(Original: "-" / 2013) Piper Verlag, Übersetzer/in: - , 224 Seiten, gebunden, Einzelband, ★★★★★ 5 Sterne"Warum die bedeutendsten Bücher in Wahrheit nie erschienen sind.Wer weiß, vielleicht wäre der Roman »Feuerwanzen« das bedeutendste Buch unserer Zeit geworden. Leider ist er nie geschrieben worden. Vielleicht vergilben ja die besten Geschichten in den Schubladen der Schriftsteller. Keiner kann es sagen. Sicher ist nur, dass längst nicht alles, was sich ein Dichter ausdenkt, auch das Licht der Welt erblickt. Wer dafür verantwortlich zu machen ist, auf welch kuriose Abwege literarische Werke geraten können, davon erzählen leidgeprüfte Autorinnen und Autoren in dieser einzigartigen »Bibliothek der ungeschriebenen Bücher«. In pointierten, knappen Beiträgen lesen wir darin von der rätselhaften Magie ungenutzter Titelformulierungen sowie der schamlosen Wiederverwertung verworfener Romanstoffe."
MEINE MEINUNG | FAZIT
"Titel
öffnen Türen für noch nicht betretene Räume, aber nur einen Spaltbreit; sie
sind das wortgewordene ´noch nicht, aber gleich´.“ S.9
Obwohl ich lange um das Buch herumgeschlichen
bin, ist mir davor nie aufgefallen, dass nur deutsche Autoren darin enthalten
sind. Ich bin irgendwie fälschlicherweise davon ausgegangen, dass sich
internationale Schriftsteller darüber „auslassen“, welche Werke sie nicht
geschrieben haben und welchen Grund dies hatte. Oder sogar, dass Bücher genannt
werden, die durch zufällige Manuskriptfunde aufgespürt wurden. Tatsächlich
finden sich in diesem Buch also viele ausschließlich deutsche unveröffentlichte
Bücher wieder. Und nach einiger Zeit verstand ich auch warum. Es geht nicht nur
um unveröffentlichte Bücher, die aus irgendeinem Grund, vielleicht aus der
Laune heraus, nicht verlegt wurden, sondern alles bezieht sich tatsächlich auf
den Titel der Bücher. Daraus folgt natürlich, dass man erkennt, dass englische
Titel in der Übersetzung schwer in den nötigen Kontext gesetzt werden hätten
können. Aber nun gut, wir wissen jetzt: das Buch beinhaltet Kommentare
deutschsprachiger Autoren, zum Thema nicht erschienener Bücher in Bezug auf die
mutmaßlich unpassenden Titel. Insgesamt fünfundsiebzig sind es an der Zahl,
recht erstaunlich für ein relativ dünnes Buch. Dennoch bietet es unfassbar
viele, interessante Aspekte, in denen man sich nach und nach immer weiter
verliert. Anfangs stand ich noch etwas skeptisch vor einigen Kapitel und habe
mich gefragt, in wie weit das als Aussage dient. Denn einige „Erklärungen“ der
Autoren, warum ein Titel nicht verwendet wurde oder wo er vielleicht doch zu
finden sein könnte (in einem anderen Werk, als Nebensatz etc.), besteht nur aus
einem Textauszug. Das schien mir anfangs etwas wenig, mit der Zeit aber passt
es ganz gut in das Gesamtkonzept, da jeder Autor seinen eigenen Stil hat, den
„Verlust“ eines Titels auszudrücken.
"Im Verlag jedoch sagten sie, der Titel sei schlecht, die Buchhändler wüssten nicht, wie man den Titel schreibe, sie würden das Buch nicht im Computer finden. Folge: schleppender Absatz. So wurde es mir mitgeteilt. S.49 – Arno Geiger über „Angostura“
"Im Verlag jedoch sagten sie, der Titel sei schlecht, die Buchhändler wüssten nicht, wie man den Titel schreibe, sie würden das Buch nicht im Computer finden. Folge: schleppender Absatz. So wurde es mir mitgeteilt. S.49 – Arno Geiger über „Angostura“
Ergänzt werden die Aussagen durch erfundene, also
extra für das Buch entworfene Buchcover, welche das Ganze noch einmal in einer
viel „interaktiven“ Weise darstellen. Als Leser liest man den Titel worauf sich
das Kapitel bezieht, liest den dazugehörigen Text und schwelgt dann in der
Darstellung des Covers. Gleichzeitig tauchen Fragen auf wie: „Könnte das Buch
nicht genau so erschienen sein?“ Denn tatsächlich fand ich viele Ideen
wunderbar und durchaus umsetzbar. Am liebsten hätte ich viele Titel sofort erworben.
Das Buch wird also zur wahren Fundgrube; was die Inspirationen in Bezug auf
andere existierende Werke betrifft und was die allgemeine Inspiration auf ganz
neue Ideen anbelangt. Ich persönlich fand es vor allem wunderbar unterhaltsam,
wenn auch manchmal unfassbar ungerecht und erstaunlich, wie viele Autoren mit
den Verlagen um einen Titel kämpfen mussten. Man geht davon aus, dass der Autor
selbst mit sich zweifelt und den Titel vielleicht verwirft, dass aber der
Verlag so eingreift, dass ein Autor mit dem Endergebnis nur semi-zufrieden ist,
macht einen schon etwas melancholisch. Wie sehr hätte man ihnen gewünscht, dass
sie ihr Projekt zu umsetzen könnten, wie sie es gewollt hätten. Umgekehrt gibt
es aber auch lustige Beispiele, bei denen die Titeländerung ganz sinnvoll
gewesen ist. Man merkt aber sehr deutlich, dass dieses Thema für alle Autoren
rech sensibel ist und sie sich damit so oft und stark auseinandersetzen, dass
sie stetig davon träumen, die Titel aufzubewahren und vielleicht irgendwann in
ferner Zukunft noch einmal verwenden zu können. Mitunter eines meiner liebsten
Kapitel waren definitiv „Meine Tochter zeigt mir ein Kunststück auf dem Grab
meiner Eltern“ von Heinz Janisch und „Mein Abend mit den drei vollkommen
identischen Tauben“ von Clemens J. Seitz (zusammen mit einigen mehr…).
"Seit
zehn Jahren habe ich eine Haftpflichtversicherung, und noch kein einziges Mal
musste ich sie in Anspruch nehmen. Und dennoch bin ich sehr froh, sie
abgeschlossen zu haben, denn ich verdanke ihr gleich zwei potenzielle
Romantitel.“ S.141 – „Tilman
Rammstedt über Hüten fremder Hunde“
Tolles Buch mit fünfundsiebzig
deutschsprachigen Autoren, welche sich zum Thema der verworfenen oder
aufgehobenen Titel der eigenen Romane äußern. Wunderbar unterhaltsam, nachdenklich
und teilweise wirklich einfach nur schön. Die zusätzliche Ergänzung, der
speziell für das Buch entworfenen Buchcover, lässt das Buch noch interessanter
und vielseitiger wirken. Wunderbare Idee und ebenso wunderbare Umsetzung.