Joyce Carol Oates hat eine lange schriftstellerische Karriere und zahlreiche Auszeichnungen nachzuweisen. Für den Pulitzer-Preis wurde sie bereits mehrfach nominiert, kürzlich, 2019 wurde sie zudem mit dem Jerusalem-Preis ausgezeichnet. Zählt man all ihre Texte zusammen, die nach ihrem Erstling 1962 erschienen sind (auch die, die sie unter ihrem Pseudonym veröffentlicht hat), kommt man auf über siebzig Romane, Erzählbände, Novellen, Theaterstücke und Gedichte.
Es überrascht mich tatsächlich, dass ich so lange gebraucht habe, um überhaupt nur ein Buch von ihr zu lesen. Ständig schwebte mir ihr Name im Kopf herum und ständig schob ich ein "Ja, irgendwann lese ich etwas von ihr." nach (Hier sei angemerkt, dass ich "Big Mouth, Ugly Girl" als Schullektüre
gelesen habe, mich aber absolut nicht mehr daran erinnern kann, was eine
wirklich traurige Feststellung ist und es sich für mich wie - nicht gelesen- anfühlt).
Anfang dieses Jahres habe ich es dann glücklicherweise geschafft zu "Carthage" zu greifen. Je mehr Zeit verging und ich über den Roman nachdachte, stieg wieder das Bedürfnis auf, weitere Texte von Oates zu lesen. Kurz darauf verschlang ich regelrecht ihre beiden Erzählbände "The Cornmaiden and other nightmares" und "Give Me Your Heart - Tales of Mystery & Suspense".
"For that was the power of the night, where the thistledown gray cat stalked his prey, that you could dream what was real- and it was real, because you dreamt it." ("The Cornmaiden and other nightmares" , S.175)
"Carthage" ist eine eher ruhige Erzählung, die mit der Dynamik einer Familie spielt. Wer vertraut wem? Wem glaubt man eher? Welche Beziehungen leiden unter gewissen Handlungen? Der Leser wird zwar mit dem Verschwinden einer Person konfrontiert, aber der Roman setzt den Fokus nicht auf das Verbrechen selbst, sondern eben auf die psychologischen Aspekte und offenbart, wie schon in der Überschrift des Beitrags zu sehen, die Abgründe, die in jedem von uns stecken können.
Auch wenn man zunächst vielleicht eher mit spannenden Wenden und unvorhersehbaren Lösungen der Geschichte rechnet (die nicht gänzlich eintreten), wird man dennoch in den Bann der Erzählung gezogen, weil Oates es schafft, auch bei alltäglichen Situationen und Überlegungen zu Gefühlslagen, eine ganz besondere Spannung zu erzeugen.
Diese im ersten Roman auftretende Spannung hat sich für mich in dem Erzählband "The Cornmaiden and other nightmares" noch um ein vielfaches gesteigert. Und hier bemerkt man ganz deutlich, wie geschickt die Autorin mit der dunklen Seite des Menschen spielt. Denn sie lässt die größten Albträume, Monster und schrecklichen Zukunftsvisionen nicht als uns etwas Unbekanntes erscheinen, es sind keine Monster im herkömmlichen Sinne, die das Grauen hervorrufen, sondern der Spiegel, der dem Menschen vorgehalten wird. Er selbst ist es, wovor er am meisten Angtst hat und wohl haben sollte.
Und diese Kombination aus der Angst vor Monstern aus Horrorfilmen und der eigentlichen Gefahr, die aus den unbändigen Emotionen des Menschen heraustritt, findet sich auch in dem Erzählband "Give Me Your Heart" wieder. Auch wenn mir einige Geschichten eher, als andere zugesagt haben, könnte man diese beiden Erzählbände gut zusammenführen. Zu ihnen passt der Satz, der auf einem der Bücher prangt: "In [these] razor-sharp stories, Joyce Carol Oates shows that the most deadly mysteries often begin at home."
Die gleichnamige Erzählung über "The Cornmaiden" war wirklich intensiv. Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet, dass mich die Geschichte doch so gebannt zurücklassen wird. Die Erzählperspektive, das heißt auch die enormen Gefühlsbeschreibungen der Figuren wechseln sich rasant ab, überschlagen sich aber so, dass man sich in beiden gefangen fühlt.
Zudem fand ich es interessant zu sehen, dass eine kurze Erzählung so wirkte, als sei sie die Voridee zu "Carthage" gewesen. Dadurch hat man als Leser das Gefühl, dass man an der weiteren Entwicklung der Geschichten, die Prozesse mitverfolgen kann.
