Lanny von Max Porter

April 06, 2019

Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: "Lanny"/ 2019) Kein & Aber, Übersetzer/in: Uda Strätling und Matthias Göritz (aus dem Englischen), ★★★★★ 5 Sterne
Nicht weit entfernt von London liegt ein kleines Dorf.
Dieses Dorf gehört den Menschen, die dort leben und die dort vor hunderten von Jahren gelebt haben. Es gehört zu Englands geheimnisvoller Vergangenheit und seiner wirren Gegenwart.
Aber es gehört auch Altvater Schuppenwurz, welcher aus seinem Schlaf in den Wäldern erwacht ist. Altvater Schuppenwurz, der allen lauscht.
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"Was meinst du, was geduldiger ist, eine Idee oder eine Hoffnung?“ S.48

Wie wird man einem Roman wie „Lanny“ in einer kurzen Besprechung gerecht? Ich weiß es nicht, aber ich will versuchen mich ein wenig heranzutasten.
Die Geschichte beginnt mit der nicht ganz greifbaren Figur Altvater Schuppenwurz. Wer oder was ist er? Wieso erwacht er gerade jetzt aus seinem Schlaf? Ja, man stellt zu Beginn viele Fragen und einige werden auch bis zum Schluss nicht direkt geklärt. Aber man wagt sich Schritt für Schritt weiter vor und versucht der Stadt und seinen Bewohnern ebenso zu lauschen, wie Altvater Schuppenwurz es macht. Dabei wird der Text an sein naturbezogenes Wesen angepasst, wenn es um die Gespräche der Dorfbewohner geht. Sie suchen sich ihren Weg, wie Ranken, wie Äste von Bäumen, wie der Wind. An einigen Stellen überlagern sie sich, verschmelzen, verdoppeln sich. Diese ganz eigene Art der Darstellung des Textes macht den Roman sicherlich zu etwas Besonderem, aber auch die Ausdrucksweise ist nicht zu unterschätzen. In einigen Abschnitten sucht man nach Antworten, an anderen Stellen hat man das Gefühl, als würde man alle Antworten auf einmal präsentiert bekommen, um dann wieder zu entschwinden. Dabei wird ein ständiger Wechsel von poetischen und sehr umgangssprachlichen Ausdrücken deutlich.

„Grotesk, Theresa, ist, wie rasend schnell das umschlägt, wie rasch ein vermisstes Kind zum Riesengeschäft wird. Wie manipuliert sind wir eigentlich?“ S. 166

Anfangs noch etwas unsicher, wie ich diese Umsetzung selbst fand, begann ich den Roman, die Geschichte, Lanny und auch Altvater Schuppenwurz immer mehr zu mögen. Lannys Art wird als speziell angesehen, ebenso wie die des „irren Pete“, der als stadtbekannter Künstler für reichlich Gesprächsstoff sorgt. Beide Figuren werden mit einer sehr nachdenklichen, beinahe philosophischen Sprache in Verbindung gebracht.
So stellt Lanny eben auch Fragen, wie die obere: „Was meinst du was geduldiger ist, eine Idee oder eine Hoffnung?“ Er steht sozusagen im starken Kontrast mit der heutigen Gesellschaft, die keine Zeit mehr für solche Fragen hat.
Auch Lannys Vater reagiert auf seine eigensinnigen Denkweisen verärgert. Generell ist er eine aufbrausende, nicht zur Ruhe kommende Person – vielleicht auch deshalb, weil ihn der stressige Arbeitsalltag Londons nicht loslässt. So unsympathisch mir Lannys Vater war, war er nötig, um diese Seite der Menschen mit einzubeziehen. Oberflächlich. Pessimistisch. Überarbeitet. Gefühlkalt?
Ebenso hat Lannys Mutter einige Eigenschaften an sich, die den Roman in eine düstere Richtung lenken. Hier muss ich ganz klar sagen, dass mich eine Stelle schon beinahe verstört hat. Wer nur sehr schwer Passagen lesen kann, die das Verletzen von Tieren beinhalten, der muss an einer Stelle wirklich aufpassen. Die Verknüpfung zum Beruf der Mutter als Krimischriftstellerin ist dadurch natürlich nur umso mehr gelungen und verdeutlich, wie makaber und wie paradox, aber psychologisch erklärbar sich Menschen manchmal verhalten.
Ehrlich gesagt könnte man jede beschriebene Figur so wunderbar und ausgiebig analysieren und versuchen dadurch jedes Detail zu interpretieren, aber ich denke, das würde die Geschichte zu einem gewissen Teil zerstören. Denn der Roman spielt mit dem mythischen, mit dem, woran wir vielleicht als Kind noch glauben können, was uns dann später aber abhandenkommt.

"diese Bücher, bei denen man sich das Ende selbst aussucht“ S.71


Manchmal durcheinander, wirr, manchmal abgeklärt. Manchmal bitter ernst und dann im nächsten Moment wahnsinnig witzig, passt sich der Roman an seine Figuren – an seine Dorfbewohner an. Und man verliebt sich augenblicklich in die Figur des Lanny. Inmitten steht der mythische Altvater Schuppenwurz, der aufzeigt, was die Menschen ausmacht. Dass sie sich oft falsch verhalten, sich der Mehrheit wegen zu Sachen hinziehen lassen, die von Vorurteilen belastet sind. Dabei vergisst er nie den Verweis auf die Macht der Natur, den Dingen die wir zum Leben brauchen. Und doch fragt man sich, zwar mit Zufriedenheit, aber mit keiner klaren Antwort: Wovon handelt der Roman? Er handelt wohl von Allem und vom Nichts. Von einer Geschichte, die wahr oder unwahr sein kann. Von der Gesellschaft oder einer Familie und deren Problemen. Sicherlich aber von einer Geschichte, die einen aufweckt und dazu anregt sich von gängigen Denkmustern zu lösen.


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