Der Verräter von Paul Beatty

November 13, 2018

Buch- Der Verräter- von-Paul Beatty

Rezensionsexemplar - (Original: "The Sellout"/ 2015) Luchterhand, Übersetzer/in: Henning Ahrens (aus dem Amerikanischen), ★★★(☆)☆ 3,5 Sterne

„Dickens, ein Vorort von Los Angeles, ist der Schandfleck der amerikanischen Westküste: verarmt, verroht, verloren. Zugleich ist es der ganze Stolz seiner schwarzen Einwohner, eine Bastion gegen die weiße Vorherrschaft. Hier zieht der Erzähler von "Der Verräter" friedlich Wassermelonen und Marihuana. Doch als sein bürgerrechtsbewegter Vater durch Polizeigewalt stirbt und die Gentrifizierung den gesamten Vorort auszuradieren droht, wird er unversehens zum Anführer einer neuen Bewegung: Mit seinem Kompagnon Hominy, alternder Leinwandheld aus "Die kleinen Strolche", führt er Sklaverei und Rassentrennung wieder ein ...“
Interview mit Paul Beatty zu seinem Buch: >>

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"Ich habe noch nie einen Anzug getragen, und der Händler, der mir diesen verkaufte, meinte: 'Gefällt Ihnen garantiert, wie Sie darin aussehen.´ Mein Spiegelbild sieht jedoch aus wie das aller anderen schwarzen Männer mit Geschäftsanzug und Cornrows oder Dreadlocks oder Glatze oder Afrolook, deren Namen und Gesicht keiner kennt - wie eine Verbrechervisage." S.11

Dieses Buch war wohl eines der größten Herausforderungen für mich seit langer Zeit. Ein schwarzer Ich-Erzähler, der sich kontinuierlich rassistisch äußert und sich vornimmt wieder die Rassentrennung und Sklavenhaltung einzuführen.
Von vielen wird das Buch als Satire betitelt. Natürlich, das könnte man eventuell in die Geschichte mit einfließen lassen und damit einiges erklären, aber ich war anfangs etwas ratlos. Daher stürzte ich mich auch nach Beenden der Lektüre auf verschiedene Interviews des Autors und auf Rezensionen verschiedener Leser, um meinen eigenen Eindruck irgendwo einordnen zu können.
Die Geschichte fängt sofort turbulent und natürlich spitzzüngig an. Der Ich-Erzähler greift bereits hier zu einem geschickten Manöver, in dem er sagt: "Aus dem Mund eines Schwarzen klingt das sicherlich unglaublich, aber ich habe nie geklaut." Gefolgt von vielen Vorurteilen, die man gerne mit den Schwarzen in Verbindung zu bringen scheint. Das hat natürlich zur Folge, dass man sich als Leser vielleicht nicht ertappt fühlt, aber zumindest direkt darauf hingewiesen wird, dass ein bestimmtes Bild zu entstehen scheint, wenn wir wissen, dass der Protagonist schwarz ist. Kriminelle Machenschaften natürlich mit einbezogen.
Und dennoch, durchgehend gab es für mich nie eine Konstante in dem Buch, was wunderbar mit der Aussage der Geschichte zusammenpasst. Es gibt kein festes Bild einer bestimmten Menschengruppe. Ein Mensch kann in vielerlei Hinsicht richtig handeln, und im nächsten Moment fragt man sich, was die folgende, unverständliche Handlung überhaupt zu bedeuten hat. Das sollte aber nicht mit der Hautfarbe assoziiert werden.
Grundsätzlich bleibt aber der anfängliche Eindruck bestehen, dass der Roman nicht einfach für zwischendurch gedacht ist, auch wenn er als eben "komische Satire" hervorgehoben wird. Die Sätze sind meist lang und verschachtelt, sagen dabei aber so viel aus, dass man es manchmal zu schnell überliest, wenn man sich nicht ein wenig Zeit dafür nimmt. So habe ich es zumindest empfunden.

"[...][A]ber Charisma hätte klar sein müssen, dass es 250 arme farbige Schüler, die eine grottenschlechte Schulbildung bekommen, nie auf eine Titelseite schaffen, ein einziges weißes Kind, dem gute Bildung vorenthalten wird, dagegen einen Shitstorm in den Medien auslöst.“ S.304

Schwierig habe ich mich tatsächlich mit der Sprach- und Wortwahl getan, für die das Buch so gelobt wird. Rassistische Wörter fallen beinahe im Minutentakt und man weiß gar nicht, ob man es nun als "künstlerisches Element" ansehen soll oder es einfach geschmacklos ist. Hier habe ich mir verschiedene Rezensionen durchgelesen, von weißen und schwarzen Lesern und auch hier scheiden sich die Geister. Die einen loben es, auch in Hinblick auf das "Satirische", die anderen sehen die Art des Romans nur als Ausrede, um die Wörter schreiben zu können.
Eines wird in dem Roman aber deutlich: Der gesamte Wahnsinn, den die Gesellschaft auszumachen scheint. Jede Nation, jede Gruppe von Menschen hat hier gewisse Vorurteile anderen gegenüber. Es scheint ein Phänomen zu sein, dem sich niemand entziehen kann. Versucht man auf der einen Seite entgegenzuwirken, artet es auf der anderen Seite wieder aus. Jeder muss immer zu allem etwas zu sagen haben, keiner hört dem anderen zu und natürlich hat jeder recht.
Unabhängig von der Thematik, gefielen mir einfach persönlich gewisse Einschübe nicht, die sich so stark auf das "Macho-Verhalten" bezogen haben. Diese ständigen Anspielungen auf sexuelle Eroberungen oder Ähnliches waren mir einfach irgendwann zu anstrengend.
Letztlich blieb bei mir aber der Eindruck bestehen, dass wir nicht einmal annähernd verstehen können, wie sich Rassismus anfühlt, egal wie ungerecht andere soziale, hierarchische Strukturen funktionieren. Und ich glaube, dass sollten wir ein wenig im Hinterkopf behalten, wenn wir immer versuchen bestimmte Äußerungen zu relativieren.

“Hier in Amerika kann >>Integration<< auch ein bloßes Alibi sein. >>Ich bin kein Rassist. Meine Partnerin beim Abschlussball, mein Cousin zweiten Grades, mein Präsident sind schwarz (oder was auch immer).<< Das Problem besteht darin, dass wir nicht wissen, ob Integration ein natürlicher oder ein unnatürlicher Zustand ist. Ist Integration, ob erzwungen oder freiwillig, soziale Entropie oder soziale Ordnung? Der Begriff wurde niemals richtig definiert.“ S.205


Durch die explizit verwendete, rassistische Wortwahl, bleibt es ein Buch, das sicherlich Gesprächsthema bleiben wird. Sieht man es als künstlerischen und satirischen Schachzug oder ist und bleibt es ein Roman, der zu weit geht? Dies ist ein Aspekt, den jeder anders sehen wird. Der thematische Aspekt hingegen ist durchaus wichtig und sollte nicht als bereits abgeschlossen gelten. Rassismus ist und wird vermutlich leider noch in den nächsten Jahren ein Thema bleiben, da sich Menschen zu schnell damit begnügen zu sagen, dass es doch schon besser geworden sei. Vieles wird teilweise ins Lächerliche gezogen und rüttelt so auf andere Art und Weise auf, für mich war es aber dennoch kein "lustiger" Roman.


1 Kommentar:

  1. Ich finde das Buch so hübsch gestaltet. Deine Rezension habe ich nicht gelesen, da ich das Buch auch bald beginne =)

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