Das Leuchten des Mondes von Lydia Netzer

März 22, 2019



Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: Shine, Shine, Shine/ 2012) btb (2019), Übersetzer/in: Astrid Finke (aus dem Amerikanischen), ★★★(☆)☆ 3,5 Sterne
Als Maxon Sunny das erste Mal sieht ist er sieben Jahre, vier Monate und achtzehn Tage alt. Nun, zwanzig Jahre später sind sie verheiratet und Sunny möchte nichts sehnlicher, als "normal" zu sein und in der Nachbarschaft so wenig wie möglich aufzufallen. Das Führen des Haushalts hat sie zumindest schon perfektioniert. Aber Maxon ist ein hoch intelligenter Ingenieur und auf einer NASA Mission auf dem Weg zum Mond, um Roboter für eine neue Kolonie zu programmieren.

MEINE MEINUNG / FAZIT  

"Die Autos anderer Menschen waren wie Meteoriten. Manchmal rammten sie einen, ohne dass es jemand verhindern konnte." S.20

"Das Leuchten des Mondes" ist eine ungewöhnliche gewöhnliche Geschichte. Thematisch gesehen greift der Roman Gedanken auf, welche die Menschen täglich begleiten. Wie soll ich mich in der Gesellschaft verhalten? Wie fügt man sich ein, um akzeptiert und nicht ausgegrenzt zu werden? Und was bedeutet es eigentlich "normal" zu sein? 
Doch ist das "normal sein" nicht schlichtweg ein Deckmantel, hinter dem sich alle verstecken, um die eigenen Schwächen und Ängste zu verbergen, um einige Scherben des Lebens unter den Teppich kehren zu können?
Und gleichzeitig werden diese Fragen auf eine Art und Weise erzählt, die diese Geschichte zu etwas Besonderem macht, etwas Außergewöhnlichem und etwas Eigenem.
Der Leser wird zunächst mit dem beruflichen Leben von Maxon vertraut gemacht, denn das Anfangskapitel setzt im Weltraum an, auf einer Mission zum Mond, um dort eine Kolonie zu gründen. Maxon ist Astronaut, ein Astronaut, der sich mit dem Leben auf der Erde ziemlich schwer tut. Soziale Kontakte sind nicht seine Stärke, er zieht sich lieber zurück und grübelt über passende Formeln nach, die ihm nicht nur beruflich helfen sollen, sondern ihm auch als Anleitung für das Leben dienen. 
Kurz darauf tritt die Protagonistin Sunny auf, Maxons Ehefrau, die für beides steht. Den Kontrast zu Maxon und die Ähnlichkeit zu ihm. Durch ihren Wunsch die perfekte Hausfrau und Mutter zu sein, sich eigentlich nicht von den anderen abzuheben und ein ruhiges Leben zu führen und kein Aufsehen zu erregen, spürt man als Leser diese Verletzlichkeit ihrer Figur sehr stark. Man möchte sie ermutigen sich nicht von anderen bestimmen zu lassen, sich frei zu fühlen, obwohl man ganz gut nachvollziehen kann, wie schwierig dies manchmal sein kann.
Schnell wird deutlich, dass die Figuren selbst das "Anderssein" symbolisieren und greifen einerseits das soziale Verhalten, wie auch das nicht als stereotyp angesehen äußere Erscheinungsbild auf. Der Roman schafft es aber meiner Meinung nach, dies nicht zu verurteilen oder lächerlich dazustellen.

"Jemand sollte an der Tür klopfen, sie für untauglich, die Farce für beendet erklären, aber es kam niemand.“ S.177

Doch diese Gegenüberstellung der Figuren und der Kampf im Alltag, wenn man weiß, dass man sich "anders" sieht und fühlt, als seine Mitmenschen, dominiert nicht gänzlich den Roman. Es geht auch um sehr viel mehr. 
Nach und nach werden Einzelheiten aus der Vergangenheit beider Protagonisten erzählt, die einen durchaus berühren und die nicht immer leicht zu ertragen sind. Das Thema der Bewältigung verschiedener Traumata in der Kindheit ist demnach sicherlich auch präsent. Was mir hier tatsächlich missfiel, war eine Stelle, in der Sunnys Mutter mit einem Baseballschläger ein Pferd attackiert, um es für Sunny "zahm" zu machen. Der Beschützerinstinkt der Mutter spielt durchaus eine Rolle und diese Stelle führt sicherlich sehr gut an, wie stark dieser ausgeprägt war, allerdings bin ich mir sicher, dass dies anders hätte dargestellt werden können. Das Fehlen der deutlichen Kritik daran war einfach ein großer Minuspunkt, denn es wird nur erwähnt, dass Sunny zugleich "entsetzt" und "beeindruckt" gewesen ist. Dieses Verletzen des Tieres wird anschließend als Erfolg zur Züchtigung  gesehen, was für mich völlig unverständlich blieb.
Ebenso konnte ich an einigen Stellen wieder nur die Augen verdrehen, als rassistische Begriffe verwendet wurden, um die Abscheu anderen Menschen gegenüber und deren angeblichen Stand in der Gesellschaft zu verdeutlichen. Auch hier bin ich überzeugt, dass man dies ebenfalls durch eine andere Wortwahl transportieren kann.
Wären diese zwei Aspekte besser oder vernünftig ausgearbeitet gewesen, hätte ich mich viel stärker zu der Geschichte hingezogen fühlen können, denn es gibt wunderbare Passagen, die emotional, nachdenklich, voller Ängste, aber doch so wahr sind. Mir gefielen die ganzen Gegensätze die angebracht werden, die sich letztlich zu einem Ganzen verbinden und aufzeigen, dass hinter jedem falschen Lächeln eine zerbrechliche Persönlichkeit stehen kann. Ich fand auch die Figur des Sohns Bubber passend eingebunden, beinahe als Bindeglied, nicht nur familiär gesehen, sondern auch emotional.  Und besonders bei ihm geht einem das Herz auf.


Ein Roman, der nicht nur eine Liebesgeschichte ist. Er ist eine Familiengeschichte, eine Menschengeschichte und eine Geschichte, die zunächst weit weg von unserem persönlichen Leben scheint, die uns aber viel näher liegt, als man glaubt, denn die Frage nach dem Erlangen eines perfekten, makellosen Lebens stellen wir uns sicherlich alle in gewissen Situationen im Leben. Und die Geschichte zeigt auf, dass Perfektion nicht aus Einheitlichkeit und völliger Gleichheit besteht, sondern aus der Frage, was wir aus den uns vorliegenden Chancen und Möglichkeiten machen. Auch wenn mir vieles sehr gut gefallen hat und ich die Eigenart des Erzählens mochte, konnte ich mich mit einigen Formulierungen und Inhalten nicht anfreunden, sodass der Roman in seiner gänzlichen Betrachtung etwas an Begeisterung eingebüßt hat.


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