Walden von Henry D. Thoreau

Juni 01, 2020

Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: "Walden, or Life in the Woods"/ 1854), Manesse Verlag - Manesse Bibliothek #19 (2020), Übersetzer/in: Fritz Güttinger (aus dem amerikanischen Englisch), Kommentiert und mit einem Nachwort von Susanne Ostwald, ★★(★)☆☆ 2,5 Sterne
"Pflichtlektüre für alle Fortschrittsskeptiker, Sinnsucher, Weltflüchtige sowie Wald- und Naturliebhaber.
Ein Klassiker von enormer Brisanz: ein leidenschaftliches Plädoyer für Verantwortung, Selbstbestimmung und ein naturnahes, ressourcenschonendes Leben. Nirgendwo finden sich die besseren Argumente für Achtsamkeit und Nachhaltigkeit, Minimalismus und Vegetarismus."
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"Es ist nie zu spät, sich von Vorurteilen zu lösen." S.14

Ich musste mich bei diesem Buch zwar nicht von Vorurteilen lösen, aber besser gesagt von einer Vorüberzeugung und Sicherheit, dass ich es mögen würde. Was ich mehr als schade finde, da der Klassiker seit Jahrzehnten als "Must Read" beworben wird.
Das, was mir bereits in dem einleitenden Kapitel zu seinem "Aufbruch in die Wildnis" am prägnantesten vorkam, war der Schreibstil. Er erinnerte mich an Jean-Jaques Rousseau und seine "Bekenntnisse" - sehr konzipiert und auf seine eigene "reine Weste" ausgelegt. Daher finden wir kaum schlechte Dinge von oder über ihn, da sie getilgt oder nicht benannt wurden. Was eigentlich nicht überraschend sein sollte, wenn jemand einen Text schreibt, der das Leben des damals modernen Menschen kritisieren und zum Umdenken anregen soll. Für mich jedoch glich es ein wenig einem Theaterstück.

Sollte Thoreau dies, aufgrund einer schlauen, rhetorischen, ironischen, aber mir nicht zugänglichen Idee umgesetzt haben, tut es mir leid, wenn ich hier so kritisch schreibe. Aber mich hat der Text einfach eher verärgert und danach nur gelangweilt.

Es scheint zum Beispiel so, als mache er fast alle Menschen, außer sich selbst natürlich, schlecht. Und dies, obwohl er teilweise auch auf sie und ihre Hilfe angewiesen ist. Er verschmäht die Lust der Menschen, sich auch mal trivialer Literatur zuwenden zu wollen, kritisiert aber gleichzeitig, dass reines Studieren nichts bringe und man sich lieber handwerklicher Arbeit zuwenden solle. Es heißt bei ihm zum Beispiel: "Vom Lesen als einer hohen geistigen Tätigkeit wissen sie wenig oder nichts; dabei kann nur eine solche wirklich Lesen genannt werden, nicht das Lesen zum Zeitvertreib, das uns einlullt, und die höheren Fähigkeiten brachliegen lässt. Nur das, wonach wir uns strecken und recken müssen, kann wirklich Lektüre heißen" (S.173f.)
Nun, einerseits möchte er zur Einfachheit zurück, verseht seinen Text aber mit solch einem akademischen Touch, dass er sich eben von diesen "einfachen Leuten" wieder abhebt und eher zur Elite gehört. Das war für mich einfach durchgehend störend, weil es zu paradox war, um es nicht irgendwann zu kritisieren.
Ebenso ist er so gebildet und allwissend, dass selbst erfahrene Bauern ihm keinen guten Ratschlag zum Bohnenanbau geben können: "Mein Bohnenfeld war weit und breit das einzige offene und bebaute Stück Land, und das bot reichlich Anlass für Kommentare." (S.256) Auch wenn er sich damals schon sehr für das Wald- und Naturleben interessiert und sich dahingehend weitergebildet hat, fand ich es recht überheblich, sich als Superbauer darzustellen und gleichzeitig das Wissen der "normalen" Bauern zu mindern.

