Hamnet von Maggie O´Farrell

Mai 20, 2020

Roman namens Hamnet von Maggie O´Farrell
(Original: "Hamnet"/ 2020) Tinder Press (Headline Publishing Group Imprint), Übersetzer/in: -, ★★★★(☆) 4,5 Sterne
Die dt. Ausgabe "Judith und Hamnet" erscheint im Oktober 2020 im Piper Verlag
Ein Tag im Sommer 1596 in Stratford-upon-Avon. Ein junges Mädchen liegt mit Fieber im Bett. Ihr Zwillingsbruder, Hamnet, sucht überall nach Hilfe. Wieso ist niemand Zuhause? Die Mutter ist in einem Garten, in dem sie Kräuter anwächst, etwa eine Meile entfernt. Der Vater arbeitet in London. Keiner von beiden ahnt, dass eines ihrer Kinder diese Woche nicht überleben wird...
Hamnet ist eine Geschichte, inspiriert von dem Sohn eines des bekanntesten Dramatikers. Eine Geschichte, die von dem Band von Zwillingen erzählt und von einer Ehe, die an den Rand der Trauer gedrückt wird.
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"Every life has its kernel, its hub, its epicentre, from which everythihng flows out, to which everything returns."  S.8

Maggie O´Farrells neuester Roman hat es für mich zu Recht auf die Shortlist des Women´s Prize for Fiction geschafft. "Hamnet" ist so vieles und gleichzeitig so komprimiert, dass es schwierig ist, den Inhalt festzulegen.
O´Farrell versucht hier einen historisch-fiktiv-realen Mittelweg zu finden, um die Geschehnisse, die zu einem der Bekanntesten Theaterstücke ("Hamlet") geführt haben, näher zu Beleuchten. Natürlich versucht sie dabei mit guter Recherchearbeit vorzugehen, Personen, Namen, Orte und anderweitig bekannte Details (was aufgrund des langen Zeitabstands zu 1596 gar nicht so einfach ist), so akkurat wie möglich einfließen zu lassen. Vieles entspringt aber natürlich ihrer eigenen Version von "wie es sich zugetragen haben könnte".

Darüber hinaus erschafft sie aber eine ganz eigene Geschichte, in der wir vor allem der Protagonistin Agnes sehr nahekommen. Hier setzt auch schon der erste Punkt an, den ich positiv hervorheben möchte. Agnes ist die Frau des Lehrers, des Dramatikers, den alle Welt später kennen wird. Umso schöner war es, dass der Roman eben nicht um Shakespeare kreist. Zumindest nicht vordergründig, denn sein Name wird nie explizit ausgesprochen oder erwähnt. Der Roman trickst nicht damit, dass man sich auf diese Bekanntheit und sein Auftreten im Text verlässt, auch wenn man sich dies zugegebenermaßen vielleicht ab und an gewünscht hatte. 
Im Fokus stehen aber prinzipiell die Gefühle, die Ängste und Sorgen wie auch die Trauer, die alle Figuren miteinander verbinden. Obwohl diese recht schwerfälligen Emotionen dominieren und einem durchaus öfters mal ein Kloß im Hals stecken bleibt, habe ich den Roman im Großen und Ganzen als doch eher aufmunterndes Buch in Erinnerung behalten. Die Geschichte zeigt nämlich durchaus auf, wie unterschiedlich die Menschen mit der Trauerbewältigung umgehen. Dies geschieht mal mehr, mal weniger kollegial, führt zu Spannungen und Unverständnis, verdeutlicht aber eben auch, dass man meist nie alleine mit diesen Gefühlen dasteht. Auch wenn sich nicht immer alles "reparieren" lässt, so gibt es immer eine Lösung.

"'He sits forward, placing his elbows on his knees, dropping his voice to a whisper. 'She can look at a person and see right into their soul. There is not a drop of harshness in her. She will take a person for who they are, not what they are not or ought to be.'
    He glaces at Eliza. 'Those are rare qualities, are they not?'" 
S. 77

Was mir persönlich ebenfalls sehr zugesagt hat, war die gesamte Atmosphäre des Romans. Es ist irgendwie alltäglich, mystisch, melancholisch und doch auch packend. Packend, vielleicht nicht im Sinne von rasant und vollgepackt mit den unvorstellbarsten Wendungen, sondern im Sinne davon, dass man einfach gebannt ist von der Erzählweise.
Mich hat "Hamnet" tatsächlich auch ein Stück weit an O´Farrells Roman "Instructions for a Heatwave" erinnert, weil es die Geschichte und die Herausforderungen einer Familie beschreibt und versucht alle Perspektiven einzufangen. Es ist also durchaus eine Art Familienporträt. Auf der anderen Seite jedoch spaltet sich der anfängliche Eindruck ab, da wir in eine neue Welt eintauchen. Hier hat mich vieles zum Beispiel an eine Mischung aus "Once Upon a River" von Diane Setterfield und auch "Circe" von Madeleine Miller erinnert. Auch diese beiden Romane sind im Wesen eher ruhig, entfalten aber so eine ganz eigene Magie, dass man sehr gerne in der Welt verweilt und die Figuren in ihrem Agieren und ihren Entwicklungen beobachtet.
 
Kleine Abzüge habe ich nur gemacht, weil mir an der einen oder anderen Stelle vielleicht ein bis zwei Seiten mehr zu der Gefühlswelt in gewissen Situationen gefehlt haben und ich genau weiß, dass der Roman nicht für alle Stimmungslagen gedacht ist (also eigentlich ist das keine negative Kritik).

Die Dynamik zwischen Hamnet und Judith und die Wirkung der beiden auf andere, fand ich ebenfalls unfassbar gut herausgestellt und ausgearbeitet. Es waren mitunter die Passagen, die ich am meisten genossen habe, da diese Verbundenheit der Geschwister, hier Zwillingen, wunderbar in den Fokus gerückt wurde.

"He pushed two silvers of apples across the table to them. At exactly the same moment, Hamnet reached out with his right hand and gripped the apple and Judith reached out with her left.
    In unision, they raised the apple slices to their lips, Hamnet with his right, Judith with her left. [...] It´s like a mirror, he had said. Or they are one person split down the middle." 
S.280


Grundsätzlich würde ich sagen, dass der Autorin hier etwas sehr Schönes gelungen ist, da das Zusammenspiel aus passender Sprachwahl, träumerischen / magischen Sequenzen und dem Familien- / Ehepaardasein, gebunden mit der Thematisierung des Verlusts wunderbare Ergänzungen schafft. Vieles wird offenbart, aber einiges bleibt auch dem Leser überlassen, ob er sich den Deutungen zugewandt fühlt und diese akzeptiert. Ich habe jedes Kapitel genossen, auch wenn man die Trauer der Figuren deutlich spüren kann. Obwohl das Buch eher ruhig daherkommt, ist es zu einem meiner Highlights geworden.

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