Die Spieluhr von Ulrich Tukur

August 09, 2017





(Original: "-"/ 2013) Ullstein Verlag , Übersetzer/in: -, 150 Seiten, gebunden (Ganzleinenband)★★(★) 3 bis 4 Sterne
"Wilhelm Uhde, der großbürgerliche Preuße, und Séraphine, eine einfache Französin, die von den Bewohnern ihres Dorfes verspottet und von den Kindern mit Dreck und Steinen beworfen wird, trennen Welten. Und doch hat das Schicksal sie zusammengeführt: den sensiblen Kunstsammler und seine tiefgläubige Putzfrau, die Bilder malt, seit ihr ein Engel des Herrn erschien. Viele Jahre und zwei Weltkriege später wird beider Leben verfilmt. Der Schauspieler, der im Film Uhde verkörpert, macht dabei eine seltsame Entdeckung, die ihn unversehens in den phantastischen Kosmos der Séraphine de Senlis katapultiert: in ein Leben hinter den Bildern und Gobelins eines vergessenen Schlosses der Picardie. Ulrich Tukur erzählt von der Macht der Malerei und der Magie der Musik. Er nimmt uns mit auf eine Reise durch drei Jahrhunderte, in eine beunruhigende Welt zwischen Traum und Wirklichkeit."


MEINE MEINUNG | FAZIT

"So verbanden sich an diesem heißen Augustabend des Jahres 1912 die Lebenslinien zweier Menschen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können und sich doch trafen in ihrer Verlorenheit und Sehnsucht nach einer schöneren Welt, die nur in der Malerei oder der Musik zu haben war." S. 15f.

"Die Spieluhr" ist wirklich sehr eigen. Obwohl anfangs natürlich eine gewisse Einleitung vorhanden ist, wie sich der Protagonist in dieser Situation wiedergefunden hat, hatte ich dennoch das Gefühl, dass ich in diese Geschichte einfach hinein katapultiert wurde. Die Ereignisse überschlagen sich geradezu, man stößt von einem Geheimnis zum nächsten und weiß nie so recht, ob man dem Strudel nun entkommt, die Wahrheit herausfindet, oder ob es ewig so weitergehen wird. 
Besonders auffällig war für mich vor allem der irgendwie immer präsente Zusammenschluss von vielen literarisch bekannten Werken oder zumindest gewisser Ähnlichkeiten dazu. Mal kam mir Jane Eyre in den Sinn, dann Das Bildnis des Dorian Gray und am Ende war es tatsächlich eine bunte Mischung als allem. Dabei geht es oder der Text möchte dies zumindest anstreben, immer etwas in die mysteriöse Richtung, die dem Leser Gänsehaut bereiten soll. Gänsehaut hatte ich zwar keine, aber die kleinen Andeutungen hinsichtlich gewisser Figuren, die etwas Schlechtes im Sinn haben oder von denen man die Absichten nicht ganz erraten kann, fungieren hier sicherlich als Leseantrieb. Natürlich möchte man als Leser unbedingt wissen, was es mit den bewegenden Gemälden und der ominösen Spieluhr auf sich hat, die sich immer weiter drehen muss.

"Er machte eine Pause, als blickte er in die Vergangenheit wie in ein fernes, blühendes Land“  S.31

Doch nicht nur der allgemeine Mix aus verschiedenen Stimmungen, wechselhaften Landschaften und Ortschaften macht das Lesen recht abwechslungsreich, sondern auch die Darstellung der Figuren und des Zusammenspiels aller. Tatsächlich ist mir bis zum Schluss einiges nicht ganz einleuchtend zum Beispiel in wieweit einige Figuren nun Einfluss aufeinander ausüben und welche Jahreszeiten miteinander verschmelzen, aber genau das macht die Geschichte am Ende irgendwie auch spannend. 
Die Novelle greift tatsächlich viele Dinge auf, die sich zwar ineinander verlieren, die aber dadurch lebendig werden. So geht es um Verknüpfungen und Verbindungen durch Raum und Zeit, die man schwer begreifen kann, die aber Einflüsse ausüben können. Es geht um Flucht, um das Entkommen und auch die Unmöglichkeit des Entkommens und das wohl am Ende recht banal wirkende Spiel mit der Frage was Wirklichkeit und was Einbildung ist. 
Was mich an der Geschichte aber abseits der Handlung ebenfalls positiv überrascht hat, war sicherlich die zarte und träumerische Sprache. Sie lädt dazu ein sich einer "Welt" zu öffnen, die man nicht so einfach erklären kann, die aber als Gefühl besteht und die man vielleicht insgeheim gerne aufrufen würde. Es ist ein spielerischer Wechsel zwischen Leichtigkeit und Bedrängnis.

"Solche magischen Türen oder Einstiegsluken gab es wohl überall, an den sonderbarsten Orten, dort, wo man sie am wenigsten vermutete." S.132

Eine kurze Erzählung, bei welcher die Spieluhr nicht der einzige Gegenstand bleibt, der von Geheimnissen umgeben ist.
Das große Ganze bleibt am Ende zwar irgendwie noch etwas verborgen, aber die Reise zu dem Punkt, an dem sich der Erzähler und Protagonist am Ende befindet ist so turbulent, manchmal verwirrend, aber eben auch interessant, dass sich das Lesen durchaus lohnt. Vorausgesetzt man mag es, wenn sich die Grenzen verschiedener Ebenen verwischen und man nicht unbedingt eine strikte und einfache Lösung des Geschehens bevorzugt.




1 Kommentar:

  1. Tolle Rezension.
    Ich mag mysteriöse Geschichten und die Aufmachung des Buches ist schlicht - weniger ist mehr, wie ich finde.
    Du hast mir wirklich Lust auf dieses Buch gemacht, mal schauen, wann es demnächst bei mir einziehen wird. Ich mag es, wenn der Schreibstil des Autors sich ähnlich liest wie die Bücher, die anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts geschrieben wurden, mit ihren ellenlangen Sätzen, in denen man sich verlieren kann und das Geschehen drumherum einfach vergisst und in eine interessante oder spannende Welt eintaucht.

    Lieben Gruß
    Nico :)

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