Fürchte den Donner von Jim Thompson

Januar 03, 2016


Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: "Heed the Thunder"1994) von Jim Thompson,  Heyne (2016), Übersetzer- /in:  Franz Dobler (aus dem Amerikanischen), mit einem Vorwort von James Ellroy und einem Nachwort von Thomas Wörtche, ★★★★(☆) 4 bis 5 Sterne

"Willkommen in Verdon, Nebraska ... Lincoln Fargo ist der Patriarch des Fargo-Clans, einer dekadenten Familie, die auf ihrem Landsitz in einer selbstgeschaffenen Welt des Abgründigen lebt. Fargo blickt auf ein Leben in Sünde zurück, seine gottesfürchtige Frau Pearl steigert sich in den Wahn, den Familienbesitz an Gott zu verkaufen, während ihr Sohn Grant immer weiter zerfällt. Doch dies ist nur die Oberfläche der Verkommenheit ..."


MEINE MEINUNG | FAZIT

"Das Haus war ein Bastard, erzeugt von der Hoffnung, die aus einem toten Glauben entsprungen war. Für Robert Dillon war es das schönste, beste und freundlichste Haus der Welt." S. 101

Jim Thompsons Roman strotzt nur so vor Snobismus, Ekel, einer speziellen Familienchronik, der Kritik an der Gesellschaft und den Schandtaten, zu denen Menschen fähig sind. Den Titel "Fürchte den Donner" finde ich passend gewählt, auch wenn ich am Ende den Donner mit dem Geräusch einer schwingenden Peitsche gleichgesetzt habe. Denn vor allem dieses Symbol der Peitsche wird durchgehend thematisiert. Sie stellt die Zügelung und die Austreibung des Unguten, des Bösen im Menschen dar, wenn auch auf eine sehr drastische und sehr fragwürdige Weise. Der Erzählstil wechselt sich je nach Lage und Situation mit den Vorkommnissen ab. Es gibt Passagen, die eine tragische Komik aufweisen und Passagen, die einem Horrorähnlichen Werk gleichen. Denn, so stark sich das Werk auf die Gründung einer Gesellschaft und deren eventuellen Verfall beschäftigt, so entwickelt sich ein spannender Handlungsstrang, der eben diese Zeichen personifiziert darstellt. Man könnte sogar sagen, die Gemeinschaft erschafft sich ihr eigenes Monster. Ich persönlich fand die Auflösung des Buches und den Weg dorthin sehr gut geschildert. Der Autor hat es geschafft, dass ich mich an keiner einzigen Stelle gelangweilt habe, auch wenn man das Ende ein wenig absehen konnte. Man nimmt vor allem die authentische Kulisse und die zu damaligen Zeit geprägte Lebensweise der Menschen wahr, die in der Stadt Verdon, Nebraska leben. Da die Geschichte rund um das Jahr 1907 spielt, kommen auch Situationen vor, die man aus heutiger Sicht sehr amüsant findet. Zum Beispiel, dass Jeff Parker, einer der Protagonisten, nicht daran gewöhnt ist, dass jedes Hotelzimmer ein eigenes Bad besitzt oder Pearl Fargo ihr Vermögen an Gott überschrieben lassen hat. Daraus entstehen, selbst bei diesem ernsteren Werk,  witzige Situationen. Die eher düstere Stimmung des Buches, wird demnach oftmals aufgelockert. Dieser harte Kontrast kommt in dem Buch sehr häufig vor und setzt das beschriebene in einen neuen, beinahe absurden Kontext.
Hilfreich sind zudem auch das abgedruckte Vorwort von James Ellroy und das Nachwort von Thomas Wörtche, welche noch einmal auf gewisse Punkte des Textes oder Kontexte in Bezug auf den Autor eingehen. Dort wird auch angemerkt, dass ein gewisser Erzählstrang nicht ganz geschlossen ist.

"Grant hätte den Ort am liebsten verlassen, aber er fürchtete sich davor. Er hatte eine übertriebene und scheußliche Angst vor dem, was hinter seinem Rücken gesagt werden könnte." S. 45f.

Alle genannten Charaktere waren meiner Meinung nach sehr gut in die Geschichte eingebunden und verkörperten eine andere Last oder Eigenschaft, die die Menschen oder besonders die Familienmitglieder der Fargo Familie tragen. Als ich das Buch begonnen habe, stellte ich mir die Personen ganz anders vor. Besonders bei der Erscheinung des Familienoberhaupts Lincoln Fargo erwartete ich eine ständige Dominanz und eine daraus folgende Unterwerfung der restlichen Familienmitglieder. Zu einem gewissen Grad trifft dies sicherlich auch zu, jedoch wird auch besonders zum Ende hin stark deutlich, dass er augenscheinlich der Einzige ist, der sein falsches Verhalten bereut, im Gegensatz zu den anderen Mitgliedern. Beim Lesen verspürt man ein ständiges Chaos, das die Fargos mit sich herumtragen. Sie scheinen eine der angesehensten Familien zu sein, sind aber beinahe unfähig ihr Leben zu kontrollieren. Dieses makabere Bild skizziert Jim Thompson für meine Verhältnisse wirklich sehr gut. Die Geschichte ist ein Konstrukt, welches als Stütze für die Entwicklung der Menschen in ihr dient. Als Leser fängt man beinahe ständig an den Kopf zu schütteln und sich zu fragen, wie sich die Figuren selbst noch als Familie bezeichnen können und auch wollen. Ich denke vor allem die Verknüpfung, der sogar tabuisierten Themen, wie Inzest oder die Gründung einer Stadt auf makabere Weise, sowie die Erschaffung ganz bestimmter Charaktere, die all die Probleme dessen aufzeigen können, führen dazu, dass das Buch eine solch starke Wirkung auf den Leser hat. Man kann das Buch definitiv nicht, ohne eine Meinung oder ohne eine Reflektion der Geschehnisse  beenden. Und abgesehen von den offensichtlichen Abgründen, findet man unter der Oberfläche noch das ein oder andere Rätsel. Und Getrieben von ihrer eigenen Gier und ihrer Überheblichkeit müssen sich die Charaktere für ihr Verhalten verantworten.

"´Wir Fargos wissen wie man ein Geheimnis für sich behält.´" S. 155


Absurd brutal und absurd komisch zur fast selben Zeit. Spielt mit Gegensetzen und den Abgründen einer Familienchronik. Hatte für mich keine langweiligen Stellen und erschafft ganz großartige Symbole beziehungsweise Metaphern. Ist nicht direkt in einen geschichtlichen Kontext gesetzt, verkörpert aber eine gewisse Mentalität. Authentisch beschriebene Landschaften und sehr spezielle Charaktere machen die Geschichte einzigartig.

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