(Original: "The Little Stranger"/ 2009) Virago Press, Übersetzer/in: -, ★★★★☆ 4 Sterne
In dem Sommer nach dem Krieg im ländlichen Warwickshire wird ein Arzt zu einem Patienten nach Hundreds Hall gerufen. Es ist seit über zwei Jahrzehnten das Haus der Familie Ayres. Einst wunderbar anzusehen und opulent, ist es nun heruntergekommen. Die Fassade bröckelt und der Garten wird von Unkraut überwuchert. Die Besitzer - Mutter, Sohn und die Tochter - kämpfen mit der wandelnden Gesellschaft und dem Erhalt ihres Status. Aber werden die Ayreses noch von etwas ganz anderem verfolgt, als ihrem immer trostloser werdenden Alltag? Nicht im Traum hätte sich Dr. Faraday träumen lassen, wie entsetzlich nah die Geschichte der Familie mit seiner eigenen zusammenhängt.
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"He had to watch every object, every corner and shadows in the room, had to keep his gaze moving restlessly from one surface to another. For he knew that the malevolent thing that had tried to hurt him before was still in there with him, waiting." S.164
In was für eine Zwickmühle dieses Buch die LeserInnen doch bringt. Einerseits wirklich fabelhaft durchdacht und streckenweise auch packend, ist es andererseits manchmal wahnsinnig zäh und man weiß nicht genau, wohin das alles führen soll.
Selbst am Ende bleibt man irgendwie mit dem Gefühl zurück, dass man mit etwas ganz anderem, größeren gerechnet hat, es insgesamt aber einfach grandios ist. Das liegt vielleicht daran, dass man wirklich angehalten ist, auf jedes Detail zu achten, denn man weiß nie, wo man einen Brotkrümel findet, um an die Lösung des Ganzen zu gelangen.
Der Erzähler Dr Faraday gibt uns seine Schilderungen über das Geschehen auf dem Anwesen der Familie Ayres wieder. Das heißt, wir bekommen zwar detaillierte Informationen zugespielt, müssen aber schauen, in welcher Beziehung die Figuren zueinanderstehen und wessen Aussagen man vertrauen kann / darf. Diese Herangehensweise ist nicht neu, aber Sarah Waters schafft es tatsächlich, uns damit beinahe um den Verstand zu bringen, denn selbst, wenn manchmal gar nicht so viel passiert und die Beschreibungen des Hauses überhandnehmen, variiert die Einschätzung der Figuren und ihrer Glaubwürdigkeit häufiger. Es wirkt manchmal wie eine sehr langsame Version des Spiels Cluedo.
Selbst am Ende bleibt man irgendwie mit dem Gefühl zurück, dass man mit etwas ganz anderem, größeren gerechnet hat, es insgesamt aber einfach grandios ist. Das liegt vielleicht daran, dass man wirklich angehalten ist, auf jedes Detail zu achten, denn man weiß nie, wo man einen Brotkrümel findet, um an die Lösung des Ganzen zu gelangen.
Der Erzähler Dr Faraday gibt uns seine Schilderungen über das Geschehen auf dem Anwesen der Familie Ayres wieder. Das heißt, wir bekommen zwar detaillierte Informationen zugespielt, müssen aber schauen, in welcher Beziehung die Figuren zueinanderstehen und wessen Aussagen man vertrauen kann / darf. Diese Herangehensweise ist nicht neu, aber Sarah Waters schafft es tatsächlich, uns damit beinahe um den Verstand zu bringen, denn selbst, wenn manchmal gar nicht so viel passiert und die Beschreibungen des Hauses überhandnehmen, variiert die Einschätzung der Figuren und ihrer Glaubwürdigkeit häufiger. Es wirkt manchmal wie eine sehr langsame Version des Spiels Cluedo.
"'I hope your mother was happy here,' Mrs Ayres said to me, as Caroline returned to the sofa. 'Was she, do you think? Did she ever talk about the house?'
I didn´t answer for a second, recalling some of my mother´s stories about her time at Hall - how, for instance, she had to stand each morning with her hands held out while the housekeeper examined her fingernails; how Mrs Beatrice Ayres would, every so often, come unannounced to the maids´ bedrooms and turn out their boxes, going through their possessions piece by piece... I said finally, 'I think my mother made some good friends here, among the girls.”
Mrs Ayres looked pleased; perhaps relieved. S. 30
Das klingt eigentlich super und das ist es auch, wenn man die Geschichte fertiggelesen hat und versucht sie zu interpretieren, da es wirklich viele Überlegungen lostritt, aber während des Lesens selbst, wird man manchmal müde.
Und auch hier kann ich wieder nur sagen, dass es für mich wohl der einzige Minuspunkt ist. Wenn man diese Detailverliebtheit und Gerissenheit hinter der Geschichte bedenkt, mit der Waters hier heran geht und wie geschickt sie die Figuren sich selbst offenbaren lässt, ohne, dass sie es selbst merken, ist schon großes Kino. An einer Stelle habe ich gedacht, dass die Charaktere plötzlich verrücktspielen, dass gar nichts zusammenpasst, nur um dann, ganz am Ende zu begreifen, dass alles mehr als Sinn ergibt und Waters es einfach versteht, ihren Figuren die psychologische Tiefe zu verleihen.
Der Klappentext verspricht, dass es in Richtung Geistergeschichte gehen könnte, der "Little Stranger" als typisches Element im Spukhaus. Ja, der Roman spielt mit diesem Bild, aber es geht darüber hinaus noch viel tiefer. Es geht um die Geister unserer Vergangenheit, die sich in unseren Herzen niederlassen, aus Menschen und Erinnerungen bestehen und uns um den Verstand bringen können.
Der einzige negative Kritikpunkt an diesem Buch ist, dass man als LeserIn Geduld braucht. Lässt man sich aber nicht von den manchmal zähen Beschreibungen von dem Ort und einigen Ereignissen abschrecken, wird man mit einer sehr komplexen und mehrfach deutbaren Geistergeschichte belohnt, die zwar Gänsehautcharakter hat, aber nicht ins Horrormäßige abdriftet. Hier stehen die Figuren, ihre Charakterbildung und ihre ganz persönlichen Laster, wie auch Wünsche an das Leben im Vordergrund. Auch wenn es für mich im Mittelteil etwas zu langatmig war, komme ich nicht umhin, den Roman als einen meiner absoluten Lieblinge anzusehen, da Waters es wirklich versteht, zwischen den Zeilen eine mehr als geniale Auflösung zu schaffen, die nach und nach immer weiter unter die Haut geht.
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