Die Knochenuhren von David Mitchell

März 21, 2016





(Original: "The Bone Clocks" )  816 Seiten,  gebunden,  Einzelband |  ★★★ 4 Sterne
"An einem verschlafenen Sommertag des Jahres 1984 begegnet die junge Holly Sykes einer alten Frau, die ihr im Tausch für "Asyl" einen kleinen Gefallen tut. Jahrzehnte werden vergehen, bis Holly Sykes genau versteht, welche Bedeutung die alte Frau dadurch für ihre Existenz bekommen hat.
Die Knochenuhren folgt den Wendungen von Holly Sykes' Leben von einer tristen Kindheit am Unterlauf der Themse bis zum hohen Alter an Irlands Atlantikküste, in einer Zeit, da Europa das Öl ausgeht. Ein Leben, das gar nicht so ungewöhnlich ist und doch punktiert durch seltsame Vorahnungen, Besuche von Leuten, die sich aus dem Nichts materialisieren, Zeitlöcher und andere kurze Aussetzer der Gesetze der Wirklichkeit. Denn Holly – Tochter, Schwester, Mutter, Hüterin – ist zugleich die unwissende Protagonistin einer mörderischen Fehde, die sich in den Schatten und dunklen Winkeln unserer Welt abspielt – ja, sie wird sich vielleicht sogar als deren entscheidende Waffe erweisen."



MEINE MEINUNG | FAZIT

"Er überreicht mir ein rundes Stück Pappe [...], auf das er ein Labyrinth gezeichnet hat. [...] ´Nimm es mit´, sagt er. ´Es ist diabolisch.´ ´Dia-was?´ `<Diabolisch> heißt <teuflisch>, Schwesterherz.´ ´Was ist so diabolisch an deinem Labyrinth?´ ´Die Dämmerung verfolgt dich, wenn du hindurchgehst. [...] Eine falsche Abzweigung in eine Sackgasse, und es ist aus mit dir. Darum musst du dir den Weg genau einprägen.´" S. 15f.

Die Eindrücke eines achthundert Seiten Buchs in eine doch recht knappe Rezension zu packen, ist nicht so einfach. Vor allem nicht bei einem so handlungsdichten Roman wie "Die Knochenuhren". Das Leben der Figuren erstreckt sich über sehr viele Jahre hinweg und baut so Stück für Stück aufeinander auf, was zur Folge hat, dass man das Gefühl hat, man werde gemeinsam mit den Figuren, vor allem aber mit der Protagonistin Holly, alt. Man lernt sie als Charakter kennen, der mit seinen sechszehn Jahren aufmüpfig ist und mit den typisch jugendlichen Problemen zu kämpfen versucht. Dies spiegelt sich zu Beginn natürlich auch in der Sprachweise wider. Nach und nach wächst der Erzählstil mit den Protagonisten. Als Leser wird man an einigen Stellen auf gewisse Vorkommnisse hingewiesen, die sich über eine normale Romanhandlung eines Lebens hinausbegeben. Merkwürdige Dinge scheinen in Hollys Leben zu geschehen, die man zunächst nicht erklären kann und auch die Spannung nimmt zu. Dennoch empfand ich "Die Knochenuhren" an erster Stelle als Geschichte einer jungen Frau, die sich in ihrem Leben nach Ruhe und Frieden sehnt. Mir gefiel in dem Zusammenhang Mitchells Verknüpfung der Erzählweisen. Jedes größere Kapitel, welches größere Sprünge in der Zeit mit sich bringt, wird von einem anderen Charakter erzählt, bis auf das erste und das letzte. Diese beiden beginnen und schließen mit der Erzählperspektive Hollys. Die mittleren Kapitel werden von Charakteren erzählt, die zunehmend Kontakt mit Holly haben und durch die man andere Seiten der Protagonistin kennenlernt. Rührend fand ich vor allem das Kapitel des Ed Bruebeck (mehr werde ich hier aber nicht verraten, das würde zu viel vorweg nehmen).

