I Saw A Man von Owen Sheers

Februar 24, 2016


(Original: "I Saw a Man" / 2015 DVA,  Übersetzer/ in: Thomas Mohr (aus dem Englischen),   ★★★  3,5 Sterne
"Nach dem tragischen Tod seiner Frau Caroline, die als Journalistin bei einem Auslandsdreh in Afghanistan ums Leben gekommen ist, erträgt Michael es nicht länger im gemeinsamen Heim in Wales. In dem Versuch, ein neues Leben zu beginnen, zieht er nach London, wo er auf die Nelsons trifft: Josh, Samantha und ihre zwei Töchter wohnen im Haus nebenan, und aus einer Zufallsbekanntschaft wird schnell – allzu schnell? – eine intensive Freundschaft. Michael geht bei den Nelsons wie selbstverständlich ein und aus, bis er eines Samstagnachmittags ihre Hintertür halb offen stehend vorfindet. In dem Gefühl, dass etwas nicht stimmt, betritt er das augenscheinlich leere Haus ... und setzt damit eine Folge von Ereignissen in Gang, die ihrer aller Leben schlagartig und auf immer verändern wird."


MEINE MEINUNG | FAZIT

"Sie alle hatten Schicksalsschläge hinnehmen müssen, und sie alle hatten Angst vor dem eigenen Tod [...]. Aber das merkte man ihnen nicht an, denn dafür waren sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, ihrem Gerede, ihren Wünschen. Weshalb Michael sich in ihrer Gegenwart doppelt allein fühlte, der einzig Sehende unter lauter quasselnder Blinden."
S. 64

Wieder einmal so ein Buch, welches einen kompletten Zwiespalt in mir ausgelöst hat. Zunächst einmal habe ich mit einer ganz anderen Geschichte, beziehungsweise einer ganz anderen Handlung gerechnet. Soll sich aber nicht negativ auf diese Besprechung auswirken, da man als Leser bekanntlich öfters zu voreiligen Schlüssen aufgrund des Klappentextes neigt. Nach den ersten paar Seiten ist mir, der doch recht "einfache" Schreibstil aufgefallen. Hier steht demnach eher das Geschehen und die Reaktionen der Geschichte im Vordergrund und nicht die außergewöhnliche Schreibweise. Dennoch empfand ich den Anfang als gelungen. Er war spannend und animierte zum weiterlesen. Der eigentliche Moment, der auch in dem Klappentext beschrieben wird, wird aber von Einschüben unterbrochen, die die Charaktere der Geschichte näher beleuchten. Dieser Wechsel hat mir persönlich ganz gut gefallen, da es nicht dem typischen Ablauf entsprach, sprich Charaktervorstellung an anschließend eine einfache Darlegung der Szene. Es gibt in der Geschichte sicherlich einige gut gewählte Verknüpfungen, die sich mit der Zeit herauskristallisieren. Sie sind meiner Meinung nach manchmal sogar etwas zu unterschwellig. Ich denke, man hätte durch die Verbindung der Ereignisse und der vorkommenden Figuren, noch etwas mehr "rausholen" können. Man hat manchmal das Gefühl gehabt, als lese man zwei voneinander getrennte Geschichten, die zwar zusammengefügt werden wollen, aber wo der Bezugspunkt etwas schwächelt, auch hinsichtlich der aufkommenden Gefühle. Der Autor spielt allerdings auch geschickt mit den Schicksalen und lässt aufblicken, dass alles, einem in sich geschlossenen Kreissystem folgt, gedanklich, wie auch auf die Vorkomnisse bezogen.

"Die Piloten der Zukunft wurden in den Wohn- und Kinderzimmern Amerikas herangezüchtet, unter den Augen ihrer nichts ahnenden Eltern und Geschwister. Sie würden kämpfen, als sei die ganze Welt eine uneingeschränkte Feuerzone, begleitet vom besänftigenden Summen der Server und Computern [...]." S. 122

Thematisiert werden vor allem gewisse Auswirkungen auf ein einschneidendes Erlebnis des Protagonisten Michaels. Diese werden mit der Problematik der Kriegsberichterstattung und der Kriegsausführung in einen gewissen Einklang gebracht. Welche Auswirkungen können bestimmte Aufträge der Armee auf alle beteiligten Personen haben? Wie weit reichen Schuldeingeständnis und das Verlangen diese Schuld begleichen zu können? Es wird schon deutlich, dass das Buch ernste Themen anspricht, die man auch hätte in einem endlos langen Gespräch führen und besprechen können. Daher denke ich, ist es auch nicht ausgeschlossen, dass manchen, wie zum Beispiel mir, der gewisse "Tiefgang" fehlt. Mit dem Hauptcharakter wurde ich oftmals gar nicht richtig warm. Michael war mir stets eine Distanz, so wie er sich auch selbst gerne aus seinen erwähnten Werken "herausschreibt", habe ich ihn als eher "unpersönlichen" Charakter wahrgenommen. Überraschenderweise fand ich den Handlungsstrang rund um den Charakter "Daniel" berührender. Auch wenn mich der komplette Schreibstil nicht komplett überzeugen konnte, sind mir einige Stellen in Erinnerung geblieben, die ich sehr lesenswert fand. An diesen Stellen, hatte ich auch das Gefühl, dass der Autor dem Leser etwas tatsächlich etwas auf den Weg mitgeben möchte. In der Handlung an sich, kommen definitiv überraschende und spannende Passagen vor, die den Leser packen. Man verspürt also kein Gefühl von Langeweile. Aber wie gesagt, mir persönlich hat manchmal der Schreibstil und die Umsetzung der Verknüpfungen und der Gefühle nicht ganz zugesagt. Was man von dem Buch allerdings erwarten kann ist, dass man dazu aufgefordert wird, sich zu überlegen, wie man selbst in den Situationen reagieren würde, die die Protagonisten bewältigen müssen. Der Schluss war für mich auf jeden Fall noch einmal eine Verbesserung zum Mittelteil. Die letzten Passagen sind noch einmal etwas nachdenklicher und gefühlvoller und lassen manche Stellen nicht ganz ohne Bezug dastehen. Auch der im letzten Teil aufgegriffene Bezug zu der Tätigkeit von Michael und seiner persönlichen Lage gefiel mir gut. Durch das Zusammenlaufen der Geschehnisse und der Deutlichkeit der Aspekte von Einsamkeit, Trauer und dessen Überwindung wurde das Buch für mich etwas stimmiger.

"[D]ie verschwiegene Wahrheit war wie ein riesiger, zugeschütteter Müllberg, unsichtbar und doch da, der langsam den Erdboden vergiftete." S. 295


Spannend und mit ernstem Hintergrund. Für mich wurde die Idee, an einigen Stellen, nicht perfekt umgesetzt, das lag aber auch an meinem subjektiven Empfinden, was die Gefühlswelt anbelangt. Den Schreibstil mochte ich an einigen Stellen deutlich stärker, als an anderen.  Die Verknüpfung zwischen den Folgen von Kriegsführungen und den privaten Schicksalen der Betroffenen wurde gut aufgegriffen und ist auch lesenswert, aber auch hier hat mir an der Umsetzung etwas gefehlt. Die auftauchenden Fragen an den Leser bezüglich des Schuldbewusstseins und des Schuldeingeständnisses fand ich hingegen gelungen.



Vielen lieben Dank an den DVA Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!


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