Der Store von Rob Hart

September 09, 2019



Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: "The Warehouse"/ 2019) Heyne Verlag, Übersetzer/in: Bernhard Kleinschmidt (aus demAmerikanischen), ★★★★(☆) 4,5 Sterne
"Der Store liefert alles. Überallhin. Der Store ist Familie. Der Store schafft Arbeit und weiß, was wir zum Leben brauchen. Aber alles hat seinen Preis.
Paxton und Zinnia lernen sich bei Cloud kennen, dem weltgrößten Onlinestore. Paxton hat dort eine Anstellung als Security-Mann gefunden, nachdem sein Unternehmen ausgerechnet von Cloud zerstört wurde. Zinnia arbeitet in den Lagerhallen und sammelt Waren für den Versand ein. Das Leben im Cloud-System ist perfekt geregelt, aber unter der Oberfläche brodelt es. Die beiden kommen sich näher, obwohl sie ganz unterschiedliche Ziele verfolgen. Bis eine schreckliche Entdeckung alles ändert."
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"Ja, Ihre Arbeit wird manchmal schwer sein oder Ihnen monoton vorkommen, dass verschweige ich nicht, aber Sie sollten nie vergessen, wie wichtig Sie für das große Ganze sind. Ohne Sie ist Cloud absolut nichts."  S. 47f.

Unfassbar, in welchen Sog mich das Buch gezogen hat. Mich faszinierte bereits zu Beginn grundsätzlich die Idee, auch wenn sie uns zum Beispiel durch Romane wie "The Circle" bekannt zu sein scheint. Nach den ersten Kapiteln gibt es vielleicht durchaus Parallelen, besonders was den Fortschritt der Technik angeht, aber der Roman schlägt doch einen etwas anderen Weg ein.
Schnell wird deutlich, dass ein sogenannter "Luxus" nur sehr wenigen zusteht. Die Städte sind heruntergekommen, Autos, Häuser, Wohnungen sind kaum bezahlbar. Einziger Lichtblick: Das Unternehmen namens "Cloud", denn er ist der weltweit größte Arbeitgeber. Gleichzeitig ist auch dort vieles aufgrund von Sparmaßnahmen (natürlich um den Profit des Unternehmens zu steigern) runtergekommen und alle Wohnungen der Mitarbeiter sind mehr als spärlich eingerichtet, Duschen und WCs gibt es nur im Flur als Sammelanlage. Dadurch entspinnt sich natürlich ein wunderbares Paradoxon, was in dem ganzen Roman hinüber aufrecht erhalten bleibt. Positive gegen negative Argumente für das Unternehmen. Mitarbeiteraussagen gegen die Aussagen des obersten Chefs. Und was ich besonders wichtig finde: Hier wird nicht nur die Schuld auf "den Store" abgewälzt, sondern es wird sich auch kritisch mit dem Konsumverhalten jedes Einzelnen auseinandergesetzt. Schließlich können solche Firmen nur wachsen, wenn sie von Kunden unterstützt und weiter gefördert werden.
Man muss zudem nicht lange darauf warten, dass sich die Verbindungen zum weltweit größten Onlinehändler unserer Zeit herstellen lassen. Rob Hart geht hier in einer gar nicht so unrealistischen Zukunftsvision noch einen Schritt weiter und skizziert einen Verlauf, der nicht nur Positives bereithält und ein besonderes Ausmaß der Abhängigkeit aufzeigt.

"Das Schlimmste ist, wir hätten es kommen sehen sollen. Jahrelang haben wir Geschichten darüber gelesen, Bücher wie Schöne neue Welt und 1984 und Fight Club. Die Geschichten darin haben wir verschlungen, aber die Botschaft ignoriert. Und jetzt kann man zwar alles auf der Welt bestellen, was schon am nächsten Tag geliefert wird, aber wenn man versucht, ein Exemplar von Fahrenheit 451 oder Der Report der Magd zu bestellen, dauert es Wochen, falls das Buch überhaupt ankommt. Das liegt daran, dass wir diese Geschichten nicht mehr lesen sollen. Man will nicht, dass wir auf bestimmte Ideen kommen. Ideen sind gefährlich." S. 415

