(Original: "Prater Violet"/ 1945) Übersetzer/in: Brigitte Jakobeit, 128 Seiten, gebunden, Einzelband, ★★★★★ 5 Sterne
Bibliografie auf der Verlagsseite (Hoffmann und Campe Verlag)»
"Es ist das Jahr 1933. Europa steht am Abgrund, und in London laufen die Dreharbeiten für eine Filmschnulze namens "Praterveilchen". Der ebenso temperamentvolle wie narzisstische Regisseur Friedrich Bergmann, ein österreichischer Jude, hadert mit der Oberflächlichkeit seiner Branche und leidet an den politischen Entwicklungen in seiner Heimat. Doch kaum jemand schenkt Bergmanns Mahnungen Gehör ...
Eindrucksvoll fängt Christopher Isherwood in diesem Roman - der anknüpft an sein wohl berühmtestes Werk "Leb wohl, Berlin" - die apathische Stimmung im England der frühen Hitlerjahre ein und seziert mit beißender Ironie die amoralischen Tendenzen des Filmgeschäfts."
MEINE
MEINUNG | FAZIT
"´Ein Film ist eine Höllenmaschine. Sobald er gezündet ist und in Bewegung gerät, dreht er sich mit einer enormen Dynamik. Er kann nicht anhalten. Er kann sich nicht beschleunigen. Er kann sich nicht zurücknehmen. Er kann nicht warten, bis Sie ihn verstehen.´“ S.33
Einige Bücher sind mehrere hundert Seiten lang und können dennoch manchmal nicht das zum Ausdruck bringen, was sie gerne würden. Andere wiederum schaffen es, genau dies zu tun und gleichzeitig noch weitaus mehr mit einzubeziehen, und das auf nur knapp hundertdreißig Seiten. Zu der zweiten Kategorie gehört für mich auch "Praterveilchen" von Christopher Isherwood. Mit recht schonungsloser Direktheit und einer angemessenen Prise Humor und Witz, zeigt der Roman dem Leser auf, welche Gedanken und welche Mentalität die Menschen zu der beschriebenen Zeit beherrschten. Die Angst um die Familien, die scheinbar ausweglose Situation des eigenen Empfindens in Hinblick auf die Frage, was man aus seinem Leben noch machen soll und das stete Gefühl, doch noch Hoffnung finden zu können. Was recht unterhaltsam beginnt, steigert sich zunehmend zu einer sehr aussagestarken Liebeserklärung an das Leben und die Kritik an den Verhältnissen und Moralvorstellungen unter den Filmemachern. Auch in diesem Buch setzt sich Isherwood als Protagonist in das Geschehen mit hinein und ist gleichzeitig der Erzähler. Obwohl das Buch als Anschluss an seinen Roman "Leb wohl, Berlin" gesehen werden kann, steht es in seinen Aussagen auch als selbständiger Handlungsstrang und Roman. Ich fand es sehr geschickt, wie Isherwood das Buch, parallel zur eigentlichen Idee des Buches, einen Film drehen zu lassen, auftreten lässt. Denn ich empfand es an vielen Stellen selbst beinahe als kleines Schauspiel, als Drama, das aber gleichzeitig unterhält.
"Im Zoo identifizierte er einen Pavian, eine Giraffe und ein Dromedar mit drei unserer führenden Politiker und tadelte sie öffentlich für ihre Verbrechen.“ S. 55
Die Beschreibungen der Szenerie sind ebenfalls knapp, aber so präzise, dass man sich genau vorstellen kann, wie Isherwood alles vor Augen sah. Die Wortwahl ist zudem immer so passend (in Einbezug der Tatsache, dass es eine Übersetzung ist), dass die Geschichte einerseits komische, humorvolle, wie auch beinahe träumerische Elemente enthält. Damit hätte ich persönlich ehrlich gesagt zunächst gar nicht gerechnet. Besonders die Figur des Friedrich Bergmann legt dar, wie das Denken der Menschen zu der damaligen Zeit umschwenkte, als sich ebenfalls die Konflikte zuspitzten. So wird er in das Zentrum gesetzt, er wird zum Dreh- und Wendepunkt der Geschichte und verkörpert die persönlichen Schicksale, wie auch die Einblicke in die Machenschaften der Filmindustrie. Isherwood selbst dient meist nur als Beobachter und als "Impulsgeber". Dadurch, dass das Buch also ein recht ernstes Thema anspricht, mochte ich die Verknüpfung der humorvollen Elemente. Ganz besonders traten diese zum Beispiel hervor, wenn die Eltern von Isherwood mit einbezogen werden oder wenn er sich selbst als etwas "tollpatschiger" Mann darstellt, der irgendwie gar nicht zu wissen scheint, was er denn nun machen soll. Das alles führt dazu, dass man ihn als Erzähler und als Figur sympathisch findet und ihm auch bei den ernsten Dingen gerne zuhört. Gleichzeitig wirkt das Buch dadurch aber eben nicht deprimierend. Eines meiner liebsten Spontankäufe, welches mich wirklich positiv überrascht hat.
"Es gibt eine Frage, die wir einander nur selten stellen: Sie ist brutal. Und doch ist es die einzige Frage, die es sich lohnt, unseren Weggefährten zu stellen. Was lässt euch weiterleben? Warum bringt ihr euch nicht um? Warum ist dies alles erträglich? Und was bewegt euch, es zu ertragen?" S.122
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Für mich ein sehr gelungenes, kurzes Buch, welches Isherwood perfekt inszeniert. Die Lage in London um 1933 wird gut hervorgehoben und gleichzeitig in eine unterhaltsame Geschichte verpackt, nämlich den fragwürdigen Mechanismen der Filmgesellschaft. Humorvolle Elemente, wie unterhaltsame Dialoge, lockern die Geschichte etwas auf, lassen aber nicht den eigentlichen Sinn aus den Augen. Sehr stimmungsvoll und in einer präzisen Weise zum Ausdruck gebracht. Isherwood zeigt auf, dass es nicht viele Worte braucht, um etwas Denkwürdiges auszusagen.
Huhu! ^.^
AntwortenLöschenEine wirklich aussagekräftige Rezension, liebe Karin!
Ich muss gestehen das ich mich mit der Entwicklung des Films bzw. Filmgesellschaft nur wenig auskenne, aber das Buch trotzdem sehr interessant klingt. Es kommt deshalb gleich auf meine Wunschliste. (:
Alles Liebe,
Jasi ♥
Ich auch nicht wirklich, aber das Buch thematisiert das Thema auf eine ansprechende Weise. Dabei werden aber nicht unbedingt die Techniken erläutert, sondern eben die Mentalität, die in diesem Gecshäft herrschte (Spielt ja um rund 1933). : )
LöschenLiebe Grüße,
Karin