Das Leben und Sterben der Flugzeuge von Heinrich Steinfest

September 07, 2016





(Original: "Das Leben und Sterben der Flugzeuge"/ 2016) Piper, Übersetzer/in: -, 608 Seiten, gebunden,  ★★★★(☆) 4 bis 5 Sterne
"Kann man ein ganz gewöhnlicher Pariser Bahnhofsspatz sein und gleichzeitig ein deutscher Kommissar namens Blind? Kann es in Belfast ein Hochhaus mit einer geheimen Etage geben, das für Spatz und Kommissar lebenswichtig ist, obwohl dieser Wolkenkratzer doch nie gebaut worden ist? Und vor allem: Kann an einem verborgenen Ort das Wrack eines gewissen Flugzeugs der Malaysia Airlines liegen, das doch erst Monate später spurlos verschwinden wird? Wer die Romane Heinrich Steinfests kennt, weiß: In seinen Welten ist das alles ein Leichtes. Seine Gratwanderung zwischen Phantastischem und Realität gerät ihm auch diesmal wieder zu einem hochliterarischen Drahtseilakt, der die Lektüre dieses Romans zu einem überaus spannenden, ja atemberaubenden Vergnügen macht."


MEINE MEINUNG | FAZIT

"Auch wenn meinesgleichen also die menschliche Sprache versteht, sind wir selbstverständlich außerstande, wie Menschen zu sprechen. Das wäre dann wirklich wie im Märchen oder in einer Kinokomödie.
S.25

Zufälle gibt es nicht. Das zumindest, ist wieder ein zentraler Gedanke in Heinrich Steinfests neuen Roman. Wer bereits ein wenig mit den Geschichten des Autors vertraut ist, wird auch hier feststellen, dass die Geschichte von Kuriositäten und auch Absurditäten lebt. Allein die Tatsache, dass man sich mit einem Protagonisten vertraut machen muss, der sozusagen eine doppelte Identität aufweist; nämlich die eines Spatzens und eines menschlichen Kommissars, lässt erahnen, dass die Geschichte abenteuerlich wird. Und genau das bietet die Geschichte: Abenteuer undzwar in beiden Welten. Mich faszinierte allein schon die Aufmachung des Buches, in der man zwei Skizzen bestaunen kann, die aus der Feder von Steinfest stammen und zum einen die auftretenden Personen, wie auch die bereisten Ziele veranschaulichen. So chaotisch die Handlung manchmal zu sein scheint, so sicher kann man sich durch diese skizzierten Pläne sein, dass alles einer bestimmten Ordnung folgt. Das machte für mich auch zunehmend den Reiz des Buches aus. Die Erlebnisse des kleinen Quimp eröffnen die Handlung auf sehr humorvolle Weise. Szenen des alltäglichen Lebens werden beschrieben und mit den Eindrücken des Spatzens verschmolzen. So stößt man auf menschliche Verhaltensweisen, die für außenstehende Lebewesen recht bizarr wirken. Zunehmend gewinnt der Roman an Tempo und an Aufgaben, die die Protagonisten zu bewerkstelligen versuchen. An den zweiten Protagonisten, den Kommissar, bindet sich zudem eine polizeiliche Ermittlung, die gewissen Rätseln, die nötigen Antworten liefert. Beim lesen habe ich dennoch festgestellt, dass sich trotz dieser Aufgaben eine Verschiebung des Fokus einstellt. Die Geschichte wird zunehmend mit Gedanken konfrontiert, die unabhängig von dem anfänglichen Abenteuer, auf die Fragen des Lebens eingehen. Familie, der eigene Impuls für etwas zu kämpfen oder auch die Frage nach dem, wer man eigentlich tatsächlich ist stehen hier unteranderem im Vordergrund.

"Zuhause angekommen, ging ich unter die Dusche. In der ich für einige Minuten einschlief. Im Stehen. Wie ein Pferd. Ein Pferd unter der Dusche, das träumte, ein Spatz zu sein. Dabei war ich nie ein Tierfan gewesen. Auch nicht als Kind.S.161

Definitiv nicht nebensächlich sind auch die Traumsequenzen und das gesamte Konstrukt, welches sich damit zu der eigentlichen Geschichte verbindet. Der Leser schwebt ständig zwischen der Überlegung, was nun die Realität ist und was nicht. Ich persönlich bin selbst ganz zum Schluss noch nicht ganz sicher, ob ich alle Details richtig miteinander verbunden habe, da immer etwas bleibt, das nicht zu passen scheint oder zu gut zu passen scheint. Daher ist die Geschichte ein ständiges Suchen und Finden von Krümeln, die helfen sollen, die Welten zu verstehen. Meiner Meinung nach wurde diese Idee sehr gut umgesetzt, da sie nicht nur auf einer Ebene nach der Wahrheit sucht. Allerdings gab es etwa in der Mitte des Buches einen kleinen Einschnitt, der mich etwas verunsichert hat. Ich wusste nicht, ob und wie ich diesen Umschwung der Geschichte bewerten sollte. Mir ist bewusste, dass dieser Umschwung dafür sorgt, dass man sich auf andere Dinge der Geschichte fokussiert, jedoch fehlte mir dadurch an der ein oder anderen Stelle der Bezug zum Anfang. Die Originalität der Geschichte, wie auch die Spielerei mit vielen wiederkehrenden Elementen sorgt allerdings dafür, dass man sich in der Welt verliert und sich gleichzeitig fragt, wie das eigene Leben verlaufen könnte, wenn alles, was in der Geschichte geschildert wird, tatsächlich wahr wäre. Daher eines meiner absoluten Jahreshighlights; nicht zuletzt durch den zauberhaften Quimp.

"Nein, es war eher... Fliegen erschien mir unanständig. Die Umweltverschmutzung ist dabei nur ein äußeres Zeichen dieser Unanständigkeit. Fliegen ist vor allem der zugleich extremste, fortgeschrittenste und auch lächerlichste Ausdruck der menschlichen Hybris, nämlich alles zu können, wenn man es nur will.“ S.206


Originalität, Absurdität und Kuriosität, sowie eine ganze Menge geplanter Zufälle sorgen für eine Geschichte, die den Leser sofort in den Bann zieht. Spielereien mit der Persönlichkeit und der damit verbundenen "Aufgabe" im eigenen Leben ziehen sich durch die Geschichte und sorgen für eine ständige Dynamik. Man taucht in eine Welt ein, die zudem von Verschwörungstheorien und ominösen Machenschaften nicht ganz verschont bleibt.



 Vielen Dank an den Piper Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!

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