Ein unmögliches Leben von Andrew Sean Greer

Mai 23, 2016











(Original: "The Impossible Lives of Greta Wells"/ 2013) S.Fischer Verlag,  ★★★★★ 5 Sterne

"Das Unmögliche passiert uns allen ein Mal« – Greta Wells widerfährt es gleich mehrmals: Sie wird durch die Zeit katapultiert, in alternative Versionen ihres Lebens, die sich 1918, 1941, 1985 zutragen. Überall trifft sie ihre Lieben wieder, den Zwillingsbruder, den Geliebten, die exzentrische Tante Ruth, aber jede Zeit kennt andere Träume und andere Tode, und jede Zeit macht Greta zu einer anderen. Welche dieser Frauen will sie sein?"
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"Denn ihr wisst, so wirkt eben Zauber. Ohne Vorwarnung trifft er von uns allen die, bei denen man es am wenigsten erwartet, und das, wie und wann er will.
S.14

Lange war ich auf der Suche nach einer weiteren, schönen "Was wäre wenn.." Geschichte. Dabei musste ich gar nicht auf irgendwelche Neuerscheinungen hoffen, sondern nur ein Buch lesen, das ich bereits besaß. Andrew Sean Greers Roman beschreibt auf sehr gefühlvolle Weise, die Möglichkeit oder die Vorstellung der Möglichkeit, sein Leben in anderen Varianten leben zu können. Sein Leben selbst und das seiner Mitmenschen, selbst ändern zu können. Und das auch noch mit dem Hintergrundwissen, welches man bereits aus seinem "eigentlichen" Leben besitzt. Damit trifft der Autor sicherlich einen sehr spannenden Punkt in dem Empfinden aller Menschen. Denn wer würde es nicht zumindest versuchen wollen? Versuchen, seinen Mitmenschen ein besseres Leben zu ermöglichen und sie vor gewissen Schicksalen beschützen. Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht die vierzigjährige Greta Wells. Meine anfängliche Skepsis, dass mir der Hauptcharakter nicht gefallen könnte, beziehungsweise, dass mir die verschiedenen Versionen etwas zu konfus werden könnten, hat sich sofort aufgehoben, als ich die Einteilung der Zeiten etwas durchschauen konnte. Die Protagonistin ist nicht zu forsch, ist weder zu Ich-bezogen (im Gegenteil) und verhält sich auch nicht, wie ein nörgelndes Kleinkind, das nicht bekommt, was es in den Welten gerne haben möchte. Die Figur, um die das ganze Geschehen aufgebaut wird, ist perfekt, um dieses Gedankenspiel überhaupt zu beginnen. Obwohl es ihr Leben ist und ihre Lebenswege, hat man das Gefühl, dass man nur als Beobachter dort ist und ihre Umwelt wahrnimmt. Durch die speziellen Zeiten, 1918, 1941 und 1985 wird gleichzeitig sehr stark der Krieg thematisiert. Seine Anfänge, seine Auswirkungen und seine "Nachbeben". Dazu kommen noch die damaligen gesellschaftlichen Normen, die einigen in Gretas Umfeld, schaden. Auch wenn man mit jeder weiteren Seite größeres Empfinden mit den Protagonisten empfindet, ist es am Ende des Buches wirklich so, als leide man mit ihnen und würde sich wirklich wünschen, dass sie sich von allen Welten, eine gemischte Tüte mischen könnten, um glücklich zu sein. Gleichzeitig zeigt die Geschichte einem aber auch fabelhaft auf, wie das Leben nun mal wirklich ist. Manchmal schonungslos - manchmal schön.

"Es heißt, es gebe viele Welten. Rings um die eigene, dicht gepackt wie die Zellen unseres Herzens. Jede mir ihrer eigenen Logik, ihrer eigenen Physik, ihren Monden und Sternen. Wir können nicht hin - in den meisten würden wir nicht überleben. Aber es gibt einige, das weiß ich nun, die unserer fast genau gleichen [...]S. 46

Man könnte sicherlich sagen, dass die Zeitwechsel relativ simpel von statten gehen. Es stecken keine unfassbar komplexen Erzählstrukturen dahinter. Dennoch fand ich es gerade dadurch sehr verständlich und man musste sich keine Sorgen machen, dass man alle Beteiligten durcheinander bringt. Der Fokus liegt stets auf den Veränderungen die geschehen oder die eben nicht geschehen. Der Leser wird mit der Frage konfrontiert, was sich verändern würde, wenn man gewisse Dinge bewusst anders steuert und ob sich überhaupt etwas verändert. Denn nichts steht still und das wirft gleichzeitig auch die Frage auf, ob man stets, bewusst oder unbewusst, man selbst bleibt. Und wie sollte es auch anders sein, ist auch die Liebe eines der Hauptthemen. Aber nicht auf eine kitschige und schon endlos mal gehörte Version von Liebesgeschichte (zumindest für mich), sondern eine ganz zarte, ehrliche, wenn auch manchmal traurige, aber auch schöne Version von Liebenden. Liebenden in jeglicher Form. Nicht nur zwischen einem Liebespaar, sondern auch zwischen Geschwistern und Freunden. Die beschriebene Beziehung zu Gretas Zwillingsbruder hat mich mitunter wirklich am meisten beeindruckt, denn sie wirkt so "echt", als gäbe es diese beiden Menschen tatsächlich. Gretas Reflexion über ihr Leben und Dasein als Frau in den verschiedenen Zeiten ist ebenfalls sehr ausgeprägt. Und an vielen Stellen habe ich mich gefragt: "Woher weiß Andrew Sean Greer so genau, wie sich Frauen fühlen und mit welchen inneren Konflikten sie kämpfen?".  Ich muss wirklich sagen, dass mich das gesamte Konzept und die Figuren zum Schluss mitgerissen haben und ich es dann war, die sie nicht wieder loslassen wollte.

"Das Unmögliche, das Unerträgliche passiert uns allen ein Mal.S. 322


Sehr gefühlvoll und in der Intensität steigernd, was die Verbindung der Protagonisten auf emotionaler Ebene betrifft. Verbindet geschickt und gekonnt viele Themen, die zunächst etwas losgelöst wirken, am Ende aber ein Ganzes ergeben. Im Vordergrund stehen jegliche Fragen bezüglich der Möglichkeit und der Initiative die man ergreift, wenn man sich für ein anderes Leben entscheiden könnte. Was würde sich ändern? Gekoppelt mit den Fragen in Leben, die wohl jeden beschäftigen oder beschäftigt haben. Dazu zählen jegliche gesellschaftliche Normen, die uns daran hindern, wir selbst zu sein und die damaligen Auswirkungen des Krieges. Tolle Entwicklung der Figuren, wie auch deren Lebenswege. Löst bei dem Leser unfassbar viele philosophische und auch sozialkritische Gedanken aus.





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