Das Mädchen aus Stockholm von Hanne-Vibeke Holst

Juli 13, 2016

(Original: "Undskyldningen"/ 2011) Piper, Übersetzer/in: Hanne Hammer,  ★★ 4 Sterne
"Dänemark, 1940: In einer Zeit, in der sich das Unheil über Europa zusammenbraut, stehen die Zwillingsbrüder Leif und Leo eng beisammen. Im Pfarrhaus ihrer Eltern durchleben sie hautnah den Widerstand gegen die deutsche Besatzung. Doch nach der Befreiung – sie sind gerade erwachsen geworden – wird ihre Geschwisterliebe auf den Prüfstand gestellt. Denn bei einem Ausflug nach Schweden begegnen sie einem Mädchen, das sie beide fasziniert. Nur eine Lüge kann die Situation retten – eine Lüge, die erst Jahrzehnte später ans Licht kommen wird. "


MEINE MEINUNG | FAZIT

"Ohne Reue und Vergebung blieb nur noch die Verrohung, und die taugte nicht, um eine neue Zukunft darauf aufzubauen.
S.151

Sicherlich gehört "Das Mädchen aus Stockholm" zu den Geschichten, die ich mir am Anfang ganz anders vorgestellt habe. Der Klappentext hat für mich den Eindruck gemacht, dass es eine sehr ruhige und konstante Erzählung geben wird, mit relativ wenigen Ausbrüchen, trotz der angedeuteten Lüge, die eine wichtige Rolle spielt. Meiner Meinung nach war das Buch aber durchaus rasant und zwar in beiden Handlungssträngen.. Denn es wird nicht nur das Jahr 1940 erwähnt, in dem sozusagen alles beginnt, sondern auch das Jahr 2011. Mit letzterem beginnt auch die Geschichte. Zuerst scheint einem der Zusammenhang natürlich etwas abstrakt, da die Protagonistin keine Schwedin, sondern Dänin ist und sich in Deutschland aufhält. Es dauert auch tatsächlich etwas länger, bis man sich zu der Stelle mit "dem schwedischen Mädchen" durchgelesen hat, aber das hat mich im Nachhinein nicht "gestört", denn die Erzählung lebt davon, dass sich alles nach und nach aufbaut. So umfasst die Geschichte letztendlich vier gesamte Generationen, von denen die Lebensgeschichte skizziert wird. Obwohl dies bedeutet, dass es viele Informationen zu den Protagonisten gibt (und das sind wirklich einige), kommt man ganz gut mit der Charakterisierung zurecht. Soll heißen, dass man nicht durcheinander kommt und sich neue Figuren tatsächlich erst durch die davor erwähnten Figuren entwickeln und so eine "gerade Linie" bilden. Mein einziger Kritikpunkt war am Ende aber doch irgendwie die Ausdehnung mancher Passagen, die sich für mich etwas in die Länge gezogen haben. Die Verbindung zwischen 1940 und 2011 fand ich überraschenderweise ganz gut gelungen, da sich dadurch eine gewisse Spannung aufbaut, die man in anderen Familienchronik-Romanen vielleicht nicht unbedingt hat. Aber auch hier habe ich mich am Ende gefragt, ob es nicht etwas zu abgeschweift ist.

"Wie schön musste es sein, einen Zwilling zu haben, so entging man vermutlich der Einsamkeit. Wenn immer einer da war, der einen verstand, der eine Verlängerung des eigenen Ichs war.S. 94

Die eigentliche Geschichte hat eigentlich keine festen Hauptcharaktere, denn dazu gehören für mich, tatsächlich, alle Generationen, die aufeinander aufbauen. So wird vor allem die Problematik des Verständnisses gegenüber den eigenen Eltern und auch Kindern thematisiert und welche Auswirkungen gewisse Verhaltensweisen auf die nachfolgenden Generationen haben. Es geht um die Möglichkeiten, Veränderungen umzusetzen und darum, was Unaufrichtigkeit anstellen kann. All diese Themen werden mit einer sehr schönen Präzision und Verknüpfung dargestellt. Ich mochte den Schreibstil, der zwar nicht außergewöhnlich, aber passend ist und mir gefiel die eigentliche Darstellung der Personen. Es gibt keine Helden im herkömmlichen Sinn. Alle Figuren, werden und offenbaren ihre Schwächen und ihre Fehler, die sie begangen haben. Dadurch wird die gesamte Geschichte sehr authentisch und zeigt den Gedanken auf, dass "niemand perfekt ist". Die Fokussierung auf die beiden Zwillinge Leif und Leo, im mittleren Teil des Buches, fand ich ebenfalls gut gewählt. So stehen nicht nur die Beziehungen zwischen den Eltern und den Kindern im Vordergrund, sondern eben auch die, der Geschwister. Auch hier zeigen sich Stärken und Schwächen auf, die der Geschichte den nötigen Tiefgang und ganz rührende Passagen hervorheben. Abgesehen von den familiären Schicksalen, werden auch die zeitlichen Probleme in der Gesellschaft aufgezeigt. So ist in den Vergangenheitssequenzen die Rede von der deutschen Besetzung in Dänemark und 2011 wird auf die Terrorgefahr Bezug genommen. Obwohl dies wichtige Bestandteile sind, lag für mich das Hauptmerkmal dennoch auf der Auslegung der Familiengeschichte. Das Ende war für mich etwas vorhersehbar, hat aber nicht meine Lust am weiterlesen gehindert.

"´ Es ist zu spät, Leo. Außerdem ist es Zeit, erwachsen zu werden. Nicht wahr?´" S.228


Packende Familiengeschichte, die sich über vier Generationen streckt, aber nicht langweilig wird. Schön und dezent erzählt mit gewissen Überraschungspassagen. Schöne Verknüpfung und Auslegung verschiedener Lebenswege. Wird nach und nach immer emotionaler, sorgt aber gleichzeitig dafür, dass man mit jeder Figur gleich sympathisiert, da jede Figur seine Stärken und Schwächen aufzeigt. Überraschend anders als gedacht, aber überraschend gut. Für alle, die sich gerne mit längeren Familiengeschichten beschäftigen und deren Geheimnisse ergründen wollen.



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