Zudem fand ich es interessant zu sehen, dass eine kurze Erzählung so wirkte, als sei sie die Voridee zu "Carthage" gewesen. Dadurch hat man als Leser das Gefühl, dass man an der weiteren Entwicklung der Geschichten, die Prozesse mitverfolgen kann.
"Your heart pounds, in terror of being snatched from your chest!" (Give Me Your Heart, S.13)
Für mich war es wirklich beeindruckend zu realisieren, dass mich die Geschichten von Oates so fesseln, weil sie sich anfühlen und auch so lesen, als seien es eben diese Horrorgeschichten mit Monstern vor denen wir uns so fürchten, die Nachts unter unseren Betten lauern oder darauf warten uns in einem Wald zu überfallen. Es baut sich Stück für Stück eine Angst vor der Offenbarung der Wahrheit auf, die in allen Geschichten präsent ist, dass sie zum eigentlichen Grundgerüst wird. Gehalten und aufgebaut wird sie durch die Menschen, die sie zunächst verheimlichen, verbergen wollen und es bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr ertragen können Jede Erzählung hat ihr eigenen psychologischen Schwerpunkte, lebt aber von der Verbindung oder der eben nicht existenten Verbindung zur Familie oder Liebe.
Es sind Geschichten und Situationen, die, wenn man sie wohl anders beschreiben würde, ganz banal und alltäglich wirken würden. Man liest von ihnen in Zeitungen, hört davon im Radio oder Fernsehen und vergisst sie wieder. Diese Geschichten, die Oates verschriftlicht, vergisst man jedoch nicht so schnell, obwohl sie das "normale", wenn auch grausame Leben offenbaren, denn sie sind voller gebrochener Herzen, aufwühlender Emotionen und oftmals auch getrieben vom Wahn.
Nach diesen drei Büchern bin ich mir mehr als sicher, dass ich bald wieder zu einem ihrer Romane oder Kurzgeschichten greifen werde. Nur welches es aus den über siebzig sein wird, das wird sich noch herausstellen...
Hallöchen,
AntwortenLöschenich habe vor einer Weile in "Sieben Reisen zum Abgrund" reingelesen und war auch fasziniert von der Kurzgeschichte "Cornmaiden". Ich habe sie noch nicht fertig gelesen, aber mir war gleich klar, dass Oates einen ganz besonderen Stil hat. Welches Buch von den dreien würdest du denn als erstes empfehlen?
Liebste Grüße, Kate
Ah, danke für den Hinweis. Ich wusste gar nicht, dass "The Cornmaiden" ins Deutsche übersetzt wurde. Na, da passt der Titel ja aber sehr gut. :)
LöschenIch persönlich würde mit einem der beiden Erzählbände beginnen. Die sind einfach noch in ihrer Handlung, Entwicklung und Auflösung etwas spannender als "Carthage". Den Roman würde ich lesen, wenn man schon weiß, was Oates beim Schreiben so drauf hat. :)
Liebe Grüße
Karin
Hallo,
AntwortenLöschenich kenne das. Autoren oder Autorinnen, die man unbedingt lesen will, es dann aber doch nicht tut, gerade weil sie so omnipräsent sind. Oder manchmal habe ich tatsächlich ein Buch von ihm oder ihr gelesen und wollte 'bald' weitere folgen lassen, und auf einmal ist das zwanzig Jahre her.
Ein Teil von mir sagt: natürlich habe ich von Joyce Carol Oates schon etwas gelesen!! Und ein anderer antwortet: Hast du das? Wirklich? Welche denn?
Und das kann ich nicht beantworten. Vielleicht habe ich inzwischen einfach so viel über ihre Bücher gehört, dass ich mir das einbilde.
Ich glaube aber, ich habe mal einen Krimi gelesen, den sie unter dem Namen Rosamond Smith schrieb, aber ehrlich gesagt kann ich mich da nur noch an das Titelbild erinnern, aber nicht mehr, wie ich es fand...
Im Moment spricht mich "Carthage" am meisten an!
LG,
Mikka
[ Mikka liest von A bis Z ]
Genau das gleiche Gefühl hatte ich immer bei Julian Barnes! Habe so oft davon gehört und stand immer so kurz davor etwas zu kaufen / zu lesen, dass ich dachte, ich hätte es tatsächlich getan.
LöschenJa, das kann sehr gut sein. Das Pseudonym ist mir beim Schreiben des Beitrags auch irgendwo untergekommen. Bei Pseudonymen bin ich aber immer vorsichtig, weil ich denke, dass sich der Autor von seinem eigentlichen Schreibstil abwenden möchte und etwas Neues ausprobiert. Daher wüsst ich jetzt nicht, ob die Krimis unter ihrem anderen Namen die gleiche "Qualität" haben. :)
Liebe Grüße
Karin