Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: "Quichotte"/ 2019) C. Bertelsmann (2019), Übersetzer/in: Sabine Herting (aus dem Englischen), ★★★★☆ 4 Sterne
"Salman Rushdies Quichotte ist ein Reisender, der besessen ist von der »unwirklichen Wirklichkeit« des Fernsehens. Er will das Herz der Königin der Talkshows erobern und begibt sich auf eine Reise quer durch Amerika, um sich ihrer als würdig zu erweisen; auf dem Beifahrersitz, Sancho, der Sohn, den er sich immer gewünscht hat, aber niemals bekam.
Rushdie nimmt Quichottes Abenteuer mit in unsere Gegenwart. Er erzählt dabei auch von Vater-Sohn-Beziehungen, Geschwisterstreitigkeiten, unverzeihlichem Handeln, alltäglichem Rassismus, der Opioidkrise, Cyber-Spionen, Science Fiction, dem Leben des Mannes, der Quichotte geschaffen hat, und nicht zuletzt vom Ende der Welt."
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"Wie auch immer, er würde sich nicht abhalten lassen.
Solche Geschichten gehen alles in allem nicht gut aus." S.21
Solche Geschichten gehen alles in allem nicht gut aus." S.21
Aus Cervantes´ Don Quixote wird Rushdies Quichotte.
Soviel sei tatsächlich verraten, auch bei Rushdie kämpft der Antiheld und Protagonist mit, auf dem Weg auftretenden, Widrigkeiten. Aber nicht immer ist direkt ersichtlich, wieso gewisse Stränge überhaupt erzählt werden.
Ich musste mich erst ein wenig in die Neuinterpretation hineinfinden, denn es passiert ständig etwas und doch weiß man nicht immer, worauf dies hinauslaufen soll. Gibt es überhaupt ein Finale oder ist, wie man so schön sagt, der Weg das Ziel? Mir schien es oftmals und auch besonders zum Ende hin, dass es ein Roman ist, den man entweder sehr mag oder eben nicht, denn er ist schon ein wenig speziell. Rushdie greift auch hier wieder zum magischen Realismus, verwischt demnach auch stark die Linien zwischen Fiktion und Realität und eröffnet eine neue Ebene, die Raum für jegliche Interpretationen lässt.
Für mich war es letztlich eine kleine Lesefreude, nicht zwingend, weil ich die Geschichte und die Handlung so großartig fand, sondern weil er mit der Variation von Text und seiner Möglichkeit spielt. Es gibt zahlreiche intertextuelle Verweise (den Einschub mit Ionescos "Einhörnern" - hier Mammuts - fand ich super), aber auch Anspielungen an bekannte Filme, Serien und andere kulturell geprägte Ereignisse. Dadurch wird die Geschichte zu einem Bündnis unseres heutigen Weltverständnisses, was mir durchaus sehr gefallen hat. Was vielen als zu viel oder als Overload scheinen könnte, empfand ich als Punktlandung, was unser Empfinden der Welt angeht. Alles ist zu viel, zu laut, zu gefährlich, zu aggressiv, als würde die Erde tatsächlich bald vor lauter Anspannung explodieren...
"Damals gab es T-Shirts, Frodo lives, Go Go Gandalf, er trug sie alle. Selbst damals wollte er schon eine Quest. Es gibt Leute, die dem formlosen Leben eine Form geben müssen. Für solche Leute ist das Erzählen einer Quest immer attraktiv. Es bewahrt sie davor, unter den Qualen zu leiden, wie heißt das Wort. Sich zusammenhanglos zu fühlen." S.114
Bei aller Begeisterung für die Art des Romans, den magischen Realismus, universelle Fragen oder einfach für das Lesegefühl, mochte ich zudem die kritisch angeführten Äußerungen zu politischen Themen wie auch dem grundsätzlichen Umgang der Menschen miteinander. Hier wird natürlich die Trump-Ära unter die Lupe genommen und auch die daraus resultierenden, ich sage mal, Missstände.
Ebenso darf man aufgrund der Tatsache, dass die Protagonisten Inder sind damit rechnen, dass auch der Rassismus eine zentrale Rolle einnimmt. Dabei wird darauf geachtet, dass auch hier das Verhältnis von beinahe fiktiver Angst und realer Angst angemessen hinterfragt wird.
