Nordwasser von Ian McGuire

September 03, 2019

Nordwasser-Ian-McGuire
Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: "The North Water"/ 2016) Goldmann Verlag, Übersetzer/in: Joachim Körber (aus dem Englischen), ★★★(★)☆ 3,5 Sterne
"Henry Drax kennt kein Gewissen. Er ist Maschinist auf der Volunteer, einem Walfangschiff, das im Jahr 1856 von England Kurs auf die arktischen Gewässer der Baffinbucht nimmt. Ebenfalls an Bord ist Patrick Sumner, ein Arzt von zweifelhaftem Ruf, der glaubt, schon alles gesehen zu haben. Er ahnt nicht, dass seine größte Prüfung noch bevorsteht, nachdem er Drax einer ungeheuerlichen Tat überführt hat. Während sich der Konflikt zwischen den beiden Männern zuspitzt, wird auch der eigentliche Sinn der verhängnisvollen Expedition zunehmend klar . . ."
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"'Schweine grunzen, Enten quaken, Menschen lügen, so läuft das für gewöhnlich." S. 161

Zu aller erst: Der Roman ist nichts für schwache Nerven. Die Sprache ist vulgär, brutal, ziemlich blutig und thematisiert auch Vergewaltigung. Es werden die verschiedensten Aufspießungen und Häutungen beschrieben, die an Robben oder Eisbären vorgenommen werden, sodass jemand, der damit nicht gut zurechtkommt, hier seine Schwierigkeiten haben könnte.
Für mich persönlich war die Wortwahl manchmal zu derb, auch wenn ich verstehe, dass sie natürlich der Gruppendynamik und den damaligen Umständen geschuldet ist. An einigen Stellen konnte ich darüber noch hinwegsehen, aber die rassistischen Begriffe, die besonders im ersten Kapitel gefallen sind, finde ich einfach mehr als unpassend. Sie sollten nicht verwendet werden, auch wenn man denkt, dass sie zur damaligen Zeit passen. Gerade heute finde ich es wichtig da entgegenzuwirken.

Als ich vor dem Klappentext diese Zusammenfassung gelesen habe: "Das Schicksal einer Gruppe von Walfängern zwischen Eis, Blut und den Schrecken der Finsternis", musste ich (natürlich) sofort an Moby Dick denken. Umso gelungener fand ich den ersten Satz des Romans, der wie folgt lautet: "Sehet den Menschen." Kurz und knapp, Identitätslos, verallgemeinernd und auf eine Figur bezogen, die wir erst am Ende des Kapitels namentlich kennenlernen. Ein deutlicher Unterschied zu Melvilles "Call me Ishmael". Und doch passt dieser Kontrast sehr gut, besonders wenn man ihn den ganzen Roman über im Kopf behält.
Hier geht es nämlich grundsätzlich um die dunklen Seiten der Menschen. Und man wird mit der Frage konfrontiert, ob es überhaupt irgendjemanden in dieser Geschichte gibt, der nichts zu verbergen hat, der seine Identität (namentlich) gänzlich offenlegen kann.

"Er ist ein Drecksack und Schläger, aber das gilt für die Hälfte aller Männer an Bord. Wenn sie sanftmütige und zivilisierte Menschen suchen, Sumner, ist der Walfang vor Grönland nicht der geeignete Ort dafür." S. 127

Die Spirale, in die man als Leser / Leserin gezogen wird, fand ich durchaus geglückt. Zwar beginnt der Roman schon mit einer grausamen Tat, aber die Spannung und vor allem die Anspannung, die man am Anfang hatte, bleibt bestehen. An einigen Stellen ertappte ich mich dabei, wie ich die Augen weit aufgerissen habe, weil es nie aufhört, dass man sich von der Grausamkeit nicht überrumpelt fühlt. Hier kann man durchaus diskutieren, ob es eine geglückte und ehrliche Darstellung der menschlichen Abgründe ist oder ob es schon an der Grenze zum Übertriebenen ist.
Die angedeutete Dynamik zwischen den Figuren Drax und Sumner ist aber durchaus gelungen. Sumner, der sich eher bedeckt hält und einen Hang zum Lesen der Ilias hat und Drax, der nach und nach zum Mittelpunkt allen Geschehens zu werden scheint. So bleibt es auch eher eine Geschichte, die zwar auf dem Eismeer stattfindet und Wale, Robben, Eisbären (der Eisbär wird zu einem wichtigen Motiv!) erwähnt, aber es bleibt eine Geschichte, die sich auf den Menschen und seine eigenen egoistischen Interessen konzentriert.
Während des Lesens fielen mir zudem so viele interessante Aspekte auf, die man sicherlich noch näher analysieren und einen Kontext bringen könnte, aber leider habe ich auch hier meist nur noch die ganzen blutigen Passagen im Kopf, die alles zu übertönen scheinen. Daher bleibe ich bei diesem Roman mit einem sehr gemischten Gefühl zurück.


Der Roman, rund um den Arzt Patrick Sumner auf einem Walfangschiff, hat durchaus viele Spannungs- und Enthüllungsmomente, aber er ist gleichzeitig auch sehr brutal und weist oft eine vulgäre Sprache auf. Für mich war es, trotz der Umstände / Zeit / Gruppe einfach manchmal zu viel. Ich kann aber nicht leugnen, dass ich bis zum Schluss auf die Auflösung des Ganzen gespannt war. Ebenso gefielen mir die Kritik an gewissen menschlichen Verhaltensweisen und der damit zusammenhängenden Bestechlichkeit.

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