Was ich an dem Roman zudem sehr mochte, war, der doch sehr detaillierte Prozess der Arbeitsabläufe der Protagonisten. Besonders bei den eintönigen Aufgaben konnte man sich gut vorstellen, wie schwierig, anstrengend, ermüdend und wenig erfüllend ein solches Leben sein muss. Ganz zu schweigen davon, dass man sich gleichzeitig die Verzweiflung der vielen Mitarbeiter vorstellt, die auf diese Arbeit dennoch angewiesen sind. Durch die strategische Erschöpfung der Menschen heißt das natürlich: wenig Widerstand. Auch die psychologischen Tricks mit denen das Unternehmen versucht alle in Schach zu halten, waren erschreckend. Größtmögliche Isolation von anderen, um Gruppenbildungen verhindern zu können oder wenig Freizeit sind da nur zwei Beispiele.
Insgesamt ist es wirklich (wieder ein Mal) ein deutliches Warnzeichen an uns alle. Hinterfragt euer Konsumverhalten, hinterfragt wen ihr mit euren Käufen unterstützt.
Erschreckend zu lesen waren auch einige sehr düstere Szenarien, die in Amerika wohl noch schneller stattfinden könnten, hier am Beispiel der Jagd auf Schnäppchen am "Black Friday" nahegelegt.

Grundsätzlich kam ich auch gut mit den Protagonisten und den Charakteren zurecht. Bei vielen weiß man schon worauf gewisse Anspielungen hinauslaufen werden, aber dennoch fand ich alles recht gut umgesetzt. Zinnia und Paxton bleiben zwar als Figuren immer etwas auf Distanz, weil nicht alles offen gelegt wird und wir nicht deren ganze Vergangenheit kennen lernen, aber auch hier fand ich gerade das interessant. Mir gefielen auch die vielen verschiedenen Kritikpunkte an der Gesellschaft insgesamt, die nicht nur Zukunftsdenken, sondern auch aktuelle Lage sind. Zum Beispiel wie die Machtstrukturen in Unternehmen aussehen und die "Förderung" von Diversität und Minderheiten eher wie Scheinprojekte für die reichen Weißen wirken.
Bei mir kam zudem ganz zum Schluss auch das Gefühl auf, dass das Ende so ausgelegt ist, als könnte man eventuell mit einer Fortsetzung rechnen. Sollte dies aber nicht der Fall sein, so lässt das Ende sehr viel Raum für Spekulationen und weitere Überlegungen, was ich ebenfalls recht geglückt fand.
Zwar gibt es hier und da einige Enthüllungen, aber diese verbinden sich jetzt nicht zu einem riesigen Schocker. Der Fokus lag für mich wirklich auf der Thematik selbst, nämlich, dass die endlose Gier und der Profit, der immer weiter erzielt werden soll, ein Ende finden muss, um den Menschen ein würdevolles Leben ermöglichen zu können. Das beginnt aber damit, dass wir selbst diesen Konzernen nicht noch mehr Macht zukommen lassen und uns im schlimmsten Fall gänzlich von ihnen abhängig machen.



Fortsetzung folgt? Für mich ein Roman, der Spannung bis zum Schluss aufkommen lässt und man das Gefühl hat, dass die Geschichte eventuell noch weitererzählt werden könnte. Falls nicht, so bleibt man mit einigen Fragen zurück, die für viele Gedankenspiele sorgen. Es gibt Entwicklungen in der Handlung, die man vorausahnt, aber diese waren für mich eher zweitrangig. Ich mochte die Thematik selbst und den Appell an den Leser, es nicht zu so einer Zukunftsvision kommen zu lassen (soweit man es teilweise noch in der eigenen Hand hat). Die Protagonisten bleiben etwas distanziert, aber auch dies passte zur gesamten Stimmung des Buches, denn in vielen Teilen bestimmen gerade Monotonie und eine wenig individuelle Persönlichkeit das Unternehmen "Cloud". So war es ein ständiges Spiel zwischen Widerstand und Vereinnahmung der Figuren durch deren Arbeitgeber, immer mit der Frage im Hinterkopf: Wo würde man selbst stehen?



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