Die Figuren selbst waren mir ehrlich gesagt gar nicht mal so sympathisch. Dennoch kann man alle Ängste, Sorgen, aber auch Glücksgefühle und Taten irgendwie nachvollziehen. Oftmals scheinen sie sehr überspitzt und an einen Wahn grenzend, wenn nicht sogar sehr aufdringlich. Alles wird aber kritisch beäugt und auch benannt, als das, was es sein kann. Aufdringliche Textnachrichten zum Beispiel nicht nur als Akt der Bewunderung, sondern schlichtweg als Stalking. Die Frage nach der Perspektive ist demnach ebenfalls von Bedeutung (vor allem im Zusammenhang mit der Vergangenheit des Erzählers). Nebenbei bemerkt wirkte die Liebesquest für mich eher wie ein Deckmantel, sodass es hier nicht sonderlich romantisch zugeht. An sehr vielen Stellen merkt man zudem, dass man ein gewisses Verständnis für Ironie und Überspitztheit mitbringen sollte.
Obwohl die TV- und Showbranche hier im Mittelpunkt zu stehen scheint, weicht der Roman relativ oft davon ab und tendiert beinahe dazu, selbst wie ein Skript zu wirken. Auch hier weiß man letztlich nicht, in wieweit der "echte" Autor, also der Erzähler der Realität entspricht. Dadurch entspinnt sich natürlich wieder die Frage danach, wie sinnvoll, wichtig oder irrelevant eine Trennung von Autor und Erzähler ist. Auch hier dreht man sich also irgendwie im Kreis, denkt aber gleichzeitig über mehrere Aspekte nach. Ich persönlich finde solche "Irrungen und Wirrungen" ja wunderbar, weil das Buch letztlich einen Gedankenprozess in Gang setzt und die eigene Kreativität und das logische Denken in Schwung bringt.
"Unser Zeitalter, n.G. [nach Google], in dem der Mob herrscht und das Smartphone den Mob beherrscht." S.307
Eine Neuinterpretation mit sehr viel Inhalt. Sehr aktuell und kritisch wird die momentane Angespanntheit der Gesellschaft skizziert und hinterfragt, so werden politische Machtstrukturen, aber auch der Rassismus in den Vordergrund gesetzt. Der Roman lässt sich zusätzlich noch auf viele weitere Ebenen auftrennen und untersuchen, sodass sie Protagonisten selbst noch einmal mit weiteren psychologischen Themen konfrontiert werden. Grundsätzlich finde ich Rushdies Quichotte, in Anbetracht meiner Unkenntnis des Originals, geglückt, auch wenn ich denke, dass einige den Roman als "Overload" empfinden könnten, da dieser gewissermaßen das Überschlagen von Ereignissen der aktuellen Gesellschaft widerspiegelt.
Ahoi liebe Karin,
AntwortenLöschendanke für deine Rezension! Bei diesem Buch bin ich mir unsicher, ob es was für mich wäre oder der totale Overload. Don Quijote fand ich klasse, Anspielungen auch; gleichzeitig bin ich aber keine Lietarturwissenschaftlerin und kenne nicht alles und jeden... Zudem habe ich von Salman Rushdie auch noch kein Buch gelesen, sodass ich nicht weiß, ob der Schreibstil was für mich wäre... Mal sehen, vielleicht lese ich das Buch ja irgendwann mal ^^
Liebe Grüße
Ronja von oceanloveR
Das Original wollte ich eigentlich vorher noch lesen, habe es aber zeitlich einfach nicht mehr geschafft. Daher fällt es mir jetzt natürlich schwer zu sagen, "Wenn du Don Quixote mochtet, wirst du das auch mögen". Aber der Roman bietet schon sehr viele gute Punkte, um einige Dinge aus unserer Gesellschaft zu reflektieren.
LöschenBeim Schreibstil bin ich mir unsicher. Ich habe damals Rushdies "Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte" als Hörbuch gehört und fand es oftmals sehr ermüdend, weil die Sätze so verschachtelt waren und unnatürlich in die Länge gezogen wurden. Bei dem hier ist das anfangs noch etwas der Fall, wird aber zunehmend angenehmer. :) Bin jedenfalls gespannt, ob es bei dir einziehen wird und ob es dich dann, wie der Klassiker von Cervantes, überzeugen kann.
Liebe Grüße
Karin
Ich werde dir auf jeden Fall berichten, falls und sobald das der Fall sein sollte :)
LöschenSchönen Sonntag noch!