Menschenwerk von Han Kang

September 26, 2017








(Engl. Version: "Human Acts"/ 2016, Original: "Sonyeoni onda"/ 2014) Aufbau Verlag, Übersetzer/in:  Ki-Hyang Lee, 224 Seiten, gebunden★★ 5 Sterne
"Ein Junge ist gestorben, und die Hinterbliebenen müssen weiterleben. Doch was ist ihnen ihr Leben noch wert? Han Kang beschreibt in ihrem neuen Roman, wie dehnbar die Grenzen menschlicher Leidensfähigkeit sind. Ein höchst mutiges Buch und ein brennender Aufruf gegen jede Art von Gewalt."


MEINE MEINUNG | FAZIT
 
"Warum singt man die Nationalhymne für Menschen, die von Soldaten getötet worden sind? Warum werden sie in die Nationalflagge eingehüllt? Es ist doch genau dieser Staat, der sie getötet hat."  S.17

Die Menschlichkeit oder das Unmenschliche werden oft zum Thema eines Romans, wenn sie nicht sogar immer präsent sind, sei es auch nur implizit. 
Han Kang hat bereits mit "Die Vegetarierin" (engl. "The Vegetarian") auf die Menschlichkeit Bezug genommen und mit einer provokativen Herangehensweise gezeigt, dass das "Mensch sein" nicht immer einfach ist und man die Taten der Menschen oft nicht nachvollziehen kann, sei es als aktiver Täter oder jemand, der auf diese Reaktionen mit anderen unverständlichen Handlungen entgegenwirkt.
In ihrem neuen Roman "Menschenwerk" (engl. "Human Acts") tritt diese Betrachtung des Verhaltens der Menschen, in Zeiten des Widerstandes und Krieges in den Vordergrund.
Mir war von Anfang an bewusst, dass man in Han Kangs neuem Roman wieder starke und gezielte Äußerungen finden wird. Sie schreibt über die Schicksale junger Menschen, die 1980 Schlimmes mit ansehen oder erleben mussten. Darüber hinaus skizziert sie noch einige Lebensläufe der folgenden Jahre und die vielen Ängste, die diese Menschen mit sich herumtragen müssen.

"Wie lange bleibt die Seele noch bei ihrer sterblichen Hülle? Schlägt sie mit ihren Flügeln und bringt so die Flammen der Kerze zum Erzittern?S.46

Für mich ist der Autorin hiermit wieder ein wirklich tolles Buch geglückt. Obwohl ich diesen Satz nun geschrieben habe, klingt er im Zusammenhang mit dem Inhalt viel zu banal.
Das Buch hat mich an vielen Stellen wirklich zerrissen, weil es einerseits die in der Welt vorkommende und sinnlose Ausübung der Gewalt von Seiten des Staates aufzeigt und weil es mit einer beinahe so sanften Stimme daherkommt, dass man erst nach einem Kapitel merkt, dass man viel zu spät ausgeatmet hat. Ja, ich habe oftmals die Luft anhalten müssen, weil Sätze aufeinanderprallen, die einen wirklich mitnehmen.
Es ist zwar ein Roman, aber diese Schicksale hat es gegeben und sich während des Lesens daran zu erinnern, fällt nicht immer leicht. 
Die Kapitel werden alle aus der Sicht einer anderen Person geschildert, sie setzen sich wie ein Puzzlestück zusammen und lassen den Leser meist erst im Laufe erahnen, was mit gewissen Personen wirklich passiert ist, was sie erlebt, wie sie gelitten haben oder ob sie das Leben überhaupt fortführen konnten. Dabei hat jedes Kapitel einen ganz eigenen Ton, eine eigene Botschaft, die sich letztlich zu einer lauten Stimme erhebt und eine Frage im Raum stehen bleibt: "Warum tun sich Menschen das gegenseitig an?"
Gut in Einklang gebracht fand ich zudem den Zusammenhang oder das Aufgreifen einiger existentieller Fragen, die sich Menschen gleichzeitig mit Kriegssituationen stellen. Was geschieht mit mir nach dem Tod? Werde ich noch in irgendeiner Art vorhanden sein und werde ich mich meiner Familie mitteilen können? Diese Fragen bindet Han Kang so ein, dass sie nicht in einem kompletten Kontrast zu den brutalen Schilderungen der Toten stehen, sondern einen sinnvollen und auch wertvollen Sinn ergeben und sich darum schmiegen, wie eine Hülle. Auch von den Gefühlen, Gedanken und Vorwürfen der Familien bleibt der Leser nicht verschont.
Es ist wie gesagt nicht einfach sich das ganze Grauen vorzustellen, was man präsentiert bekommt, aber vielleicht hilft diese Geschichte dabei, einigen erneut zu verdeutlichen, dass Menschen niemals dazu fähig sein sollten solche Taten zu begehen und es sich auch am Ende für niemanden lohnt, sodass der Begriff "Menschlichkeit" in der Zukunft nicht negativ konnotiert sein wird.

"Die zahlenmäßige Überlegenheit der Soldaten war uns sehr wohl bewusst. Aber seltsamerweise spornte mich etwas an, das mindestens genauso viel zählte.
   Mein Gewissen.
   Ja, ganz recht, mein Gewissen.
   Die Furcht erregendste Waffe, die es überhaupt auf der Welt gibt."  S.114


Trotz der beschriebenen Grausamkeiten und Trauer fesselnd und mitreißend. Stellt das Menschsein gut in den Fokus und auch die damit verbundenen negativen Aspekte der Handlung von Menschen. Zeigt zudem die ungeheure Macht eines Staates auf, welche stark kritisiert wird. Einige Kapitel gehen einem wirklich sehr nahe, da sie provokant damit spielen, wie viel der Körper eines Menschen wert ist und welche Möglichkeiten es für die Seele geben kann, davon Abstand zu nehmen.


Vielen Dank an den Aufbau Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!


1 Kommentar:

  1. Wow, was für eine tolle Rezension! Ich kann jeden deiner toll formulierten Sätze so unterstreichen. Du bringst alles auf den Punkt, was ich bei meiner Lektüre auch notiert und angemerkt habe. Mache Dinge habe ich so auch noch nicht gesehen und muss jetzt erst mal intensiv darüber nachgrübeln.

    Toll!

    Liebe Grüße, Tina

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