(Original: "Das vergessene Fest"/ 2018) Hanser Berlin, Übersetzer/in: -, ★★★★★ 5 Sterne
"Nina, Arif und Ronda sind Freunde seit der Uni. Damals glaubten sie an die Liebe, daran, dass ihre Leben sich entfalten würden wie eine Erzählung. 15 Jahre später ist Arif geschieden, Ronda allein mit ihrem Sohn, und Nina steht auf einer Lichtung im Wald – und sagt vor allen Gästen Nein zu ihrem Bräutigam. Gemeinsam verlassen die Freunde das Fest und gehen in den Wald hinein, wo sie Menschen wie aus einer anderen Wirklichkeit begegnen, die sie einbinden in ein fremdes Ritual. Und irgendwann ist Nina verschwunden. "Das vergessene Fest" ist ein Roman über Lebensträume und das Irrewerden an der Wirklichkeit, der hineinführt in eine aufs Neue verzauberte Welt."
"Als hätte jemand gerufen, dreht Arif sich um. Er blickt in seinem Wohnzimmer umher, dann läuft er wieder zum Foto über der Spüle. Er beugt sich so weit nach vorne, dass seine Nase fast das Papier berührt. Und erst jetzt bemerkt er die Unschärfe von Ninas Gesicht." S.15
Ich war zunächst sehr verwirrt, als ich das Buch beendet hatte. Vieles schien in der Schwebe zu liegen, nicht alles scheint zu Ende erzählt.
Nach und nach begann ich einige Textstellen, einige Kapitel nachzulesen und plötzlich fragte ich mich: "Ist der Roman zu wirr oder doch so genial, dass man es auf den ersten Blick gar nicht erahnen kann?"
Wir lernen vorrangig die drei Freunde Arif, Ronda und Nina kennen, die durch ein besonderes Ereignis wieder zusammengeführt werden. Ninas Hochzeit steht bevor und diese findet in einem Waldgebiet statt. Anfangs liest sich alles noch wie ein leichter Einstieg in das Geschehen, alles hat seine Ordnung, seine Logik.
Plötzlich ging dann bei mir alles ganz schnell. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich in der Geschichte komplett verirrt fühlte. An welchem Ort befinden sich die Freunde jetzt? Wo sind die anderen Gäste und woher kommen plötzlich die Gruppen der anderen Leute? Zudem scheint die Verwirrung des Lesers überhaupt nicht auf die der Figuren überzuspringen, sie passen sich allen Umständen so an, dass es wiederum natürlich erscheint. Dieses Paradoxon machte mir anfangs etwas zu schaffen. Mir erschloss sich einfach kein genauerer Sinn und auch jetzt noch kann ich einige Erzählstränge nicht ganz zu fassen kriegen.
"Der Wald liegt still und lichtdurchflutet da wie ein Zwischenreich, in dem kein Mensch etwas zu suchen hat." S.34
Umso spannender und faszinierender finde ich aber, dass der Roman bei mir durch das wiederholte Lesen eine sehr schöne Tiefe erhalten hat, die eben doch überwiegend Sinn gemacht hat, sei es auch nur aus meiner eigenen Perspektive und Interpretation heraus.
Dabei sind es kleine Details, die Aufschluss darüber geben können, was es nun mit den merkwürdigen Verhaltensweisen der Figuren auf sich hat.
Es gibt viele Einschübe, die zudem die Form des Romans neu gestalten. Wir finden die 'normale' Romanform vor, aber auch eingebaute Soap-Ausschnitte, die wie Drehbücher daherkommen oder Passagen, die sich eher wie ein Theaterstück lesen. Auch hier muss man wohl selbst entscheiden, ob man sich mit dem Wechsel anfreunden kann oder ob man dies als zu sprunghaft und chaotisch empfindet. Ich persönlich fand es beim ersten Lesedurchgang etwas anstrengend, bin aber nach der ersten Reflexion doch ganz angetan von diesem Wechsel.
Ein wichtiger Punkt, den man beachten sollte ist, dass man sich auf phantastische Elemente einlassen kann und will. Der Roman fordert von einem, dass man gewisse Grenzen überschreitet. Einige Geschehnisse sind auf einer Ebene konstruiert, die an Traumsequenzen anknüpfen, welche aber doch Einfluss auf das 'echte' Leben zu haben scheinen. Für mich war es umso interessanter zu sehen, wie sich das Ende mit dem Anfang verknüpft und man so stets in diesem Strudel des unerschöpflichen Interpretierens eintaucht.
Was den Inhalt selbst angeht, so wird man den Themen 'Freundschaft', 'Familie', 'Liebe' und 'Selbstzweifel' begegnen. Das Leben selbst, mit all seinen Freuden und Niederschlägen bricht hier in verschiedenen Formen empor. Und letztlich steht auch die Frage, passend zum Buchtitel im Vordergrund, ob uns manche zukünftige Lebenswege leichter fallen würden, wenn wir gewisse alte Erinnerungen vergessen oder uns an manches nicht mehr erinnern könnten?
“Und im Weggehen fügt er hinzu: 'Und denkt daran, abends die Fahnen einzuholen. Das machen wir hier so. Sonst kommt der Teufel ins Haus.' Die Mutter rennt zum Mast und reißt die Fahne runter. Die Nähte platzen, so heftig zerrt sie am Tuch.” S.93
So sehr mich der Roman anfangs verwirrt zurückgelassen hat, umso interessanter scheint er mir nun in der Reflexion und nach erneutem Lesen gewisser Kapitel. Das Buch spielt mit Traum und Wirklichkeit und dem Zwischenraum, der vielleicht existieren könnte. Auch wenn die Geschichte recht kurz ist und einige Figuren nur sehr kurz skizziert werden, berühren die Schicksale (mich vor allem die Kapitel rund um die Eltern von Nina). Neben dem recht komplexen Inhalt, entwickelt sich bei mir immer mehr die Liebe zu der Konstruktion des Romans, auch wenn ich dies auch hier erst nach einem zweiten Lesedurchgang wirklich verstanden habe. Demnach für alle, die mit Geschichten zurechtkommen, die anfangs keine Regeln zu haben scheinen und etwas mehr Zeit für die 'Interpretation' benötigen und für alle, die auch mit knapperen Figurenbeschreibungen eine gewisse Bindung aufbauen können.
Das klingt aber spannend, was du über die Erzählstruktur und deine Verwirrtheit beim Lesen berichtest. Hätte ich vom Klappentext her gar nicht erwartet. Jetzt bin ich aber neugierig :)
AntwortenLöschenIch habe damit ehrlich gesagt auch nicht gerechnet. Bin davon ausgegangen, dass es eine kurze Erzählung über die Freundschaft wird und dass man vielleicht war 'Nettes' daraus mitnimmt, aber es nichts Besonderes in dem Sinne ist. Aber gerade das ist, was ich als erstes darüber sagen würde, dass es irgendwie 'Besonders' ist. : ) Kann mir aber vorstellen, dass viele damit nichts anfangen können. Hätte ich nicht noch etwas Zeit investiert und hätte einige Kapitel nochmal gelesen, wäre ich vielleicht mit einem anderen Gefühl am Ende zurückgeblieben.
LöschenLiebe Grüße
Karin