(Original: "Skynda, kom och se"/ 2006) Hoffmann und Campe, Übersetzer/in: Nina Hoyer, 400 Seiten, gebunden, Einzelband, ★★★(☆)☆ 3,5 Sterne
"New York 1932: Die Kleinwüchsigen Glauer und Ka treten in einer Freakshow auf. »Hereinspaziert, schaut und staunt«, so lockt Glauer in Coney Island Zuschauer an. Neugierige Blicke und schlimmere Erniedrigungen sind er und Ka gewohnt. Aber ein normales Leben muss doch möglich sein? Sie nehmen den Dampfer nach Deutschland, Ziel ist das glitzernde Berlin mit seinen Varietés. Dort treffen sie auf Verner, den kleinsten Mann der Welt, und das einsame Blumenmädchen Nelly. Doch die Zeiten sind unsicher geworden, und als sie eingeladen werden, im Stockholmer Vergnügungspark mit dem idyllischen Namen »Gröna Lund«, grünes Wäldchen, aufzutreten, nehmen sie dankbar an."
MEINE
MEINUNG | FAZIT
"Wieder sah er zur Uhr. Die Dämmerung brach herein, schon bald würden im Luna Park die Lichter angehen. Trotz der Weltwirtschaftskrise ließ man jeden Abend Hunderttausende bunte Lampions erstrahlen - rote, gelbe, grüne, blau: hell erleuchtet baumelten sie hoch oben zwischen den Bäumen des Vergnügungsparks wie ein herabgesenktes Sternenzelt.“ S.10
Das Kuriosum Mensch. Im Fokus stehen hier zwei scheinbar getrennte Welten. Die Welt der Normalwüchsigen und die der Kleinwüchsigen Menschen. Ich persönlich sehe dabei ja keinen Unterschied. Mensch, ist Mensch. Lotta Lundberg zeigt aber ganz gut auf, wie der Umgang zwischen beider "Gruppen", besonders im Jahre 1932, wahnwitzige Ausmaße annahm. Ganz zu schweigen, von der immer noch beständigen Präsenz der Angst des Menschen, vor etwas Neuem, Unbekannten. Was mich tatsächlich verblüfft hat, ist die Tatsache, dass dem Buch tatsächliche Begebenheiten und Fakten zugrunde liegen. Diese werden am Ende im Einzelnen erläutert. Genannt werden nämlich bereits zu Beginn sehr fragwürdige "Shows", in denen Menschen quasi "ausgestellt" werden. So weiß der Leser bereits nach den ersten paar Seiten, welche Stimmung das Buch dominiert. Für mich ist es ein sehr nachdenkliches Buch mit melancholischen Zügen. Heiterkeit im eigentlichen Sinn ist nicht unbedingt die Hauptemotion, allerdings schafft der Roman es, den Leser ein wenig von den Schicksalen zu distanzieren, in dem gewisse Entwicklungen in der Schwebe hängen bleiben. Dies trifft aber besonders auf das Ende zu. So gibt es zwar ein offenes Ende, welches aber deutlich besser in das Gesamtbild des Buches passt, als eine ausgeschlachtete Weitererzählung. Aber nicht nur die Handlungen und Manegen der Auftritte sind lesenswert, sondern vor allem die gut ausgearbeiteten Innenperspektiven der Protagonisten, der Kleinwüchsigen Artisten, die stets auf der Suche nach einem friedlichen Ort sind. Mir gefiel, dass die "Normalwüchsigen" genauso dargestellt wurden, wie sie sich tatsächlich immer verhalten, wenn sie meinen einer Sensation zu begegnen: Gaffend und frei von jeglichem, irrationalen Denkens.
"Seine Sorgen waren nie die Sorgen der Normalwüchsigen, während die der Normalwüchsigen immer irgendwie auch seine waren.“ S.14
Interessant fand ich auch die gewählte Zeit, in welcher der Roman spielt. Obwohl dies natürlich von der tatsächlichen Eröffnung des "echten Gröna Lund" abhängt, ist es dennoch eine interessante Verflechtung der Ereignisse, da sich in Deutschland die Situation zuspitzt und nicht nur andersartige Menschen im Visier stehen, sondern auch die Verfolgung von Juden thematisiert wird. Dies geschieht aber aus einem Blickwinkel, den ich so noch nicht in Büchern gelesen habe. Der Fokus liegt stets auf den Protagonisten Glauer und Ka, sodass man konstant auf ihre Bedürfnisse Bezug nimmt und nicht in andere Richtungen ausschweift. Man bleibt in deren Welt und lernt sich so mit ihren Schwierigkeiten vertraut zu machen. Für mich liegt die Stärke des Romans genau dort, der Darstellung der Gefühlswelt der Protagonisten und die damit verbundenen Hürden, die ihnen gestellt werden. Abgesehen davon vermittelt das Buch ganz schön, dass "normale" Menschen sich viel zu wichtig nehmen und eine Sensationsgier besitzen, die wirklich abschreckend sein sollte. Einige Auftritte der Artisten werden etwas näher beschrieben und sorgen so für kurzes Augenrollen.
"Wenn es in der Welt von Kains Nachkommen nur so wimmelte, die nichts lieber taten, als Abel totzuschlagen? Ka erschauerte. Warum sollte man so gerne ein Teil von dieser Welt sein?" S.172
Erzählperspektiven, die zunächst außergewöhnlich scheinen und im Nachhinein dafür einstehen, dass "Mensch sein" nicht noch in Bezug auf die körperliche Beschaffenheit, unterkategorisiert werden sollte. Recht melancholisch, träumerisch, aber auch kämpferisch. Zeigt auf, dass jeder das Recht hat, sein Leben ungestört leben zu wollen. Besonders die Tatsache, dass vieles auf wahren Begebenheiten beruht, lässt einen nachdenklich stimmen. Mit Glitzer, Ruhm und einem niveauvollen Zirkusambiente wird nicht direkt gedient, aber dafür mit Aussagen, die zeigen was es wirklich bedeutet, Sternstunden zu erleben.
Vielen Dank an den Hoffmann und Campe Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!
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