Gullivers Reisen von Jonathan Swift

Dezember 10, 2017




(Original: "Travels into several remote nations of the world in four parts by Lemuel Gulliver, first a surgeon, and then a captain of several ships" / meist eher bekannt unter: "Gulliver´s Travels"/ 1726) Manesse Verlag, Übersetzer/in: Christa Schuenke (aus dem Englischen), 704 Seiten, gebunden★★ 4 Sterne
"Gullivers Reisen nach Lilliput und zu den Riesen kennt jedes Kind. Und doch ist Swifts Fantasy-Saga vor allem ein eindrucksvolles Leseabenteuer für Erwachsene – tiefsinnig, amüsant, subversiv und desillusionierend –, eine zeitlos gültige Generalabrechnung mit menschlicher Dummheit und Selbstüberschätzung, ja eine besonders frühe Form der Polit-Satire: Die mit unerschöpflicher Fabulierlust bis ins Detail realistisch gestalteten Erlebnisse Gullivers in fremden Reichen sind gespickt mit polemischen Seitenhieben auf Staat, Kirche oder Rechtswesen."


MEINE MEINUNG / FAZIT

"Nach einer Weile spürte ich, wie mir etwas Lebendiges am linken Bein hochkrabbelte, langsam die Brust überquerte und beinahe bis hinauf ans Kinn kam, als ich, so gut es ging, die Augen senkte, erkannte ich einen Menschen, der nicht einmal ganz sechs Zoll maß, Pfeil und Bogen in der Hand hielt und auf dem Rücken einen Köcher trug." S. 19.

Gullivers Reisen waren mir seither tatsächlich nur halbwegs aus der Verfilmung bekannt. Doch selbst da kannte ich nicht die gesamte Handlung und hatte nur eine vage Vorstellung davon, wohin es den Protagonstien treiben würde.
Seine erste Ankunft schien mir dadurch immer noch am bekanntesten zu sein, denn er findet sich in einem Land wieder, welches aus Kleinwüchsigen Personen besteht, die ihn zunächst gefangen halten. Schnell wird deutlich, dass Gullivers Erlebnisse mit verschiedenen 'Präsentationen' und wechselnden physischen Gegebenheiten der Menschen zusammenhängen.
Der Aufbau der An- und Abreisen bleibt dabei aber meist gleich. Er entdeckt ein neues Land, meist durch Schiffbruch, verweilt doch einige Zeit und wird notgedrungen wieder gebeten das Land zu verlassen oder er entschließt sich selbst dazu. Durch diese Wiederholungen, die auch stets bei jedem Kapitel noch einmal in einer Zusammenfassung erwähnt werden, kamen mir viele Stellen etwas 'lang' vor, da man wusste, dass sich das nächste Erlebnis auf der nächsten unbekannten Insel in gleicher oder ähnlicher Reihenfolge abspielen würde.
Dennoch sorgt der Erzähler selbst dafür, dass man als Leser 'am Ball bleibt', da die Schilderungen und die Interpretation der Lebensweisen eine ebenso schöne Reflektion für den Leser darstellt.
Auch wenn man sich nach einigen Kapiteln denken konnte, dass der Protagonist dieselben Schritte einleitet, um sich mit den anderen Menschen verständigen zu können, gefiel mir der Fokus auf die Wichtigkeit des Erlernens der Sprache der jeweiligen Inselbewohner. Es zeigt einfach auf, dass der Mensch, soviel er auch mit Gestik und Mimik ausdrücken kann, darauf angewiesen ist, sich mündlich zu verständigen und es leichtsinnig wäre zu glauben, man können überall hinreisen und erwarten, dass alle die eigene Sprache sprechen. Ebenso versucht sich Gulliver den Bräuchen und Gewohnheiten derer anzupassen. Kritisiert werden aber auch gelungener weise die fragwürdigen Handlungen der Menschen.

"Ich führe dies hier zum Exempel dafür an, wie groß doch der Gewohnheit Macht ist und die des Vorurteils."  S.310

Man begegnet den unterschiedlichsten Kulturen und Menschen und wird gleichzeitig vor einen Spiegel gestellt. Die Tatsache, dass Swift eine solche ausführliche und auch recht komplexe Geschichte bereits um 1700 geschrieben hat und dabei so scharfsinnig die Probleme in der Gesellschaft aufgegriffen hat und sie zusätzlich noch humorvoll und sarkastisch verpackt hat, hat mich durchaus beindruckt. 
Man erfährt von einer Insel, auf der Menschen leben, die sich mit der Verehrung gewisser Naturwissenschaften schmücken, aber nicht einmal gescheit die richtigen Maße nehmen können, um einen Anzug zu schneidern, man begegnet Menschengruppen, die körperlich an Größe überragen, die aber Mängel an Charakterstärke aufweisen, man begegnet aber auch wiederum Tieren, die menschliche Eigenschaften besitzen und sich gleichzeitig über die Eigenart der Menschen, insbesondere Gulliver selbst, wundern.
Die Geschichte bietet wirklich wahnsinnig viele Ansätze, um sich erneut vor Augen zu führen, wie lächerlich sich der Mensch manchmal verhält und wie gut es ihm täte, von seiner Ansicht Abstand zu nehmen, er sei der Herrscher über die Welt und sämtliche 'Völker'.
Obwohl der Roman also starke Kritik aufweist, ist er dennoch unterhaltsam und interessant, hinsichtlich Swifts Ideen zu fantastischen Elementen.
Der Schreibstil und auch die mit einbezogenen Übersetzung passen sicherlich zum Stil des Klassikers, wenn ich auch an einigen kleinen Stellen das Gefühl hatte, dass man es hätte etwas umschreiben können, da sich vieles innerhalb kurzer, darauffolgender Sätze gedoppelt hat.

"Ich war noch nicht einmal ein Jahr in diesem Lande, und doch empfand ich für seine Bewohner schon eine so tiefe Liebe und Verehrung, dass ich den festen Vorsatz fasste, nie wieder zu den Menschen zurückzukehren [...]." S. 544


Riesen, schwebende Inseln und sprechende Pferde sind Teil der Reisen von Gulliver. Unterhaltsam, ironisch und auch oftmals mit einem Augenzwinkern versehen, aber auch mit berechtigter Kritik am Menschen und den gesellschaftlichen Umgangsformen.
Auch wenn sich einiges zu wiederholen scheint, überrascht Swift mit immer neuen Ideen zu Inseln und deren Bewohnern, die etwas Fantastisches haben. Daher ein Klassiker, der auf spannende Weise die Schwachstellen der sozialen Engstirnigkeit aufweist und darauf abzielt dem Leser zu zeigen, dass er nicht in jeder Situation das Sagen hätte.


Vielen Dank an den Manesse Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!


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