Ventoux von Bert Wagendorp

Juni 29, 2016




(Original: "Ventoux"/ 2013) btb, Übersetzer/in: Andreas Ecke, 320 Seiten,  gebunden  ★★(☆)  4,5 Sterne
"Fragen, die wichtig sind. Antworten, die sich gewaschen haben. Und alles vor der Kulisse des Mont Ventoux. - Bart ist Journalist, liebt Radrennen und ist fast fünfzig, als seine Jugendfreunde André, Joost und David unerwartet wieder in seinem Leben auftauchen. Und mit ihnen der Sommer des Jahres 1982. Ein Sommer, in dem sie alle in die schöne Laura verliebt waren, ein Sommer der großen Gefühle – und eines tödlichen Unglücks auf dem Mont Ventoux. Die Freunde waren achtzehn, als sie zu fünft die legendäre Etappe der Tour de France hinauffuhren – und zu viert zurückkehrten. Als auf einen Schlag ihre Träume zerplatzten. Und Laura, die mit ihnen in der Provence war, spurlos verschwand. Dreißig Jahre später, im Sommer 2010, will Laura die vier Männer am Ventoux wiedertreffen. Sie will darüber sprechen, was damals wirklich geschah. Und die Freunde folgen ihrer Einladung: die Rennräder auf dem Autodach, ihren Krempel im Anhänger und jede Menge Fragen auf dem Rücksitz …"


MEINE MEINUNG | FAZIT

"
Beständige Freundschaften ähneln in gewisser Weise einem Regenbogen. Das Rationale von Joost, das Emotionale von André, das Romantische von Peter und das Stoische von David ergänzten sich. Bei aller gebotenen Vorsicht, wenn es darum geht, sich selbst zu charakterisieren, glaube ich, dass ich von allem etwas hatte.S.65

Ein Buch, das nur vom Radrennen erzählt und das automatisch langweilig sein muss? Ganz und gar nicht. Bert Wagendorp hat, meiner Meinung nach, einen wirklich packenden Roman geschrieben, der alles beinhaltet, was man sich als Leser nur wünschen kann. Überraschenderweise war der Roman zunächst, nur als Anfrage für ein Drehbuch, im Gespräch. Umso glücklicher die Tatsache, dass die Geschichte nicht nur als Film erschien, sondern eben auch als Buch. Denn das Buch ist mit so einer Unterhaltsamkeit, wie auch Nostalgie und Zartheit geschrieben, dass man sich gar nicht von den Protagonisten losreißen möchte. Man begegnet der Truppe zunächst in der Zeit, in der sie schon erwachsen sind. Dabei ist Bart der eigentliche Erzähler, aber keineswegs der einzig wichtige Protagonist. Durch die insgesamt sechs Freunde ist, auf der einen Seite, das Chaos irgendwie vorprogrammiert, auf der anderen Seite, entsteht dadurch das Gefühl der Vielfalt des Lebens, obwohl diese Fahrt auf den Mont Ventoux, zu dem Schlüsselereignis führen soll. Ich fand es gut, dass man die Protagonisten jeweils pro Kapitel näher beleuchtet. Sprich, jede Lebenssituation der Gegenwart, wird mit der, der Vergangenheit ergänzt. Für den Leser stellen sich so schnell die typischen Eigenschaften heraus, die jeden Protagonisten kennzeichnen sollen. Von der Gruppendynamik wurde ich von Anfang an mitgerissen. Ich kann es nicht besser beschreiben, als zu sagen, dass man sich fühlt, als säße man in einer der unterhaltsamsten, chaotischsten, charmantesten und doch irgendwie "typisch Mann", sitzenden Gruppe, die immer mal wieder ihre Bewunderung für das Rennradfahren und den Mont Ventoux auflodern lässt. Die Tatsache, dass eine Frau im Mittelpunkt steht und sich wohl die Männer sehr auf sie fixieren sollen, hat mir zu Beginn kleine Sorgen bereitet. Dazu gab es aber letztendlich keinen Grund, denn dieser Aspekt der "Liebe" im Allgemeinen, wird genau angemessen angesprochen und umgesetzt. Es gibt keine typischen und nervigen Liebespassagen, die überflüssig wären.

"´Fliegen ist schwierig, Lau [Laura], aber fallen kann jeder.´S. 157

Natürlich besteht der Roman aber nicht nur aus spaßigen Komponenten. Der Leser wird zu Beginn auf ein Geheimnis hingewiesen, welches sich wohl über die gesamten dreißig Jahre, nie offenbart hat. So verschmelzen lustige Gruppengespräche, mit sehr nachdenklichen und durch den Protagonisten Peter, sehr poetische Passagen, zu einem Ganzen. Es wird stark auf die verschiedenen Sichten auf das Leben eingegangen. Es geht um Freundschaft, um Zufälle, um die eigenen Stärken und Schwächen und sicherlich auch um die Frage, ob man auch vor seinen Freunden immer der sein kann, der man auch sein möchte. Das Buch ist so vielseitig, dass ich es gar nicht richtig eingrenzen kann. Der Schreibstil war für mich aber genau richtig gewählt: Eine Mischung aus typischen Männerwitzen (die aber wirklich nicht häufiger als nötig vorkommen), nachdenklichen Stellen und interessantem Basiswissen rund um die Kultur des Radrennens. Man sollte aber dennoch darauf achten oder zumindest bedenken, dass es sich hier nicht um einen Thriller handelt, der nur auf das Geheimnis abzielt. Besonders im letzten Drittel wird dem Leser vieles schon deutlicher und man kann einige Geschehnisse, die letzten Endes passieren, erahnen. Natürlich wird der Leser aber, während der ganzen Kapitel darauf hingelenkt, erfahren zu wollen, was es nun mit dem Ereignis vor dreißig Jahren auf sich hat und was zwischen den Freunden steht. Das Hauptmerkmal liegt für mich definitiv auf den Figuren selbst und deren Eigensinnigkeit, welche sich zu einem (eigentlich zwei) Roadtrip(s) verbinden und so eine Geschichte bilden, die dem Leser tatsächlich dieses Gefühl von einem "Sommer, der das Fieber in sich trug" vermittelt. Nicht zuletzt durch eben diese sommerliche Atmosphäre und die doch recht sympathische "holländische Mentalität", die man immer mal wieder im Hinterkopf behält.

"Beim  Radfahren kam mir allmählich die Erkenntnis, dass man jederzeit die Wahl zwischen rechts und links hat. Dass man immer dieselbe Strecke fahren, aber auch eine andere ausprobieren kann." S.13


Ein Roman, der durch seine einzigartigen Charaktere und durch seine wunderbare Kulisse überzeugt. Der Leser wird zum Teil dieses Gruppengespanns und versucht hinter ein lang gehegtes Geheimnis zu kommen. Lebensfroh und dennoch nostalgisch, wenn auch nicht sogar an manchen Stellen etwas melancholisch. Das Hauptmerkmal des Radrennens wird geschickt mit den Lebenswegen der Figuren verwoben und sorgt so für eine wunderschöne Atmosphäre. Die Freundschaft und die eigenen Entscheidungen im Leben sind zudem wichtige Bestandteile der Geschichte. Man würde sich selbst gerne auf ein Fahrrad schwingen und den Mont Ventoux in Angriff nehmen.



























Vielen Dank an den btb Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!

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