"Holly Sykes und der schräge Scheiß, 1. Teil, 1976 war ich sieben Jahre alt. [...] Ich hörte Stimmen." S. 26

Grundsätzlich fand ich das Buch keinesfalls zu lang oder zu ausgeschmückt, obwohl man doch einige Zeit damit verbringt, es zu lesen. Mit der Zeit konnte und wollte ich mich gar nicht mehr von Holly verabschieden, so dass es mir schwer fiel, die letzten Seiten zu Ende zu lesen. Im Großen und Ganzen fand ich auch den Aufbau und die Mischung aus etwas Übernatürlichen und der Schilderung des Lebens von Holly Sykes gut aufeinander abgestimmt. Einige Abzüge habe ich dennoch gemacht. An einigen kleinen Stellen, habe ich mir gedacht, wenn man schon einen so umfangreichen Roman schreibt, dann sollte man einige Handlungsstränge nicht in die Leere laufen lassen. Vielleicht ist mir auch am Schluss etwas entgangen, aber ein Kapitel endet mit gewissen Anspielungen, die ich meiner Meinung nach, in den folgenden Kapiteln, gar nicht mehr wiedergefunden habe. Dennoch würde ich aber sagen, dass Mitchell ein kleines Meisterstück geschaffen hat. Ich mochte die gesamte Atmosphäre des Buches und auch die am Ende geschilderte Zukunftsvision. Auch wenn ich mir das Ende komplett anders vorgestellt habe, gefiel mir der Effekt, den das Kapitel in mir ausgelöst hat. Man ist als Leser überhaupt nicht darauf vorbereitet, was David Mitchell einem als nächstes präsentiert. Umso mehr fängt man an, darüber nachzudenken, wie wahrscheinlich solch ein Szenario werden könnte. Das Buch lebt zudem von all möglichen Verwicklungen und Verstrickungen, die immer eine gewisse Folge mit sich ziehen. Es tauchen stets neue Figuren auf, die man selbst versucht in vertrauenswürdig oder nicht vertrauenwürdigs einzustufen. Es gibt Begriffe, die erst nach und nach erklärt werden, die sich aber wunderbar zusammensetzen und ein gesamtes Bild ergeben, welches meiner Meinung nach, einzigartig ist. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass ich dieses Buch noch einmal lesen werde.

"[Die] grausame[...] Krankheit Sterblichkeit. Sie befällt jeden. Die Jungen halten eine ganze Weile durch, aber irgendwann endet selbst der zäheste Patient als vertrockneter Embryo, [...] als dürre, durchsichtige, undichte Knochenuhr, deren Gesicht verrät, wie wenig Zeit ihr noch bleibt." S. 683
_____________________________________________________________________________________

Ausgebaute Charaktere und eine wunderschön verknüpfte Handlung, die sich mit der Zeit immer stärker entfaltet. Das Spiel mit Ort und Zeit fand ich gut umgesetzt. Der Roman hat eine ganz eigene und spezielle Atmosphäre, spielt mit unglaublich vielen Aspekten des Lebens, Glaubens und der möglichen Zukunftsvisionen. David Mitchell hat eine Welt erschaffen, die einen in den Bann zieht und das menschliche Verlangen nach dem Leben wiederspiegelt. Gefühlvoll und spannend zugleich. Hat für mich nur ganz kleine Anhaltspunkte, die mir nicht ganz ins Gesamtbild gepasst haben, was aber wirklich rein subjektiv betrachtet ist. Wer sich mit kritischen Aussagen gegenüber der Weltentwicklung, einer gefühlvollen Geschichte einer jungen Frau und einer spannenden und geheimnisvollen Welt jenseits des "Alltäglichen" beschäftigen möchte, für den ist das Buch sicherlich interessant.





 Vielen lieben Dank an den Rowohlt Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!


Leave a little note ~ Hinterlasse eine kleine Notiz

Mit dem Absenden Deines Kommentars bestätigst Du, dass Du meine Datenschutzerklärung, sowie die Datenschutzerklärung von Google gelesen hast und akzeptierst.