"Großartig kann man die Landschaft um den Walden-See nicht nennen; sie ist auf ihre bescheidene Art zwar sehr schön, wird aber den, der sich nur kurz hier aufhält und nicht an seinem Ufer gelebt hat, nicht sonderlich berühren; und doch ist dieser See seiner Tiefe und Klarheit wegen so bemerkenswert, dass er eine ausführliche Beschreibung verdient."  S.286

Die Naturbeschreibungen fand ich durchaus oft gelungen und beruhigend, wie ich es mir zu Beginn erhofft hatte. Auch wenn der Anfang nichts damit zu tun hat, dass man von der Welt flüchten kann, sondern dass man eher noch stärker reingezogen wird, gibt es ab der Mitte durchaus schöne Beobachtungen der Gegend und der Tiere, die man gerne liest. Allein, dass er sich gefühlt drei Seiten lang mit den Ameisen und ihren Kämpfen beschäftigt, war ganz interessant.
Da ich, wie erwähnt, von dem "Weltflüchtigen" angetan war, war ich jedoch etwas enttäuscht. dass er stets zu dem Alltag der Menschen zurückgekehrt ist, um auch hier, seine Wohltaten hervorzuheben und andere Verhaltensweisen zu kritisieren.

Dabei lässt sich natürlich nicht bestreiten, dass die Kritik an dem verschwenderischen, "faulen" und egoistischen Lebensstil der Menschen nicht sinnvoll ist und gute Anhaltspunkte zur Diskussion geschaffen werden, aber mich störte die Art wie dies geschieht. Im Endeffekt kritisiert er nämlich durchaus auch durchgehend sich selbst. Ob gewollt oder nicht, das wusste ich eben bis zum Ende nicht so genau.
Er macht es sich nämlich bei einigen Beobachtungen, Vorschlägen und Ratschlägen sehr einfach, indem er sagt "so und so muss es sein", dabei aber viele Faktoren außer Acht lässt.
Die vielen Wiederholungen des Gesagten, die er nur umformuliert und den Text dadurch unnötig in die Länge zieht, stehen ebenfalls oft als Paradoxon zur eigenen Aussage. So sagt er in Bezug auf Nachrichten "Hat man einmal den Grundgedanken erfasst, was braucht man Tausende und Abertausende von Beispielen?" (S.156) Gleichzeitig führt er selbst oft ähnliche Beispiele für den gleichen Gedanken an. Zum Beispiel, wenn es darum geht, dass Menschen gerne Statuen errichten, er aber lieber hätte, dass sie sich um ihre Charakterzüge kümmern. (Vgl. S.150 und 96).

Ich Verstehe den Reiz, das Buch als Klassiker anzusehen, aber ich finde doch zu viel negative Kritik, als dass ich dem Geschriebenen bedingungslos verfallen wäre. Vielleicht ist dies aber auch das Gute daran, dass man den Text kritisch lesen kann und dennoch etwas Wertvolles daraus zieht.
Das Nachwort gibt durchaus weitere Aufschlüsse über die Entstehung und Hintergründe. Mich konnte es aber nicht davon abhalten, die Art von Thoreau an vielen Stellen beinahe unsympathisch zu finden.

"Ich bin überzeugt, wenn alle so einfach leben würden, wie ich es damals tat, gäbe es weder Diebstahl noch Raub. Dergleichen kommt nur vor, wenn die einen mehr als genug haben, während andere darben." S.280


Ein Klassiker, der mich leider eher enttäuscht zurückgelassen hat. Die Natur- und Tierbeschreibungen fand ich oftmals durchaus geglückt und angenehm zu lesen, aber die Einstellung Thoreaus und die überhebliche Stimmung, die seine Erzählstimme auf mich ausstrahlte, haben mich immer wieder zurückgeworfen und auf Distanz gehalten. Natürlich, die Kritik an gewissen gesellschaftlichen Normen ist durchaus berechtigt und auch in vielerlei Hinsicht wünschenswert, aber auch hier fand ich leider die Umsetzung zu fordernd. Thoreau versucht sich hier selbst an der Kritik der anderen auf eine höhere Stufe zu stellen, was das Lesen irgendwann anstrengend gemacht hat.
Auch wenn ich vom Inhalt nicht überzeugt bin, finde ich die Entscheidung des Manesse Verlags, den Klassiker mit einer neuen Übersetzung und Überarbeitung (inklusive Nachwort und Anmerkungen) näher ans Original zu führen, dennoch sinnvoll. Aufgrund meiner persönlichen Einstellung zum Erzähler, war es schlichtweg kein Buch für mich.

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