. Nicht mal mein Vater hatte sie persönlich kennengelernt, obwohl wir auf ihren Stühlen saßen, in ihren Betten schliefen und von ihrem Delfter Porzellan aßen. Die VanHoebeeks waren nicht die Geschichte, aber das Haus war in gewissem Sinne die Geschichte, und es war ihr Haus."  S.15

Für mich war der Roman daher eine Hommage an die Familie und gleichzeitig eine Kritik daran, was passiert, wenn man die eigenen Wünsche und Vorstellungen einfach auch für andere Personen als angemessen und erstrebenswert ansieht. Die Geschichte stellt dadurch auch die Frage, wie das Schicksal der Protagonisten wohl verlaufen wäre, wenn es das Holländerhaus gar nicht gegeben hätte. Sind die Ambitionen von Dannys und Maeves Vater Grund für das gleichzeitig auseinanderfallende Familiengerüst?
Es ist sicherlich nicht leicht, den Roman nur auf einen Aspekt zu reduzieren, denn hier treffen sich sehr viele Perspektiven, soziale Schichten, Vergangenheiten und (unverzeihliche) Fehler, dass man mit vielen Themen konfrontiert wird. 
Der Erzähler Danny ist natürlich treffend gewählt (und im Zusammenspiel mit Mave fantastisch), da er einerseits, die ihm in der Vergangenheit unverständlichen Handlungen der Erwachsenen aus Kindheitssicht aufzeigt und andererseits als Heranwachsender und schließlich Erwachsener, selbst damit kämpft (wichtige) Entscheidungen zu treffen, um sich, aber leider auch andere glücklich zu machen. 
Mir gefiel zudem, dass keine Figur einfach zu entschlüsseln ist und niemand in "gut" oder "böse" unterteilt wird (auch wenn es die "böse" Stiefmutter zu geben scheint). Es gibt zahlreiche Graustufen, die es Stück für Stück selbst, nicht einzuordnen, aber zu interpretieren gilt. 

Die Fülle an Wendungen und Ereignissen hat mir ganz gut gefallen, auch wenn man manchmal schon denkt, dass man es etwas mit einem Augenzwinkern lesen sollte und die Geschichte kleine ironische Passagen einbaut, um das doch schwere Familienschicksal nicht zu sehr zu belasten.
Mich hat der Roman grundsätzlich durchgehend gut unterhalten, aber der Schluss war für mich noch einmal besonders geglückt, da hier noch einmal der Fokus darauf gelegt wird, dass ein Perspektivwechsel wieder ganz neue Geschichten und Wahrheiten hervorbringen kann.


Ein Roman über eine Familie, deren Gedanken stets um das Haus kreisen und gleichzeitig die Schwierigkeiten mit unvollendeten Geschehnissen der Vergangenheit thematisiert.  Es ist ein Familiendrama, das mal bitterernst ist und Fehler innerhalb der Familie und deren Vorstellung füreinander skizziert und dann wiederum durch ironische Einschübe für Lockerungen sorgt. Hat durchaus ein interessantes Konzept, man muss aber Romane mögen, die sich mit der Dynamik von (Stief-)Familien beschäftigen und das Augenmerk auf die Spannungen von Familienmitgliedern legen.

2 Kommentare:

  1. Hallo,

    eine schöne Rezension! Ich denke, ich werde das Buch noch lesen, es klingt nach einer Geschichte nach meinem Geschmack. :-)

    LG,
    Mikka

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    1. Falls du es lesen solltest, wünsche ich dir schon einmal viel Spaß! :)


      Liebe Grüße
      Karin

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