Gold Ruhm Zitrus von Claire Vaye Watkins

Oktober 02, 2016


(Original: "Gold Fame Citrus"/ 2015) Ullstein Verlag,   Übersetzer/in: Susanne Höbel, 416 Seiten, gebundenEinzelband, ★★★ 4 Sterne
"Niemand kann sagen, wann es das letzte Mal in Kalifornien geregnet hat. Das Land liegt unter einer gigantischen Dünenformation begraben, die Bewohner werden, teils mit Waffengewalt, teils durch undurchsichtige bürokratische Vorschriften davon abgehalten, in fruchtbarere Regionen zu ziehen. Die meisten haben sich mehr oder weniger freiwillig in Notlager begeben, einige wenige hausen in den Villen und Bungalows, die andere verlassen haben, und leben von Notrationen. Auch Luz und Ray gehören zu ihnen. Als das Schicksal ein zweijähriges Mädchen namens Ig in ihre Hände legt, ändert sich für sie alles. Luz, ehemaliges Model, will des Kindes wegen die Flucht nach Osten wagen, ihr Freund Ray, Kriegsveteran und Surfer, unterstützt sie trotz seiner Vorbehalte. Spätestens als sie in den Weiten der Amargosa-Wüste auf eine sektenartige Kommune und ihren charismatischen Anführer stoßen, wird klar, dass Gefahr nicht nur von der erbarmungslos brennenden Sonne ausgeht. Die gleißende Schönheit der Landschaftsbeschreibungen lässt in keiner Sekunde die tödliche Bedrohung vergessen, die über allem liegt."

MEINE MEINUNG | FAZIT

"Sonne aller Sonnen. Dürre aller Dürren. So sahen ihre Tage jetzt aus, Luz und Ray und die gnadenlose Sonne im Canyon, eine Familie des Lichts, in dieser Luxusvilla, die wie ein Ausleger in den Hügel gebaut war. mit einer Brücke als Zufahrt.
S.10
 
Eines muss man dem Roman definitiv lassen; die Beschreibungen der Wüstenlandschaft und der kritischen Situation in Hinblick auf die Wasserknappheit verfehlt nicht ihren Effekt. Der Leser findet sich in einem Szenario wieder, das sich ziemlich real anfühlt, auch wenn es eine eher "dystopische" Zukunftsvision aufzeigen soll. Oder um es vielleicht mit dem Zitat des "Bookpage" geeigneter auszudrücken: "[Es ist] [e]in fiebriges Schlaflied, das gleichzeitig fantastisch und nur zu real scheint." Tatsächlich habe ich mich in den meisten Passagen gefühlt, als würde mir jemand eine Geschichte erzählen wollen, die ihren Zweck verborgen hält und einem nur die Sinne betäuben möchte. Dies geschieht vor allem durch die, vorhin genannte, präzise Beschreibung des Umfelds. Allein der Gedanke daran, sich mit den Protagonisten auf eine Reise zu begeben, bei der das Bedürfnis und die Notwendigkeit nach Wasser monumental sind, setzt einen beim Lesen zunehmend unter Spannung. Daher hätte ich dem Buch allein für die Atmosphäre wahrscheinlich die volle Punktzahl gegeben.
Allerdings musste ich während vieler Kapitel feststellen, dass mir etwas fehlt. Die Figuren werden zwar mit ihren Vergangenheiten vorgestellt, aber ich konnte keinen direkten roten Faden erkennen, der sich steigert. Es werden viele Nebeninformationen fallen gelassen, die man zunächst als wichtig einstuft, die dann aber komplett ihren Sinn verlieren. Auch die Beziehung zwischen den Protagonisten Luz und Ray war mir nicht ausgebaut genug. Vielleicht war genau das der gewollte Mechanismus, denn die Figuren scheinen einem "fremd". Nicht nur aus der Sicht Leser - Protagonist, sondern eben auch, dass die Protagonisten an sich gar keinen Bezug zu einander haben und wie Fremde agieren. Das könnte man vielleicht speziell in Bezug auf das recht packende Ende tatsächlich ein cleverer Schachzug gewesen sein, leider blieb bei mir dadurch zeitweise die Nähe zu der gesamten Geschichte etwas aus. Gelungen sind die Andeutungen an das Versagen der Menschen in Hinblick auf die Nutzung der Ressourcen, die der Erde zur Verfügung stehen. Auch hier hätte ich mir aber im Großen und Ganzen eine rundere Verknüpfung zwischen der Situation der Protagonisten und eben diesen Machenschaften gewünscht, die außerhalb der Wüstenlandschaft von der Regierung in Auftrag gegeben scheinen.
Man erfährt zwar eigentlich alles Nötige, hat aber das Gefühl, es wurde einfach irgendwie als Nebeninformation angehängt.

