(Original: "Leben ist keine Art, mit einem Tier umzugehen"/ 2016) Suhrkamp, Übersetzer/in: , 462 Seiten, gebunden, ★★★★☆ 4 Sterne
"Ein Paar im besten Alter: Jo, eine selbstsüchtige Enddreißigerin, zelebriert die schillernde Fassade einer Möchtegern-Weltverbesserin und lebt vom Geld ihres Mannes; Jivan, ein latent chauvinistischer Mittvierziger, heuchelt als selbstzufriedener Sexist den Feministen, manipuliert seine Frau nach Belieben und wird dabei selbst ahnungsloses Opfer seines Vaters und seiner feigen Selbsttäuschungen. Die blutjunge Roana wird von ihrem Vater zum einsamsten Vulkan dieser Erde geschickt, damit sie endlich zur Vernunft kommt. Sie macht sich stattdessen auf zu einer gewagten Suche nach dem Sinn des Lebens. Und eine unberührte, staatenlose Insel, die von einem Orkan freigelegt wird, sorgt als vermeintliches Paradies international für Schlagzeilen und Hysterie."
MEINE
MEINUNG | FAZIT
"Jivan greift nach der Reismilch-Salbei-Kümmel-Brühe und wirft einen Esslöffel in Kokosfett geröstete Schalotten hinein. Er hätte darauf gesagt: Was können denn die armen Tiere dafür, dass wir Menschen unseren Scheiß nicht gebacken kriegen?“ S.24
Dass Menschen zu ungewöhnlichen Denk- und Verhaltensmustern neigen und sich dennoch immer überlegen, wie groß ihr Vorteil in allem sein wird, ist eigentlich nichts Neues. Emma Braslavsky hat mit ihrem Buch "Leben ist keine Art, mit einem Tier umzugehen" das ganze aber auf ein neues Level gehoben und ihre Figuren dazu gebracht, sich ganz "entblößt" zu zeigen. Alle Gedankengänge der verschiedenen Protagonisten folgen einem Schema, welches sich zum Ende hin abrundet und eine neue Geschichte erzählt. Dabei wird dem Leser stets, mit Absurditäten aufgezeigt, wie Menschen nach etwas streben, was im Endeffekt nur den eigenen Profit ausmacht. Gute Vorsätze, zum Beispiel die Welt zu einem besseren Ort zu machen, werden verfolgt, aber nicht wirklich umgesetzt. Mich hat an dem Buch vor allem der Aspekt der Ironie fasziniert, dass man sich beim Lesen tatsächlich dabei erwischt, wie man den Gedanken ausbrütet, der Mensch sei absolut nicht vertrauenswürdig. Emma Braslavsky spielt ganz gut mit diesem "Schein" und "Sein". Besonders die verwobenen Passagen, die eine "neue Insel" ankündigen und deren Fortschritt aufweisen haben mich in den Bann gezogen. Hier werden vor allem die sehr konfusen Ausbrüche der Medien und des Interesses der Allgemeinheit sehr gut dargestellt. Zudem findet man vereinzelt, kurze Kapitel, die das "Leben" eines Orkans zu personifizieren versuchen. Auch hier entstehen wieder wahnsinnig viele Gedankensprünge im Kopf des Lesers, die sich auf Dinge beziehen, die man gar nicht wirklich beantworten kann. Denn die Tatsache, dass Menschen versuchen die Welt besser machen zu wollen (was schwerlich erreicht wird), steht immer noch die Natur an sich im Zentrum. Auch sie verfolgt ihren eigenen Zyklus und ihre unangefochtenen Ausbrüche, die nicht nur Leben geben, sondern auch nehmen können. Man muss tatsächlich sagen, dass sich das Buch daher auf sehr vielseitige, kreative Weise versucht mit Themen auseinanderzusetzen, die genug Potenzial haben, um sich sehr lange darüber unterhalten zu können. Ich könnte gar nicht genau sagen, welche Perspektiven, sprich welche Kapitel und deren Schicksale mir am besten gefallen haben, da sich tatsächlich alles zu einem guten Gesamtkonzept entwickelt hat, sodass man die Kapitel gar nicht wirklich getrennt voneinander betrachten kann.
"Master and Slaves? Sadisten und Masochisten? Ist das nicht das ganz natürliche Kräfteverhältnis, läuft´s nicht so überall im Universum?“ S.247
Hilfreich für das gesamte Verständnis der Gegebenheiten sind das eingebundene Verzeichnis der vorhandenen Personen, Figuren und Naturumstände, wie auch der Stammbaum zu allen Bezügen der Protagonisten, den man auf der dazugehörigen Verlagsseite zum Buch finden kann. Da doch recht viele Figuren auftreten und auch viele Veränderungen in Bezug auf die Handlung auftreten, empfand ich vor allem den Stammbaum als sehr hilfreich. So sehr der Natur- und Rettungsgedanke im Vordergrund stehen, so verweist das Buch auch auf die Frage, was macht einen Menschen eigentlich zum Menschen? Wie weit darf der Mensch gehen, um seine Vorstellungen vom perfekten Leben umzusetzen und in wie weit werden Menschen geschickt von ihrem Umfeld beeinflusst? Gibt es überhaupt Unterschiede zwischen dem menschlichen und dem tierischen Verhalten oder handeln beide nach deren einfachen "Trieben"? Es sind alles sehr interessante Aspekte, die sich in der Geschichte immer weiter ins Extreme ausbreiten. Viele Beziehungen sind durch wechselartige Anziehungskraft und Abneigung gekennzeichnet, die das eigentliche menschliche Verhalten ziemlich gut darstellt. Die Kapitel rund um die Aussteiger auf einer Insel, die sich einem Leben abseits der Zivilisation hingeben wollen, haben mir zudem hinsichtlich der Steigerung der Gereiztheit und einem Anflug von Manie gut gefallen. Ich hatte schlicht das Gefühl, dass so absurd und verrückt und eigentlich nicht recht wahrscheinlich, alles den tatsächlichen Umständen des heutigen Lebens entspricht. Besitz, Erfolg, Geld und der Gedanke daran ein wertvollerer Mensch zu sein als die anderen sind zentrale Punkte, die in dem Roman angesprochen werden. Abseits davon geht es aber auch um die raffinierten Mechanismen der Gesellschaft und dem habgierigen Greifen nach etwas Neuem, auch wenn es Schaden anrichtet.
"Wenn Menschen früher über die Meere gefahren sind, hatten sie Angst vor Seeungeheuern, Riesenkraken oder vor Walen, sie hatten richtig Schiss, dass irgendein Untier ihr Schiff verschlucken könnte. Heute graut´s uns vorm Klima, vorm Wetter oder fehlerhafter Schiffstechnik. Dabei steckt die größte Gefahr in unseren Köpfen." S.414
Komplexes und in sich verwobenes Konstrukt, welches die Frage nach dem Menschsein aufgreift. Durch die verschiedenen Perspektiven, Figuren und Handlungen, kreativ umgesetzt und löst auch viele weitergesponnenen Gedankengänge aus. Greift die Sorgen der jungen, wie auch der älteren Menschen auf und thematisiert gewisse persönliche Zukunftsperspektiven, die sich mit einer nahenden Katastrophe verknüpfen. Wichtiger Anhaltspunkt der Geschichte ist die Natur und deren Einfluss, wie auch deren Wichtigkeit für die Menschen und die daraus resultierenden abstrusen Verhaltensweisen der Gesellschaft. Bietet viel Diskussionsbedarf!
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