"Säugetiere gab es keine mehr. Los Angeles gehörte den Reptilien, es war in den Urzustand zurückgefallen. Ihr Vater könnte bestimmt eine Bibelstelle dazu zitieren.S.22

Zusätzlich zu den persönlichen Kämpfen und Wünschen der Protagonisten, spielt auch die Religion eine entscheidende Rolle. Wen wollen Menschen in Situationen der Krise als Anführer sehen? Wie weit gehen Menschen, um dem eigenen "Wahnsinn" standhaft bleiben zu können? Welche Rolle spielen dabei Zeichen und unbedingt gewollte, religiöse, wenn nicht sogar fanatische Vorahnungen? Das sind gute und interessante Überlegungen, die vor allem in der zweiten Hälfte des Buches auftauchen. Wohin gegen der erste Teil eine leise Anbahnung an die Lebensführung in der "Kommune" ist, ist der zweite Teil eben speziell darauf ausgelegt, Themen aufzugreifen, die sich mit dem Wahrheitsgehalt verschiedener Aussagen, aus verschiedenen Blickwinkel befassen. So wird auch mit dem Leser gespielt, in dem man selbst herausfinden muss, welche Sichtweisen man glaubt und welche einem unglaubwürdig erscheinen.
Obwohl mich Luz manchmal eher "abgeschreckt" hat, fand ich ihre Rolle in diesen Fragen sehr gut gewählt. Sie ist ein unschlüssiger Charakter, der durch diese Suche nach sich selbst, viele Stationen durchläuft (zwar in einer Extremsituation), die ganz gut verdeutlicht, wie fragil Menschen sein können und was passiert, wenn sie sich nach dem Wunsch etwas bedeutendes zu schaffen, doch selbst täuschen lassen. Das Auftreten des Kleinkindes "Ig" kann ich hingegen immer noch nicht gut beurteilen. Natürlich passte auch diese Figur am Ende ganz gut in das Gesamtkonzept und hat an der ein oder anderen Stelle etwas "Mystisches" gehabt, allerdings hat es mir im Nachhinein einen doch etwas zu großen Raum eingenommen. Mich hätte zum Beispiel eine etwas gezieltere Auslegung der Figuren Luz und Ray stärker interessiert. Einige Details in Bezug auf die Vergangenheit waren mir etwas "zu" verschachtelt, so dass ich vor allem mit Luz Geschichte einige Schwierigkeiten hatte. Es erschien mir recht zusammengewürfelt. Nichtsdestotrotz weist das Buch deutliche Stärken auf, die sich mit ein wenig Ausdauer lohnen entdeckt zu werden.

"Schon lange konnte man sich an dem Standhaften nicht mehr festhalten." S.261


Recht spezielle, aber nicht unrealistische Zukunftsvision, die auf die Knappheit des Wassers anspielt und somit das Verschulden der Menschen, gegenüber zerstörten Naturressourcen aufgreift. Die persönlichen Schicksale der Protagonisten kommen besonders zum Schluss gut zur Geltung, davor ist es ein etwas steiniger Anfang. Für Leser, die sich aber gerne Zeit für eine, sich langsam entfaltende Geschichte nehmen und am Ende auf kleine Schockmomente hoffen. Für mich liegt der Fokus dennoch deutlich stärker auf den inneren Konflikten der Protagonisten und den Auswirkungen auf Menschen, wenn sie unter extremen Bedingungen stehen. Trotz kleiner Schwächen, die mich ab und an verunsichert haben, kann ich die Beschreibungen der extremen Wüstenlandschaft und deren Umfeld nur positiv hervorheben. 


Vielen Dank an den Ullstein Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!



4 Kommentare:

  1. Sehr schöne Rezension! Aber für mich wahrscheinlich eher nix. Ich will lieber das viel in einem Buch passiert, aber die Thematik ist sehr interessant.

    Liebe Grüße
    Jenny

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    1. Also es passiert natürlich schon Einiges, aber für mich war die Handlung nicht ganz stimmig. Finde das immer etwas schwer zu bewerten, weil viele die Handlung ganz anders wahrnehmen können. : )


      Liebe Grüße
      Karin

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  2. Das klingt gar nicht schlecht. Hatte ich vorher noch nie von gehört (wie bei fast jedem Buch, das du vorstellst ;D), erinnert mich ein wenig an Station 11. Würdest du die vergleichbar nennen?

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    1. Es ist auch nicht schlecht! : D Ich mochte es in vielen Passagen, wie gesagt, sehr.

      Bei dem Vergleich zu Station 11 würde ich sagen, dass einem das Buch durchaus gefallen könnte, wenn man Station 11 mochte, aber die verwobene Handlung fand ich bei Station 11 besser ausgebaut. Aber auch in diesem Buch spielt die Abgeschiedenheit zu "anderen" Menschen eine große Rolle. Großer Unterschied ist aber eben die Umgebung und der Fokus auf die Gruppe und deren Eigenheiten, der sich die Protagonisten angeschlossen haben.

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